"Das Königreich des Geschwätzes"

Tom Wolfe auf der Frankfurter Buchmesse (1988). Bild: MoSchle / CC-BY-SA-3.0

Tom Wolfes Abrechnung mit Chomsky und Darwin, Teil 2

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Teil 1: Der Ritter in Weiß Vs. Darwin und Chomsky

Der erste Teil dieses Artikels endete mit dem Wort "Antisemitismus" und hier, im zweiten Teil, springe ich deshalb direkt zu Noam Chomsky. Ist es vorstellbar, fragt man sich, heute, im 21. Jahrhundert - dass ein berühmter amerikanischer Autor - oder mehr noch, dass ein immer so chic in Weiß gekleideter amerikanischer Vertreter des New Journalism, ein Freund von Jann S. Wenner, dem Herausgeber des Rolling Stone - dass also Tom Wolfe - sich als Antisemit entpuppt, sich antisemitisch geriert, oder dass er einen wichtigen Intellektuellen der USA deswegen attackiert, weil dieser ein Jude ist, dass er ihn niedermacht, wegen seines Jüdischseins? Antwort: Vorstellbar ist es allemal.

In den Südstaaten der USA ist die Feindseligkeit gegenüber allen Juden weit verbreitet - so auch in Tom Wolfes Heimatstaat Virginia - aber der verdeckte Judenhass erstreckt sich über das gesamte Gebiet der USA - bis in den hohen Norden. Tatsächlich sind die evangelikalen Fundamentalchristen, die sich gerade wieder formieren (siehe NYT 28/05/18), eine Brutstätte des Antisemitismus, der sich paradoxerweise in einer vollkommenen Hingabe zu Israel ausdrückt.

Dass es bedingungslose jüdische Unterstützer für Israel in Amerika gibt, ist schließlich allgemein bekannt. Das es eine evangelikale Unterstützung gibt, findet man vielleicht erstaunlich. Sie nährt sich aus der Hingabe an das mythische "Holy Land" -eine britisch-amerikanische Erfindung des 19. Jahrhunderts. Hier sehen wir Noam Chomsky, wie er einen kurzen Abriss dieses historischen Themenkomplexes liefert:

Noam Chomsky erklärt die Ursprünge des Christlichen Zionismus (Englisch).

Amerikanische evangelikale Israel-Fans haben das Ziel, sich selber den Zugang zum Heiligen Land zu sichern, zu ihrem Heiligen Land, so, wie man sich den Zugang zu einem exklusiven Klub sichert. Man möchte in einem christlichen Disneyland ungestört die Orte begehen können, an denen "Jesus" gelebt hat und gestorben ist, man möchte es erleben wie eine Schaubühne, wie ein biblisches Diorama in einem Echtleben-Museum. Wer diesen Jesus getötet hat, ist den Evangelikalen natürlich ebenfalls klar: "Die Juden". Obwohl es, im Gegenzug, gerade auch in Amerika so manche alternative Bemühung gibt, den gekreuzigten Jesus in Kaschmir oder an anderen geheiligten Orten wiederauferstehen zu lassen. Ein "Elvis lebt"-Wunder mit beliebig austauschbaren Sujets.

Links: Die Erfindung des "Heiligen Landes", oder: Christlicher Zionismus, Made in USA. Rechts: Israels Zukunft: Ein amerikanisches Disneyland für amerikanische Jesus-Fans.

Die Methode des Doublespeak ist ein Phänomen, das sich herleitet von George Orwell. Im Grunde ist es jedoch schon bekannt seit den Gebrüdern Grimm: Aus dem Märchen vom Wolf und den Sieben Geißlein. Wo der Wolf Kreide schluckt, um die kleinen wohlschmeckenden Fleischportiönchen über seine wahren Absichten zu täuschen. Es ist dies die besondere Verlogenheit, die man aus der Politik und Propaganda kennt. Heute würde man an den obersten Führer der Türkei denken, der aus einem bereits zutiefst faschistoiden Umfeld heraus andere Länder als "undemokratisch" brandmarkt.

Bei einem Journalisten erwartet man weniger, dass er sich mit den gleichen Worten an zweierlei Klientel wendet. Wenn Tom Wolfe Amerika (d.h. die USA) als ein religiöses Land kennzeichnet, wie Saudi Arabien oder den Iran, klingt das wie Kritik, es kommt aber bei manchen seiner Leser an wie eine Bestätigung. Ja, wir sind eben "God's Own Country".

Wenn Tom Wolfe sich darüber wundert, dass Noam Chomsky als Linguistikprofessor nur eine Sprache spricht, nämlich Englisch, kann er davon ausgehen, dass es vielen seiner Lesern nicht anders ergeht. Tatsache ist, dass der Besitzer eines Ladens in Montana kürzlich die Grenzpolizei alarmierte, weil zwei Kunden in seinem Geschäft sich auf Spanisch unterhielten. Siehe NYT, 22/05/18.

Der Beamte erklärte den beiden US-Bürgern, nachdem er ihre Ausweise kontrolliert hatte: "Es hat damit was zu tun, dass ihr zwei euch in dem Laden auf Spanisch unterhalten habt, in einem Staat, wo man gewöhnlich Englisch spricht."

Bei Wolfe kommt die Untergriffigkeit gegen Chomsky an jener Stelle zum Tragen, wo er, über Chomsky, aussagt: "… he knew only one language, English", und dann hinzufügt: "You couldn't very well count the Yiddish and Hebrew he spoke at home growing up." Die Denunziation folgt hier aus der Rückhand. Nicht nur der Leser in Montana weiß in dem Moment Bescheid:

Aha. Chomsky ist Jude, ein Fremdkörper in Amerika. Denn er spricht außer Englisch auch noch typisch jüdische Sprachen.

Einzig deshalb erwähnt Wolfe Jiddisch und Hebräisch, um Chomsky als "Juden" zu markieren, nicht weil Jiddisch und Hebräisch Sprachen wären, "die man ja wohl nicht wirklich mitrechnen kann" - denn was sollte an diesen Sprachen geringerwertig sein, als etwa an Spanisch oder Navaho? Oder gar - an Russisch? Die meisten der Abermillionen nach Amerika ausgewanderten Juden aus dem zaristischen Russland sprachen nicht nur Jiddisch und Hebräisch, sondern natürlich auch noch - oder sogar eher noch - Russisch. Sie waren "von Haus aus" polyglott bzw. mehrfach sprachenkundig.

Wolfe hebt sich das russische Element allerdings für ein paar Seiten später auf. Wenn man weiß, oder allmählich gemerkt hat, dass es hier darum geht, Chomsky die "rote Karte" zu zeigen, dann kann die russische Verbindung natürlich nur eines bedeuten. Dass die Flüchtlinge aus dem zaristischen Russland ihren radikalen Anarchismus nach Amerika einschleppten, dass sie später Kommunisten - oder, wie die Rosenbergs, in den 50er Jahren, russische Spione wurden, und dass natürlich auch Noam Chomsky zu dieser Sorte von amerikanischen Vaterlandsverrätern dazugehört. Und, schreibt Wolfe, "er wusste, wie er einen kolossalen Glücksfall für seine eigenen Zwecke ausnützen konnte." Worum ging es? Es ging "wieder mal um einen Krieg!" Dieser hier fand statt, schreibt Wolfe, in einem kleinen Land in Südostasien.

Rund 40 Jahre nach dem Kollaps des Vietnamkriegs, weiß Wolfe, dass eine neue Generation herangewachsen ist, die nicht einmal den Namen dieses Landes mehr kennt - und er will sie nicht unnötig daran erinnern. Ein kleines Land, schreibt Wolfe, das in einen kleinen Krieg verwickelt ist, Zitat wörtlich: "verglichen mit dem Zweiten Weltkrieg." Und Vietnam bleibt weiterhin unerwähnt, Laos bleibt unerwähnt, und Kambodscha bleibt unerwähnt.

Klingt der Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg absurd, witzig, zum Kreischen - denn wie könnte ein Krieg in einem kleinen südostasiatischen Land mit dem Zweiten Weltkrieg verglichen werden - ha ha!? Und doch beginnt bereits hier, an dieser quasi-witzigen Stelle, die Lüge, geht es los mit der Geschichtsklitterung, denn tatsächlich wurden auf Vietnam, Laos und Kambodscha mehr Bomben abgeworfen, als im gesamten Zweiten Weltkrieg auf allen anderen Kriegsschauplätzen zusammen. Und es war auch nicht irgend ein kleiner Krieg, von dem man nur vom Hörensagen etwas vernahm, wenn draußen, weit hinter der Türkei, die Völker aufeinander schlagen.

Nein, es war Amerikas epochaler Überfall auf Vietnam, bei dem Amerika den Kürzeren zog (was Tom Wolfe, 2016, als er sein Buch schrieb, natürlich wissen musste, oder gar nicht anders konnte, als es zu wissen) und für den sich die Supermacht, der unangefochtene Bully auf dem internationalen Schulhof, zu keinem Zeitpunkt seither entschuldigt hat oder Reparationen zahlte.

Aber nochmal, weil es leicht so klingen könnte, als hätte ich hier Tom Wolfe absichtlich ans Bein gepinkelt, oder ihn absichtlich als bösartigen Propagandisten der damaligen oder heutigen US-Regierung dargestellt. Nochmal das Originalzitat, auf Englisch: "[Chomsky] knew how to exploit a tremendous stroke of luck." Wolfe stellt Chomsky als jemanden dar, der den Vienamkrieg als "eine supergünstige Gelegenheit" wahrnahm und zweckentfremdete [exploit, ausnutzte], um sich selber zu profilieren. Ohne Chomskys Einmischung, so suggeriert Wolfe, hätte das amerikanische Volk gar nicht mitgekriegt, dass die USA in einen Krieg mit so einem kleinen Land verwickelt waren.

Mehr noch, ohne Chomsky hätte der Krieg im Handumdrehen gewonnen werden können. So aber entfachte er - Chomsky, ganz allein - den massiven Widerstand in der Bevölkerung, der dazu führte, dass der Krieg sich immer weiter hinzog und schließlich mit dem amerikanischen Verlust endete. Die spaßelnde Bagatellisierung des Vietnamkriegs, seine Namenlosigkeit [Unerwähntlassung von Vietnam, Laos, Kambodscha], der bewusst verneinte Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg, sowie die beiläufig ausgelassene Kriegsschuld Amerikas - klingen für europäische Ohren, und nicht nur für diese, wie die Argumente eines Holocaustleugners.

Was will der Mann mit der weißen Weste denn nun eigentlich von Chomsky, was will er von Charles Darwin? Wozu die bewusste Diffamierung zweier so disparater Männer?

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