Das Kiesewetter-Rätsel
Der ungeklärte Polizistenmord von Heilbronn ist der zentrale Schlüsselfall im NSU-Komplex - Teil 1 einer Telepolis-Serie zum "Nationalsozialistischen Untergrund"
Manchmal ist ein Verbrechen zu groß, um es zu sehen. Man sitzt mitten in ihm.
Fast fünf Jahre ist es inzwischen her, dass das NSU-Trio aufflog und mit ihm Hinweise auf eine mehrjährige unaufgeklärte Mord- und Raubserie bekannt wurden. Doch seither erleben wir eine verstörende Dynamik: Je mehr die Öffentlichkeit weiß, je mehr Menschen sich damit befassen, - Opferanwälte, Journalisten, Abgeordnete, Blogger - desto rätselhafter und undurchschaubarer scheint die Affaire zu werden. Die Chiffre "NSU" entwickelt sich zur Hydra: Wird eine Frage beantwortet, entstehen zwei neue. Wird ein Widerspruch aufgelöst, tauchen die nächsten auf. Eine ungeahnte Dimension deutet sich an, verbunden mit einem spürbaren organisierten Widerstand, der ihre Aufdeckung verhindern will.
Neben der ursprünglichen Tatebene von 1998 bis 2011 - den zehn Morden, 15 Raubüberfällen und drei Sprengstoffanschlägen - bilden sich immer neue Handlungsebenen. Dazu gehören anhaltende Ermittlungen der Polizei, Aufklärungsbemühungen in Untersuchungsausschüssen und vor Gericht, wie die Verhinderung der Aufklärung oder unterlassene Ermittlungen, bis hin zur offenen Vertuschung und Vernichtung von Beweismaterial. Von Teilen des Sicherheitsapparates, aber auch der politischen Nomenklatur, wird die Chiffre "NSU" zum großen Tabu gemacht. Außer Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe soll es keine weiteren Täter gegeben haben.
Doch auch das sorgt für Erkenntnisfortschritte, denn es beweist: Der NSU ist nicht Geschichte, er vollzieht sich bis heute in Echtzeit um uns herum. Die Handelnden sind andere, als das bekannte Trio aus Jena und Zwickau. Was verbirgt sich tatsächlich hinter der Chiffre NSU? Vor einiger Zeit war so eine Frage noch ketzerisch, denn der NSU wurde als aufgeklärt dargestellt. Inzwischen ist die Frage in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Für den NSU-Untersuchungsausschuss No. 2 des Bundestages ist sie sogar ein Leitmotiv: "Kennen wir eigentlich den Kopf des NSU schon?"
Was wir kennen, sind Bestandteile: Neonazi-Aktivisten, die organisierte Kriminalität, aber eben auch der Verfassungsschutz und die Polizei. Wie sie genau zusammenhängen, wer alles dazu gehört und wie lange sie schon tätig sind, das muss noch herausgefunden werden. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe waren Teil dieses Geflechtes. Aber in welcher Weise? Gehörte das NSU-Kerntrio zu einer größeren Organisation?
Die Sichtweisen der staatlichen Gewalten fallen dramatisch auseinander. Während die Exekutive und allen voran die Bundesanwaltschaft an der Version festhält, alle Taten seien ausschließlich von Böhnhardt und Mundlos begangen worden, unter Mithilfe von Zschäpe, dokumentiert die Existenz von inzwischen zwölf Untersuchungsausschüssen in Bundestag und Landtagen die Zweifel an dieser Darstellung. Eine einheitliche, belegte Narration der NSU-Geschichte gibt es bisher nicht. Sie muss noch geschrieben werden.
"NSU", soviel wissen wir inzwischen, steht nicht einfach für einen Kriminalfall, sondern für die Bundesrepublik Deutschland. Zuerst der Mordterror und die Verschonung der Täter, dann die Vertuschung der Tatzusammenhänge und die immer neuen Blockaden der Aufklärungsbemühungen durch die Sicherheitsorgane - all das zusammengenommen trägt Züge eines verdeckten, permanenten, institutionellen Staatsstreiches. Er findet seinen Ausdruck in einem bundesweiten Machtkampf um Aufklärung oder Verschleierung. Längst ist der NSU-Komplex eine politische Frage. Das Problem wird entweder politisch gelöst - oder es wird nicht gelöst.
Telepolis beginnt in loser Folge eine Serie über den NSU, über ausgewählte Schauplätze und Schlüsselfälle, offene Fragen, Widersprüchliches und Grundsätzliches. Beiträge für die ausstehende alternative Narration des "NSU".
Teil 1: Der Polizistenmord von Heilbronn
Der Mord an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 auf dem Festplatz Theresienwiese in Heilbronn ist der letzte und rätselhafteste aller zehn NSU-Morde. Er ist der Schlüssel zum gesamten Komplex, gerade weil er sich von den anderen neun Morden unterscheidet. Neun Mal wurde die tschechische Ceska-Pistole benutzt, in Heilbronn waren es andere Pistolen, eine polnische Radom und eine russische Tokarew.
Die Opfer waren keine Migranten, sondern deutsche Polizeibeamten. Es fand kein Übertöten statt, nur jeweils ein Schuss wurde abgefeuert. Kiesewetters Kollege Martin Arnold überlebte das Attentat schwerverletzt. Außerdem nahmen die Täter die Dienstwaffen und andere Gegenstände mit. Und doch gibt es eine Verbindung zu den neun anderen Taten - eben über das Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, in deren Habe alle Mordwaffen sowie die Dienstwaffen der Beamten sichergestellt wurden. Doch waren sie auch die Täter? Oder welche Rolle spielten sie?
Vor dem Oberlandesgericht in München sagte Martin Arnold, das Motiv für das Attentat fehle ihm nach wie vor.
Die Ermittler der Sonderkommission (SoKo) Parkplatz konnten die Mörder von Michèle Kiesewetter über vier Jahre lang nicht finden. Sie gingen davon aus, dass mindestens vier bis sechs Personen an der Tat beteiligt gewesen sein mussten. Alles änderte sich nach dem 4. November 2011, als Böhnhardt und Mundlos starben und der "Nationalsozialistische Untergrund" entdeckt wurde. Seither erklärt die Bundesanwaltschaft (BAW) die beiden toten Männer zu den alleinigen Tätern aller zehn Morde. Und zwar den Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes (BKA) zum Trotz, ein "eindeutiger Nachweis, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am Tattag in unmittelbarer Tatortnähe waren, konnte nicht erbracht werden."
Doch viele Puzzlestücke passen nicht zu dieser Zwei-Täter-Theorie. In Heilbronn gibt es ein Unmenge offener Spuren, die völlig andere Abläufe nahelegen.
Zweimal auf der Theresienwiese
Michèle Kiesewetter und Martin Arnold verbrachten am 25. April 2007 die Mittagszeit im Polizeirevier in Heilbronn. Um 13:45 Uhr brachen sie mit ihrem Wagen, einem 5er BMW, zur Fortsetzung ihres Streifendienstes auf. Es soll offiziell der einzige BMW gewesen sein, der an diesem Tag in Heilbronn im Einsatz war. Das Fahrzeug gehörte der BFE-Sondereinheit in Böblingen (BFE: Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit) und wurde unter anderem für den Objektschutz US-amerikanischer Einrichtungen eingesetzt. Die zwei steuerten die Theresienwiese an, wo sie etwa zwei Stunden zuvor, um 11:30 Uhr, bereits Pause gemacht hatten. Warum sie erneut dort hinfuhren, ist unklar. Um13:55 Uhr kamen sie auf dem Festplatz an und parkten neben der Trafo- und Pumpstation im nördlichen Bereich. Um 13:58 Uhr fielen die zwei Schüsse, die Kiesewetter töteten und Arnold lebensgefährlich verletzten.
Drei blutverschmierte Männer
Die Täter nahmen sich die Zeit und entwendeten Dienstwaffen, Handschellen und andere Gegenstände der beiden Opfer. Dabei müssen sie sich stark mit Blut besudelt haben. Tatsächlich sahen zwischen 14 und 14:30 Uhr drei Zeugen südlich der Theresienwiese drei verschiedene blutverschmierte Männer. Einer links blutverschmiert, einer rechts, einer wusch sich die blutigen Hände im Neckar. Phantombilder dieser Männer, die nach Angaben der Augenzeugen gefertigt wurden, haben keinerlei Ähnlichkeit mit Mundlos und Böhnhardt. Einer der Zeugen ist eine V-Person der heilbronner Polizei.
Die Jogginghose: Beleg für mindestens drei Täter?
Eine Jogginghose, entdeckt in der Wohnung des Trios in Zwickau, gilt der Anklage als wesentlicher Beleg für die Täterschaft von Uwe Mundlos. Auf der Hose befinden sich dünne Blutspritzer vom Opfer Kiesewetter. Außerdem Haare mehrerer Personen, unter anderem von Mundlos und Böhnhardt sowie ein Papiertaschentuch mit DNA-Mustern, die zu Mundlos passen.
Derjenige, der die Hose trug - vielleicht wirklich Mundlos -. muss beim Mord dabei oder sogar einer der Schützen gewesen sein. Tatsächlich kann die Hose aber noch etwas ganz anderes belegen: Dass die Tat nämlich von mehr als zwei Personen begangen worden sein muss. Der Träger der Hose kann schwerlich am Entwenden der Dienstpistolen beteiligt gewesen sein, sonst müsste es auf ihr noch mehr und andere Blutspuren geben, entstanden durch den Körperkontakt mit den Opfern.
Mindestens neun Tatbeteiligte?
Zwei weitere Zeugen sahen kurz nach 14 Uhr unabhängig voneinander drei Männer in nördliche Richtung vom Tatort fliehen. Dazu kommen die drei Blutverschmierten südlich des Tatortes, außerdem eine Frau und ein Mann, die einen der Blutverschmierten begleiteten sowie mindestens ein Autofahrer, der zwei Blutverschmierte aufnahm - nimmt man alle ernstzunehmenden Zeugenaussagen zusammen, kommt man auf mindestens neun Personen, die mit der Tat zu tun gehabt haben könnten oder unmittelbar Zeugen wurden und sich danach nicht bei der Polizei meldeten. Eine derart große Täteranzahl würde auf eine Operation hindeuten.
Der fragliche Linkshänder
Die Bundesanwaltschaft rechnet die Jogginghose Mundlos zu. Wenn er auf Kiesewetter geschossen haben soll, die auf dem Fahrersitz saß, müsste Böhnhardt folglich rechts des Streifenwagens auf Beifahrer Arnold geschossen haben. Böhnhardt jedoch war Linkshänder. Die Tatrekonstruktion ergab aber, dass beide Schützen Rechtshänder gewesen sein müssen. Ein Linkshänder hätte anders zum Opfer stehen müssen, damit sein Schuss mit der Flugbahn der Kugel und dem Schusskanal im Kopf von Arnold übereinstimmt: Weiter vorne, fast neben dem Opfer. Dabei wäre er auch Gefahr gelaufen, ins Schussfeld des Komplizen zu geraten. Damit ist mindestens Böhnhardt als Schütze fraglich. Dass jemand einen Mordanschlag, sprich gezielten Kopfschuss, mit der schwächeren Hand verübt, ist eher unwahrscheinlich.
Bemerkenswerter Weise bestätigte Beate Zschäpe in ihrer Aussage vor Gericht im Dezember 2015 die Version der Bundesanwaltschaft, wonach Mundlos und Böhnhardt die Attentäter von Heilbronn gewesen seien. Sie hätten die beiden Beamten niedergeschossen, um an ihre Pistolen zu gelangen, weil ihre eigenen Ladehemmungen gehabt hätten. Sie selber habe erst hinterher davon erfahren. Eine Darstellung, nach der nicht nur das Motiv unglaubwürdig ist, sondern die aufgrund aller Erkenntnisse bisher als widerlegt gelten kann. Warum übernimmt die Angeklagte dennoch ohne Not die Sicht der Anklagebehörde? Welche Rolle Böhnhardt und Mundlos beim Polizistenmord genau spielten, das bleibt offen.
Das unterdrückte Phantombild
Michèle Kiesewetter war sofort tot. Ihr Kollege überlebte den Anschlag sprichwörtlich um ein Haar. Einen Sekundenbruchteil vor dem Schuss muss Martin Arnold den Kopf nach rechts gedreht haben. Die Kugel durchdrang nicht sein Gehirn, wie bei Kiesewetter, sondern streifte es praktisch nur. Warum schaute der Beamte nach rechts? Hat er den Täter im Spiegel kommen sehen?
Das unterdrückte Phantombild
Bereits sechs Wochen nach dem Anschlag konnte Arnold das erste Mal vernommen werden. Die Ermittler kamen schließlich zu dem Urteil, das Opfer habe "klare und konkrete Erinnerungen" an die Anschlagssituation und beschlossen zusammen mit ihm, ein Phantombild des Täters zeichnen zu lassen. Auch dieses Bild hat keinerlei Ähnlichkeit mit Böhnhardt oder Mundlos.
Die SoKo Parkplatz wollte es zusammen mit zwei anderen Phantombildern für die Fahndung herausgeben. Das scheiterte am Veto des verantwortlichen Staatsanwaltes von Heilbronn. Um diese Entscheidung zu legitimieren, gab er ein tendenziöses neurologisches Gutachten in Auftrag. Dem Gutachter teilte er bei Auftragserteilung mit, dass er von den Aussagen Arnolds nichts halte. Der Gutachter bescheinigte in diesem Sinne: Das Opfer könne sich nicht erinnern und baute gleich vor: Es werde sich auch nie mehr erinnern können.
Ein solches Verhalten, wie das des Staatsanwaltes, habe er in seiner ganzen Dienstzeit nicht erlebt, erklärte dazu der zuständige Kriminalbeamte des Landeskriminalamtes (LKA) vor dem NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg. Die verdächtige Rolle der Ermittlungsbehörden in Heilbronn ist eine der Fragen, die zu klären sind.
Polizisten am Vortag auf der Theresienwiese
Kiesewetter und Arnold wurden angegriffen, weil sie als Polizeibeamte Repräsentanten des Staates waren, so die Bundesanwaltschaft zum Motiv der Tat. Persönlich seien sie aber Zufallsopfer gewesen, es hätte auch andere Polizisten treffen können. Am Tag vor der Tat, am 24. April 2007, machten der Streifenbeamte Patrick H. und seine Kollegin Elke S. auf der Theresienwiese an genau derselben Stelle Pause. Sie waren Kollegen von Kiesewetter und Arnold aus der BFE-Truppe in Böblingen und zur Unterstützung in Heilbronn, wie am Tag darauf die zwei Opfer.
Warum wurden sie nicht angegriffen? In den Ermittlungsakten liest man dazu höchst Merkwürdiges: Patrick H. soll bei seiner Vernehmung durch die Kripo Heilbronn im Juli 2007 angegeben haben, am Tatort "noch nie Pause" gemacht zu haben. Von dieser seiner angeblichen Aussage erfährt H. erst Jahre später, im Oktober 2010, als das LKA viele Polizeibeamte noch einmal vernimmt. H. ist überrascht und bestreitet, die Aussage gemacht zu haben. Tatsächlich habe er ja am 24. April am Tatort Pause gemacht. Überhaupt sei er damals, im Juli 2007, gar nicht vernommen worden. Eine konstruierte Vernehmung? Wenn ja, von wem und warum? Sollte damit davon abgelenkt werden, dass der Anschlag gezielt Michèle Kiesewetter galt? Und musste, damit sie als zufälliges Anschlagsziel erscheint, die Streife vom Vortag aus der Welt geschafft werden? Gab es bei der Kriminalpolizei Heilbronn etwa ein Wissen um diesen Zusammenhang?
Beamte der Böblinger Bereitschaftpolizei taten regelmäßig Streifendienst in Heilbronn. Meist sechs, maximal zehn. Doch am Tattag waren nicht weniger als 15 Kräfte in der Stadt. Warum so viele? Und warum tat fast die Hälfte ihren Dienst in Zivil? Gab es vielleicht Hinweise auf eine bevorstehende wie auch immer geartete Aktion?
Unidentifizierte Streifenwagen
Zu den ungeklärten Spuren zählen Streifenwagen, die mehrere Zeugen vor der Tat in Tatortnähe bemerkt haben, als Kiesewetter und Arnold noch in der Mittagspause im Polizeirevier waren. Das erste Mal um 13:20 Uhr einen parkenden 5er BMW am südlichen Rand der Theresienwiese. Der erste Hinweis auf einen zweiten BMW neben dem, den Kiesewetter und Arnold fuhren. Zwischen 13:40 und 13:45 Uhr bemerkten zwei Zeugen in Nähe des späteren Tatortes, dem Strom- und Pumphäuschens, jeweils ein Polizeifahrzeug. Die letzte Streifenwagen-Sichtung machte ein Autofahrer ziemlich genau gegen 13:53 Uhr, also fünf Minuten vor dem Mord, auf der Theresienwiese in etwa 150 Meter Entfernung zum Anschlagsort.
Es könnte sich bei allen Sichtungen um ein und dasselbe Fahrzeug gehandelt haben, das sich dann fast eine Stunde lang um den späteren Tatort herum bewegt hätte. Möglicherweise waren es aber mehrere Polizeiautos. Keines wurde versucht zu identifizieren. Wer sie gefahren hat und mit welchem Auftrag, wurde nicht ermittelt.
Linie zum Thüringer Heimatschutz
Galt der Anschlag der Böblinger BFE, dieser Eliteeinheit der Polizei? Sie erfüllt viele Sonderaufträge, betreibt verdeckte Ermittlungen, fungiert als Greiftruppe bei Demonstrationen. Galt er Kiesewetter persönlich? Die junge Frau stammte aus Thüringen. Dort ist ihr Onkel, Mike W., selber Polizist. Nach dem Mord an seiner Nichte, aber schon Jahre vor dem Auffliegen des NSU-Trios, stellte er einen Zusammenhang mit der Ceska-Mordserie an den neun türkischen und griechischen Männern her, als den noch kein Ermittler gesehen hat.
W. hatte in den 90er Jahren als Staatsschützer mit dem rechtsradikalen Thüringer Heimatschutz zu tun, zu dem Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe gehörten. Er war an Festnahmen und Razzien gegen Neonazis beteiligt. Und im Heimatort von Kiesewetter, Oberweißbach, betrieb der Neonazi David F., Schwager des in München Angeklagten Ralf Wohlleben, eine Gaststätte. Chef von Mike W., dem Kiesewetter-Onkel, war der heutige Kriminaldirektor Michael Menzel. Ausgerechnet er fand am 4. November 2011 in dem Wohnmobil, wo Böhnhardt und Mundlos ums Leben kamen, die Waffe von Kiesewetter. Ein Personengeflecht, in dem sich Opfer- und Täterumfeld überschneiden.
Zwei FBI-Agenten am Tatort?
Oder gibt es einen Zusammenhang all dieser Merkwürdigkeiten von Heilbronn mit Aktivitäten US-amerikanischer Dienste? Jener US-Spur, über die das Magazin Stern im Dezember 2011 als erstes Medium berichtete. Danach sind US-Sicherheitskräfte, die aus anderen Gründen in der Stadt waren, Zeugen der Tat geworden.
Ein interner Schriftverkehr vom Dezember 2011 zwischen BND, MAD und Bundeskanzleramt untermauert die Geschichte - Telepolis hat jetzt die Dokumente veröffentlicht: Dokumente zum Mordanschlag auf Michèle Kiesewetter und Martin Arnold in Heilbronn). Ein US-Verbindungsoffizier soll den deutschen Behörden mitgeteilt haben, zwei FBI-Männer seien am 25. April 2007 dienstlich in Heilbronn gewesen. Nach den Schüssen auf Kiesewetter und Arnold hätten sie ihre Operation abgebrochen. Die US-Seite soll der deutschen Seite angeboten haben, darüber zu sprechen. Die soll ablehnt haben. Der Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg hat den Sachverhalt bisher nicht aufgeklärt und nur oberflächlich behandelt. Ein Zeuge, dessen Name in den Unterlagen geschwärzt wurde, ist nicht identifiziert. Ein anderer Zeuge ist wiederholt nicht erschienen.
Der mögliche Zusammenhang ist dieser: Fünf Tage vor dem Anschlag, am 20. April 2007, gab es eine Terrorwarnung von US-Sicherheitsbehörden an Amerikaner in Deutschland wegen möglicher islamistischer Anschläge. In der Folge müssten auch bundesdeutsche Sicherheitsorgane in Alarmbereitschaft versetzt worden sein. Erstreckte sich die auch auf die Theresienwiese in Heilbronn?
Konspirative Ermittlungen 2015?
Nicht nur, dass der Kiesewetter-Mord nicht aufgeklärt ist, bis heute wird konspirativ mit ihm umgegangen. Das belegen Vorgänge, die sich aktuell im Jahr 2015 ereignet haben - zumindest, wenn man zwei Zeugen Glauben schenkt, dem Ehepaar K. aus Heilbronn. Das hatte damals kurz nach dem Mord unweit des Tatortes Theresienwiese einen flüchtenden Mann bemerkt. Die Polizei erstellte ein Phantombild, das weder Böhnhardt noch Mundlos gleicht. Auch die Herausgabe dieses Phantombildes für die Fahndung untersagte die Staatsanwaltschaft.
Im Herbst 2015 erwähnte Frau K. vor dem Untersuchungsausschuss in Stuttgart einen zweiten davon rennenden Mann. Sie habe sich an ihn erinnert, weil ihr vor kurzem, im Frühjahr 2015, zwei Polizisten Fotos gezeigt hätten und er darunter gewesen sei. Hat Frau K. also einen möglichen Täter oder Mittäter erkannt? Um wen es sich handelt, kann allerdings nicht in Erfahrung gebracht werden. Denn alle maßgeblichen Behörden, die der Ausschuss offiziell anfragt, bestreiten, etwas mit diesen aktuellen Ermittlungen zu tun zu haben: Bundesanwaltschaft, Landeskriminalamt, Bundesamt und Landesamt für Verfassungsschutz, Polizeidirektion Heilbronn. Das kann schlicht nicht sein.
Geheim gehaltene Ermittlungen - nicht zuletzt dokumentiert sich auch darin die Verstrickung von Sicherheitsbehörden in den Tatkomplex.