Das Gesundbrunnen-Massaker
Die WM-Generalprobe TRIANGEL, die größte Katastrophenschutzübung seit dem Krieg, verlief in Berlin nicht sonderlich erfolgreich
Am 11. März 2006 fand in Berlin die bis dato größte Katastrophenschutzübung der Nachkriegszeit statt. Rund 2.000 Einsatzkräfte übten an drei verschiedenen Standorten mit 400 Opferdarstellern die notwendigen Rettungsmaßnahmen. Rund 200 Gäste aus dem Inland, von der FIFA, aus Schweden, Polen und Frankreich beobachteten das Manövergeschehen. Die Vorbereitungen aller beteiligten Organisationen (Codename METROPOLE WM 2006) hatten Monate in Anspruch genommen; das Übungsszenario war wiederholt modifiziert worden (Warten auf den Anpfiff). Am letzten Samstag war es schließlich soweit.
Während in der Großstadt das Alltagschaos weiterlief, die Zahl der Verkehrunfälle wegen des andauernden Schneefall zeitweise um fünfzig Prozent gegenüber normal anstieg, und ein eingebrochener Schlittschuhläufer den Rettungskräften – mal wieder - unnötige Arbeit bescherte, spielten die frei verfügbaren Einsatzkräfte die Übung TRIANGEL durch.
Im Stadion am Volkspark Mariendorf stürzte um 11.37 Uhr eine Videogroßbildleinwand ein, dabei wurden rund 200 Personen verletzt. Anschließend kam es um 11.52 Uhr auf einem Firmengelände im Stadtteil Karlshorst zu einer Gasexplosion mit 38 Opfern. Außerdem verunglückte um 12.00 Uhr auf einem Eisenbahngleis am Bahnhof Gesundbrunnen ein fiktiver Eisenbahnzug, dabei kam es zu einer Schadstoffausströmung. Nachdem zuerst MANV 3-Alarm ausgelöst worden war, erließ der amtierende Innensenator Ehrhart Körting um 11.55 Uhr Katastrophenalarm.
Natürlich kannten alle Beteiligten schon Wochen vorher den genauen Übungstermin. Damit alles möglichst reibungslos klappen sollte, hatte die Feuerwehr ihr diensthabendes Personal für diesen Tag um 265 Mann extra aufgestockt, einzelne Fahrzeuge wurden schon vorher in Stellung gebracht und Schläuche verlegt. Aber während die ersten beiden Übungsteile halbwegs klappten, endete die ABC-Lage am Bahnhof Gesundbrunnen in einem Massaker.
Dabei war vorher doch alles im Detail festgelegt worden, z. B. der voraussichtliche Personalbedarf: Feuerwehr (ca. 150), Polizeidirektion 3 (ca. 50), das Kriporeferat LKA KT 61 (ca. 6), das Umweltdezernat LKA 35 (ca. 4), Bundespolizei (ca. 35), Fliegerstaffel Ost (ca. 5), Technisches Hilfswerk (ca. 10), Malteser Hilfsdienst (ca. 15), Firma Schering (ca. 10), Bezirksamt (ca. 6), Berliner Bäder-Betriebe (ca. 4), Deutsche Bahn AG (ca. 10) und Opferdarsteller (ca. 100), darunter 10 Schwerverletzte. Alles in allem ein Sammelsurium unterschiedlicher Uniformen, verschiedenster Überziehwesten und bedeutendster Dienstgradabzeichen wuselte an der Einsatzstelle vor sich hin.
Auf dem Papier wirkte der dritte Übungsteil am Bahnhof Gesundbrunnen zunächst sehr einfach. In einem Vorab-Presse-Info der Berliner Berufsfeuerwehr wurde der geplante Geschehensablauf wie folgt dargestellt:
Auf dem Bahnhof Gesundbrunnen in Wedding tritt aus neun Behältern unbekannter Herkunft ein Gefahrstoff aus. Die ca. 100 auf dem Bahnsteig befindlichen Personen klagen nach kurzer Zeit über Reizung der Atemwege, der Augen, der Haut und über Atemnot.
(...)Die zuerst eintreffenden Einsatzkräfte haben zunächst keine Information über die Identität und damit auch nicht über das spezifische Gefahrenpotential des Stoffes. Die Unglücksstelle muss daher unter Verwendung von Chemikalienschutzanzügen erkundet und weitere Kräfte nachalarmiert werden. Die Schwer- und Leichtverletzten werden aus dem Gefahrenbereich geführt und einer ersten, oberflächlichen Dekontamination zugeführt (sog. Not- und „Spotdekon“). Des weiteren müssen die mögliche Ausdehnung der Schadstoffwolke prognostiziert und entsprechend gefährdete Bereiche geräumt werden. (...)
Während die Gefahrstofffreisetzung von Kräften der Berliner Feuerwehr und der Werksfeuerwehr Schering unterbunden werden soll, wird die Dekontamination der rund 70 Leichtverletzten im nahe gelegenen Schwimmbad Seestraße organisiert.
Der tatsächliche Übungsablauf
Um 12.00 Uhr nimmt das Unglück seinen Lauf: Auf dem Bahngleis zünden die Pyrotechniker von der Sprenggruppe des THW mehrere Rauchkörper. Eine graue Schadstoffwolke breitet sich aus. Mehrere Kanister liegen umgestürzt im Gleisbett. Auf den orangefarbenen Warnschildern, die jeder Gefahrstofftransport hat, steht die so genannte Kemmlerzahl „X88“. Die „88“ weist auf eine besonders ätzende Chemikalie hin; das „X“ bedeutet, das dieser Stoff sehr heftig mit Wasser reagiert, was die Feuerwehr bei eventuellen Löscharbeiten unbedingt beachten muß. Unterhalb der Kemmlerzahl ist wie üblich die vierstellige Schadstoffnummer angegeben, die jede Chemikalie einwandfrei identifiziert. Aber in diesem Fall ist nur eine „18“ erkennbar, die letzten beiden Ziffern sind schon weggeätzt. Von „1800“ bis „1899“ kommen so hundert verschiedene Chemikalien in Frage. Die Übungsleitung wollte es den Teilnehmern nicht zu leicht machen.
Schnell waren hundert Personen auf dem Bahnsteig verletzt. Die Schadstoffwolke verätzte ihnen die Augen, das Gesicht und die Hände. Sie konnten kaum noch sehen. Viele atmeten die giftigen Gase ein und erlitten Erstickungssymptome. Es droht Lebensgefahr! Jetzt musste man so schnell wie möglich das Giftzeug runterbekommen und ärztlich versorgt werden.
Um 12.03 Uhr wählte jemand, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, die richtige Telefonnummer: „112“. Die Feuerwehr wird alarmiert. Was kann ein Otto-Normalverbraucher, der von Kemmlerzahlen und Stoffnummern noch nie etwas gehört hat, melden? „Ein paar Chemiefässer sind am Bahnhof Gesundbrunnen umgekippt, mehrere Personen liegen röchelnd auf dem Bahnsteig“, so etwa dürfte die erste Anruf in der Einsatzzentrale der Feuerwehr am Nikolaus-Groß-Weg gelautet haben. Die Leitstelle hat daraufhin die nächstgelegene Feuerwehrwache am Schillerpark und das nächstgelegene Polizeirevier in der Pankstraße alarmiert.
Als nach wenigen Minuten die ersten Polizeibeamten ankamen, rannten diese ungeschützt in die Gefahrenstelle hinein, schließlich hat die normale Schutzpolizei keine ABC-Schutzanzüge, so dass sich die Vollzugsbeamten als Giftgasopfer gleich zu den anderen Verletzten auf dem Bahnsteig dazulegen konnten.
Um 12.30 Uhr trafen die ersten drei Feuerwehrkräfte mit ABC-Spezialausrüstung am Gesundbrunnen ein und erkundeten vor Ort die Lage.
Um 12.45 Uhr setzte der Technische Dienst TD 1 der Feuerwehr einen Container mit Dekontaminationsmaterial, einen so genannten Abrollbehälter, ab.
Ein erstes Problem trat auf. Während in Berlin der Wind normalerweise aus westlicher Richtung bläst, wehte er jetzt aus dem Norden. Somit zog die Schadstoffwolke in südlicher Richtung über die Badstraße hinweg auf den Volkspark Humboldthain zu. Die Feuerwehrleute ignorierten die Windrichtung und bauten ihre Dekon-Zelte an der falschen Stelle auf.
Im Verlauf der ersten Übungsstunde machten sich über vierzig Verletzte von selbst zum Jüdischen Krankenhaus in der Heinz-Galinski-Straße auf, das kaum einen Kilometer entfernt ist. Sie wurden dort innerhalb von 50 Minuten dekontaminiert. Weil das Krankenhaus eine Patientendekon zum ersten Mal durchführte, war dies ein akzeptables Übungsergebnis.
Um 12.50 Uhr wurden die ersten Einsatzkräfte, die vom Bahnsteig zurückkamen, einer Not-Dekon unterzogen. Obwohl der Gefahrgutbehälter eine „X“-Warnung enthielt, wurde – wie üblich - eine Nassdekontamination mit Wasser statt einer Trockendekontamination durchgeführt.
Um 12.50 Uhr tauchte ein Hubschrauber (Eurocopter EC 135 oder EC 155) auf und beobachtete das Geschehen aus der Luft. Er gehörte zur Fliegerstaffel Ost der Bundespolizei in Blumberg (Brandenburg).
Um 12.55 Uhr trafen die ersten Angehörigen der Bundespolizei aus Blumberg mit ABC-Schutzmasken ein. Sie übernahmen die Absperrung der Zugangswege zum Gefahrenbereich. Sie waren hochmotiviert und gingen konsequent gegen Passanten vor; in einzelnen Fällen übertrieben sie aber ihre Weisungsbefugnisse. So wurde einem ABC-Zugführer, der als Übungsbeobachter eingeteilt war, erst nach längerer Diskussion das Passieren erlaubt. Bei einem echten Ereignisfall sollte es allerdings nicht vorkommen, dass ausgerechnet ABC-Kräften der Zutritt zum Sperrbereich verweigert wird.
Gegen 13.00 Uhr lagen die ersten Messergebnisse über die Schadstofffreisetzung vor. Demnach waren drei verschiedene giftige Gase in die Umwelt gelangt:
- Thionylchlorid (Stoffnummer 1836) Dabei handelt es sich um ein farblose bis gelbliche Säure, die einen stechenden Geruch hat. Die Dämpfe sind schwerer als Luft. Sie wird stark ätzend und kann ein Lungenödem verursachen und zu Herz-Kreislaufversagen führen. Bei einem Spritzer in die Augen sofort zehn Minuten lang mit klarem Wasser ausspülen, betroffene Kleidungstücke sofort ausziehen. Ansonsten Kontakt mit Wasser grundsätzlich vermeiden, da Thionylchlorid dann stark exotherm reagiert.
- Schwefeltrioxid (Stoffnummer 1829) Schwefeltrioxid besteht normalerweise aus farblosen Kristallen. Der Stoff ist ätzend. In Verbindung mit Wasser reagiert er sehr heftig und bildet Schwefelsäure.
- Sulfurylchlorid (Stoffnummer 1834). Es handelt sich um eine farblose bis gelbe Flüssigkeit, die einen stechenden Geruch hat. Die Dämpfe sind schwerer als Luft. Sie wird stark ätzend, bei Hautkontakt kommt es zu Verbrennungen und Blasenbildung. Eingeatmet kann sie ein toxisches Lungenödem verursachen und zum Kreislaufkollaps oder Schock führen. Vergiftungsopfern kann Wasser verabreicht werden und die Gabe von Sauerstoff ist geboten. Ansonsten ist ein Kontakt mit Wasser grundsätzlich zu vermeiden.
Um 13.00 Uhr trafen zwei Dekon-P-Lkw der Feuerwache Buckow ein.
Um 13.10 Uhr waren die ersten Dekon-Zelte in der Badstraße einsatzbereit.
Um 13.15 Uhr trafen die ersten Feuerwehrleute mit Chemikalienschutzanzügen ein. Darin sahen sie aus wie „Marsmenschen“. Gleichzeitig begannen andere Feuerwehrleute schon wieder mit dem Abbau ihrer Dekon-Zelte, obwohl diese noch gar nicht in Betrieb genommen worden waren.
In der Ramlerstraße/Putbusser hatte die Feuerwehr einen Bereitstellungsraum eingerichtet. Hier warteten drei ABC-Erkundungsfahrzeuge aus Marienfelde und Wittenau und zwei Dekon-P-Lkw aus Zehlendorf vergeblich auf ihren Einsatz.
Um 13.25 Uhr tauchte die Analytische Task Force des Landeskriminalamtes LKA KT 61. Sie gehört zwar nicht zum Katastrophenschutz, ist aber dafür besser ausgerüstet als die Feuerwehreinheiten. Ihr Messfahrzeug, der so genannte „Spürfuchs“, ist mit denselben Analysegeräten wie der Spürpanzer „Fuchs“ der Bundeswehr ausgestattet. Dazu gehört u.a. ein Gaschromatograph GC-MS EM 640 und ein Solid Phase Microextraction-Ionenmobilitätsspektrometer. Zu den Aufgaben der Kripo gehört nicht die Hilfeleistung für die Opfer, sie sollen stattdessen Spuren sicherstellen. Ansonsten wimmelt es vor Ort von Kripobeamten, die deutlich sichtbar einen „Katastrophenschutz-Ausweis“ tragen, aber anscheinend nur zur Beobachtung eingesetzt sind. Außerdem traf ein weiteres ABC-Erkundungsfahrzeug der Feuerwache Marienfelde ein.
Um 15.00 Uhr warteten rund die Hälfte der Opfer noch immer auf eine Dekontamination und ärztliche Hilfe. Da die Feuerwehr ihre Dekon-Zelte längst abgebrochen hat, hat man die Verletzten in den beiden Dekon-Zelten der DLRG etwas abseits versammelt. Die Zelte waren vor Übungsbeginn lediglich aufgebaut worden, um den Opferdarstellern eine Aufwärmmöglichkeit zu bieten. Eine Dekontamination ist hier nicht möglich, da man auf den Aufbau der Wasserversorgung verzichtet hatte.
Kurz nach 15.00 Uhr tauchte die Werksfeuerwehr des Pharmaunternehmens Schering als Verstärkung auf und begann sogleich mit dem Herrichten ihres Abrollbehälters Gefahrgut. Eine Dekon-Stelle wurde eingerichtet und die Werksfeuerwehrmänner erkundeten die Gefahrenstelle.
Kurz vor 16.00 Uhr trafen die verbliebenen Opferdarsteller am Hallenbad Seestraße ein. Das Mehrzweckbad gehört zu den Badeanstalten die zukünftig als ortsfeste Dekon-Stellen eingeplant sind. Hier konnten sich die Verletztendarsteller selbst dekontaminieren. Zu einer ärztlichen Behandlung kam es nicht mehr.
Gegen 16.30 Uhr Übungsabbruch!
Versäumnisse und Pannen
- Die ABC-Kräfte der Feuerwehr trafen zu spät an der Gefahrenstelle ein.
- Trotz des großen Personaleinsatzes gab es entlang der Badstraße keinen Führungspunkt, um Informationen auszutauschen.
- Die Detektionsgeräte der Erkundungsfahrzeuge konnten die drei Industriechemikalien zwar als Schadstoffwolke erfassen, aber nicht identifizieren. Messfahrten brauchten daher mit dem Erkunder gar nicht durchgeführt werden.
- Im Lauf der Übung wurden die Zahl der verfügbaren ABC-Schutzanzüge – Tychem oder Kleenguard – knapp. Die Spezialanzüge wurden nicht immer korrekt angelegt, so fehlte teilweise das Abkleben von Anzug und Handschuhen.
- Die Feuerwehr baute ihre Dekontaminationsstelle auf der Badstraße in Windrichtung der Gefahrenstelle auf! Hier konnte unmöglich eine Dekontamination durchgeführt werden.
- Der Aufbau der Dekon-Zelte dauerte angesichts des eingesetzten Feuerwehrpersonals zu lange.
- Nur in Einzelfällen wurden Einsatzkräfte dekontaminiert. Es wurde keine Trockendekontamination durchgeführt.
- Keines der Verätzungsopfer wurde vor Ort dekontaminiert! Erst nach vier Stunden wurden die Masser der Opfer zur ortsfesten Dekon-Stelle verbracht.
- In der ortsfesten Dekon-Stelle Seebad gab es außer Leitungswasser keine Reinigungsmittel.
- Ein Sammeln der Opfer an einer Verletztenablegestelle fand nicht statt. Obwohl sich einige Opfer die dreißig Stufen zur Straße hochgeschleppt hatten und dem Mittelstreifen entlang krochen, wurden sie von den Feuerwehrleuten ignoriert. Diese waren mit der Klärung ihres Materialbestandes und dem Betrieb ihrer Gerätschaften beschäftigt.
- Eine Triage wurde nicht durchgeführt.
- Die medizinische Notversorgung der Verätzungsopfer war kaum existent, lebensrettende Maßnahmen, wie z. B. Schocklage, Gabe von Sauerstoff etc., konnten nicht beobachtet werden.
- Einzelne Rettungssanitäter, die am Einsatzort antrafen, verfügten über keinen ABC-Schutz.
- Eine Evakuierung der Anwohner wurde nicht durchgeführt.
- Der Pressesprecher-Üb identifizierte sich zu sehr mit seiner Aufgabe und schickte „echte“ Journalisten zu einer bloß fiktiven Pressekonferenz-Üb.
Um die kleine ABC-Lage mit neun umgekippten Fässern einer giftigen Industriechemikalie in den Griff zu bekommen, bot die Berliner Feuerwehr so ziemlich alles auf, was sie an ABC-Kräften zur Verfügung hatte: 1 Gerätewagen Meßtechnik, 4 ABC-ErkKW, 6 Lastkraftwagen Dekon-P, 1-2 Abrollbehälter Dekon, 1 Abrollbehälter Gefahrgut, 1 Abrollbehälter Atemschutz. Die DLRG war mit ihren beiden Dekon-P vor Ort. Die Kripo kam mit mindestens 4 Fahrzeugen, darunter ihr „Spürfuchs“. Die Werksfeuerwehr von Schering war mit 5 Fahrzeugen präsent, u.a. ihr Abrollbehälter Gefahrgut. Hinzu kamen alle möglichen Führungs-, Löschhilfsfahrzeuge, Rettungs- und Polizeiwagen und jede Menge Dienst-Pkws, die wichtigen Persönlichkeiten gehörten. Um so erstaunlicher war es, dass von den 8 Dekon-Lkws nicht ein einziger tatsächlich eingesetzt wurde.
Wenn man die Tätigkeit der ABC-Kräfte der Feuerwehr zusammenfasst, muss man feststellen, dass diese die Verätzungsopfer weitestgehend sich selbst überließen. Die wesentlichste Leistung der Feuerwehr bestand darin, die Opfer nach vier Stunden zur ortsfesten Dekon-Stelle zu fahren, die sich etwa einen Kilometer entfernt befand. Bei einem echten Schadensereignis wären die Opfer, soweit sie noch kriechen könnten, die hundert Meter zur U-Bahnstation Gesundbrunnen gekrochen, wären zwei Stationen mit der U-9 bis zur Station Osloerstraße gefahren und wären von dort die hundert Meter zum Jüdischen Krankenhaus gewankt. Damit wären sie nach zehn Minuten zur Dekon am Krankenhaus gelangt.
Dabei muss der schlechte Verlauf der WM-Generalprobe überraschen. In den letzten zwölf Monaten hatte die Berliner Feuerwehr schon mehrfach ähnliche Übungen durchgeführt, die durchaus besser verliefen: WOLKE, DEKON und zuletzt EXPLOSIV 2005.
Resümees von offizieller Seite
Auf der obersten Ebene klappte die Kommunikation nur mit Schwierigkeiten. Als der Landesbranddirektor Albrecht Bromme im Verlauf des Nachmittags im Landesinnenministerium in der Klosterstraße ankam, um zur „Zentralen Einsatzleitung“ zu gelangen, hatte er Schwierigkeiten ins Gebäude zu gelangen: Es war Samstag und die Beamten arbeiteten nicht.
Die ABC-Lage musste schließlich abgebrochen werden, wie Feuerwehrchef Albrecht Broemme erklärte. Angesichts der Wettertemperaturen unter Null Grad und dem stundenlangen Schneefall hätten die Laiendarsteller sonst dauerhafte Schäden durch Unterkühlung oder Erfrierungen davon tragen können. „(Es) steht fest, dass die Übung nicht so geklappt hat, wie ich es mir vorgestellt hatte“, sagte Broemme. Dennoch konnte er auch der ABC-Lage am Gesundbrunnen Positives abgewinnen: „Im Jüdischen Krankenhaus in Wedding wurde erstmals in einer deutschen Klinik die Dekontamination von mit Schadstoffen verseuchter Personen geprobt. Das hat gut geklappt.“
Nachdem die Berliner Feuerwehr eine Nacht drüber geschlafen hatte, zeigte sie sich im Nachhinein mit dem Übungsverlauf im Großen und Ganzen zufrieden:
Die größte Herausforderung in der Gesamtheit stellte die dritte Einsatzstelle am Gesundbrunnen dar. Bedingt durch die Unübersichtlichkeit und schlechte Zugänglichkeit – diese wiederum durch Sperrmaßnahmen im Rahmen der Übung selbst erzeugt – offenbarten sich Schwachstellen in der Koordinierung der einzelnen Übungsteile. Schon aus Gründen der Arbeitssicherheit verspätet gestartet, ergaben sich weitere Verzögerungen im Ablauf. Um den angesetzten Zeitplan für die Übungskräfte einhalten zu können, wurde die Übung vor Beendigung aller Maßnahmen beendet. Die Einzelmaßnahmen wie z.B. die Dekontamination Verletzter am Jüdischen Krankenhaus, die Dekontamination Unverletzter in der ortsfesten Dekontaminationsstelle im Schwimmbad an der Seestraße, die Bergung des beschädigten Gefahrgutbehälters erfolgten professionell und zufrieden stellend.
Innensenator Ehrhart Körting (SPD), der das Übungsgeschehen in Mariendorf von der Tribüne aus beobachtet hatte, gab sich optimistisch: „Im großen und ganzen können wir mit dem Ergebnis der Übung zufrieden sein. Berlin ist (dennoch) gut vorbereitet.“Operation gelungen, Patient tot.
Am 22. April 2006 ist bereits die nächste Katastrophenschutzübung des Arbeiter-Samariter-Bundes in Berlin angesagt. Außerdem folgen weitere Manöver in Köln und Dortmund.
Gerhard Pieper ist Mitarbeiter des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (BITS).