Das Internet im Visier
Kofi Annan legt "Globale Antiterror-Strategie" vor, erklärt aber nicht, was Terrorismus ist und wie er die geforderten Überwachungs- und Zensurmaßnahmen mit den Menschenrechten vereinbaren und gegen Missbrauch schützen will
Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat zu einem vereinten Kampf gegen den Terrorismus aufgerufen und sein Konzept einer Globalen Antiterror-Strategie vorgestellt, eine Aufgabe, die er auf dem UN-Gipfel 2005 übernommen hatte. Auffällig ist, dass in Annans Konzept nur immer von Terrorismus die Rede ist, der durch nichts zu rechtfertigen ist, aber der Begriff nie näher definiert wird. Das aber ist natürlich ein entscheidendes Hindernis, sich verständigen zu können. Auch sein allgemeines Insistieren darauf, dass der Kampf gegen den Terrorismus sich unbedingt an internationales Recht halten und vor allem die Menschenrechte wahren müsse, ist zwar richtig, aber wohl ein Appell, der nicht weit tragen wird.
Annan verweist natürlich darauf, dass es noch immer kein umfassendes Abkommen über den internationalen Terrorismus gibt. Sie müsse möglichst schnell zustande kommen. Die Aussichten dafür aber sind vorerst düster, weil man sich auch weiterhin nicht über eine allgemeine Definition einigen können wird. Zudem würde eine solche Einigung, die nicht auch staatlichen Terrorismus einschließt, zwar die existierende staatliche Ordnung verteidigen, gleich ob es sich um Demokratien, Unrechtsstaaten oder Diktaturen handelt, aber den Rekurs auf Terrorismus nicht wirklich ächten können.
Annan versucht ansonsten die direkte Bekämpfung des Terrorismus mit der Notwendigkeit zu verbinden, die Ursachen des Terrorismus zu verändern. So müssten die „Kultur der Gewalt und Intoleranz“ sowie alle extremistischen, ausländerfeindlichen und „hypernationalistischen“ Ideologien, nach denen andere Menschen weniger wert sind und getötet werden dürfen, unterbunden werden. Annan verweist auf die Resolution 1624 (2005) des Sicherheitsrats, nach der alle Staaten Aufrufe zur Gewalt unter Strafe stellen sollen. Gewaltsame Konflikte sollten verhindert oder geschlichtet, Menschenrechtsverletzungen müssten verhindert und geahndet, Rechtsstaatlichkeit durchgesetzt werden. Auch „religiöse und ethnische Diskriminierung, politischer Ausschluss und sozioökonomische Marginalisierung“ seien Ursachen für Terrorismus oder könnten von Terroristen ausgebeutet werden.
Neben dem Aufruf zur Beachtung des internationalen Rechts und der Menschenrechte stehen die Ausführungen im Zentrum, den Terroristen die Mittel zu verweigern, mit denen sie Anschläge ausführen können. Annan plädiert neben den Bemühungen, den Zugang zu konventionellen Waffen zu erschweren und vor allem durch internationale Abkommen den Zugang nuklearen, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen zu verhindern, für eine Überwachung der Finanzströme, schärfere Grenz- und Reisekontrollen und eine stärkere Kontrolle des Internet.
Terrorists require means to carry out their attacks. The ability to generate and move finances, to acquire weapons, to recruit and train cadres, and to communicate, particularly through use of the Internet, are all essential to terrorists. They seek easy access to their intended targets and increasingly look for greater impact - both in numbers killed and in media exposure. Denying them access to these means and targets can help to prevent future attacks.
Ob die von Annan letzthin geforderte Verstärkung der Überwachung in allen Bereichen mit der gleichzeitig geforderten Beachtung und Wahrung der Menschenrechte übereingeht, darf man bezweifeln. Deutlich wird dies beim Internet, das von Annan als Werkzeug von Terroristenherausgehoben wird, um Unterstützung und Rekruten zu finden sowie um Informationen und Propaganda zu verbreiten. 1998, so erklärt er, habe es noch weniger als 20 Websites von Terroristen gegeben, 2005 seien es schon Tausende. Auch hier fehlt eine nähere Charakterisierung, welche Websites Terroristen zuzuordnen wären. Behauptet wird, dass „einige große Anschläge durch Inhalte aus dem Internet“ unterstützt worden seien.
Das Internet, so Annan, werde zu einem „virtuellen sicheren Hafen“ für Terroristen, die transnational handeln und die nationalen Unterschiede ausnutzen. Die Staaten müssten ebenso transnational handeln, also im Grunde ihren Umgang mit dem Internet vereinheitlichen, um die Löcher zu schließen, Terrorismus zu kriminalisieren und Aufruf zum und Verherrlichung des Terrorismus zu verbieten. Als ersten wichtigen Schritte betrachtet Annan die Resolution 1624 vom September 2005, die alle Staaten auffordert:
…die notwendigen und geeigneten Maßnahmen im Einklang mit ihren Verpflichtungen nach dem Völkerrecht zu ergreifen, um
a) die Aufstachelung zur Begehung einer terroristischen Handlung oder terroristischer Handlungen gesetzlich zu verbieten;
b) ein solches Verhalten zu verhindern;
c) allen Personen, zu denen glaubwürdige und sachdienliche Informationen vorliegen, die ernsthaften Grund zu der Annahme geben, dass sie sich eines solchen Verhaltens schuldig gemacht haben, einen sicheren Zufluchtsort zu verweigern.
Ohne Totalüberwachung des Internet und der Identifizierung eines jeden Nutzers dürfte es nicht möglich sein zu verhindern, dass „die Informations- und Kommunikationstechnologien verwendet werden, um für terroristische Aktivitäten zu werben oder diese durchzuführen“. Auch wenn eine tatsächlich vertretbare und nicht von Staaten willkürlich zu interpretierende Definition von Terrorismus gefunden werden würde, wäre die Frage zu stellen, ob die Folgen einer globalen Totalüberwachung – zumal in einer Welt, die weiterhin politisch nicht die beste aller möglichen Welten sein wird – den Preis wert sind.
Artikel 19 der Allgemeinen Menschenrechte
Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.
Annan erklärt formelhaft, dass dies nur mit Beachtung der Menschenrechte und der internationalen Abkommen umgesetzt werden solle, aber er sagt nicht, welche Maßnahmen er vorschlagen würde, vor allem aber diskutiert er die Folgen nicht, beispielsweise diejenigen, die aus der notwendigen Einschränkung der Meinungs- oder Pressefreiheit folgen. Ohne hier konkreter zu werden, arbeitet er in die Hände von Regierungen, die auch berechtigte Opposition als Terroristen bezeichnen und bekämpfen sowie mit Zensur gegen unliebsame Meinungen vorgehen.