Das Lied der Steine
Was Architektur über Politik aussagt – und was nicht
Wichtiger als jede Tat ist der Eindruck, den sie erweckt. Das gilt, man glaubt es kaum, sogar für das Bauen. Was ja unlängst die giftige Debatte über "rechte Räume" erneut illustriert hat. Wobei es, wie der Kunsthistoriker Martin Warnke einmal anführte, ein latentes Strukturprinzip der Architekturgeschichte zu sein scheint, dass Bauten sich weniger einem Harmoniebedürfnis verdanken als einem Überbietungswillen.
Wenn nun etwa das namhafte österreichische Büro Coop Himmelb(l)au einen futuristischen Entwurf für ein Mehrspartenhaus für Oper, Theater und Ballett in Sewastopol auf der (völkerrechtswidrig annektierten) Krim liefert, dann trumpft es gehörig auf – und zwar für das System Putin. Dafür ist das Büro – zurecht – heftig kritisiert worden. Doch in der Regel verhält sich die Architektur nun einmal affirmativ gegenüber einer bestehenden Ordnung. Im folgenden drei Thesen, um diese komplizierte Beziehung etwas auszuleuchten.
1. Architektur als politische Ikonographie hat allenfalls eine glaubwürdige Basis in der Vergangenheit
Ob nun die neue Altstadt in Frankfurt, die Hamburger Bornplatzsynagoge oder das Berliner Schloss: In den hochemotionalen, doch irgendwie auch ermüdenden Debatten über Rekonstruktionen schwingt stets auch die Auffassung mit, dass gebautes Bild und Ausdruck unserer Gesellschaft ist. Doch so einfach darf man sich die Sache nicht machen. Denn die Annahme, dass Bauformen unmittelbar politische Ideale zum Ausdruck bringen oder gar die gesellschaftliche Wirklichkeit beeinflussen, basiert auf einem mythischen Bewusstsein.
Und das gipfelt dann in der Behauptung, dass eine gläserne Fassade Transparenz oder die Absenz des Orthogonalen Freiheit bedeute, dass Säule und Risalit Diktatur darstellen und Symmetrie dem Absolutismus Vorschub leiste. Was erkennbar in die Irre führt. Andererseits verfügt die Architektur tatsächlich über eine potenzielle, über das unmittelbar Bauliche hinausgehende Bedeutung. Und natürlich sind Gebäude immer wieder als Ausdruck politischer Selbstdarstellung benutzt – oder doch interpretiert – worden, gerade im selbstverliebten Berlin der letzten drei Jahrzehnte. Darf man daraus ableiten, Architektur sei politische Ikonografie?
Zu Zeiten des sogenannten Dächerkrieges, als sich Ende der 1920er Jahre die Parteien anhand der Zehlendorfer "Onkel-Tom-Siedlung" von Bruno Taut und den nebenan liegenden Häusern "Am Fischtal" publizistisch bekämpften, waren solche Zuschreibungen zumindest einfacher. Was aber sagt uns die Rekonstruktion der Reichstagskuppel in dieser Hinsicht? Je mehr Interpretationsmodelle angeboten werden, desto deutlicher wird die Beliebigkeit der Lesarten.
Wie Spiegel werfen die Baukörper Positionen und Polemiken zurück und verändern ihre vermeintliche Botschaft, je nachdem, wer sie betrachtet und wertet. Unschärfe ist vielen architektonischen Codes inhärent.
Gewiss ist es ein usurpatorischer Akt, wenn eine der letzten Amtshandlungen des Präsidenten Donald Trump darin lag, per Dekret einen "klassischen" Stil für amerikanische Regierungsbauten zu verordnen. Der Entwurf dieser Rechtsverordnung lautet "Making Federal Buildings Beautiful Again", was nicht zufällig an sein "Make America Great Again" erinnert.
Demnach müssten die bundesstaatlichen Gebäude der USA – insbesondere Parlamentsbauten oder Gerichte – ab einer bestimmten Größe künftig in einer traditionalistischen Art und Weise neu gebaut oder umgestaltet werden. Trump wünschte sich "Würde, Kraft und Stabilität" (dignity, vigor and stability) zurück, also die sowohl politischen als auch ästhetisch-architektonischen Werte der Gründervätergeneration. Dass ausgerechnet der Mann, der sein Land schon um so viel Würde gebracht hatte, die Dignität am Bau einforderte, kann man nur als beißend ironische Pointe der Weltgeschichte lesen. Aber ist es mehr als ein Statement, mit dem ein abgewählter Präsident sein gesellschaftliches Idealbild, das für ihn handlungsleitend sein mag, vor aller Augen führt?
Und welcher Befund ergibt sich, wenn man auf die vielen Nachschöpfungen von Bauten und stadträumlichen Situationen schaut? Darüber ist, seit in der alten Bundesrepublik und verstärkt im wiedervereinigten Deutschland Rekonstruktionen von Gebäuden als Mittel der Stadtreparatur betrieben und ganze Altstädte wie in Dresden historisch aufpoliert werden, viel gestritten und geschrieben worden.
Winfried Nerdinger, an dessen Wachsamkeit gegenüber neofaschistischen Umtrieben kein Zweifel besteht, hat in dem von ihm viele Jahre lang geleiteten Münchner Architekturmuseum 2010 eine Ausstellung zum Thema Rekonstruktion gemacht, bei der dem Besucher die Augen übergehen konnten angesichts der Vielfalt und Selbstverständlichkeit, mit der in den unterschiedlichsten Zeiten und Kulturen gebautes wiedererrichtet worden ist, oft, ohne dass dies als Besonderheit bemerkt oder gar problematisiert worden wäre.
Die "neue" Frankfurter Altstadt beispielsweise mag allen gefallen, die es gern gemütlich und eng und schnuckelig haben und auch andernorts nur zu gern den blauen Tourismus-Schildern "Altstadt" folgen. Fachwerk, Spitzgiebel, Erkerchen, Schmuckfiguren scheinen zu genügen, um ikonografische Bedeutsamkeit durch ästhetisch vertraute Behaglichkeitschiffren zu ersetzen. Darüber kann man sich natürlich zu Recht mokieren – aber bitte nicht ernsthaft folgern, dass eine Fassade oder eine stadträumliche Komposition heute sehr viel aus über die tatsächlich ausgeübte politische Macht aussagt.
2. Politik hat sich weniger in Form und Stil der Architektur zu manifestieren als vielmehr in der Art und Weise ihres Zustandekommens
Schon eine oberflächliche Betrachtung der Baukunst im 20. Jahrhundert zeigt, dass monumentales Bauen – mit erkennbarer Vorliebe für Symmetrie und Naturstein – quer über alle Staatswesen gängig war, wie umgekehrt die bewusst luftige, aufgelockerte Architektur der 1950/60er Jahre ihrerseits in politisch konträren Systemen Anklang fand. Indem Architektur im 20. Jahrhundert wie nie zuvor in den Dienst von Herrschaft genommen wurde, kann man sie kaum als "unschuldig" betrachten. Weil aber offen bleibt, wessen sie konkret schuldig zu sprechen ist, sollte man vielleicht die Perspektive ändern.
Vor fünfzig Jahren schrieb der Kulturwissenschaftler Lucius Burckhardt darüber, wie Architektur bei der Lösung von Problemen missbraucht wird. Sie gibt den Anschein, die Probleme zu lösen, was aber nur dann funktioniert, wenn das Problem auf das reduziert wird, was ein Gebäude leisten kann. Die Summe des vermeintlich Unwesentlichen, das bei dieser Verfahrensweise unter den Tisch falle, schaffe neue, größere Probleme, so Burckhardt. Mit anderen Worten: aus einem Problem macht man ein Programm. Ein momentaner Zustand wird einer "dauernden Lösung" zugeführt, womit man freilich dessen weitere Entwicklung blockiert. Das in Architektur gemeißelte Bild friert damit tendenziell den Entwicklungsprozess ein.
Auf die "politische Architektur" hat der Staatsrechtler Adolf Arndt in seinem berühmten Vortrag "Demokratie als Bauherr" die Aufgabe so definiert: "Demokratie muss das Unsichtbare sehen lassen, dass die Menschen ihrer selbst in diesem Miteinander ihres Menschlichseins, ihrer Gesellschaft, ihrer Gemeinschaft ansichtig werden. Die demokratische Aufgabe des Bauens ist, dass ein jeder Mensch sich als Mensch für sich und Mensch im Gefüge gewahrt."
Zu Recht ist beklagt worden, dass die einseitige Berücksichtigung rationaler Kriterien in der Architektur deren Leistung entwertet und sie vom Massenpublikum abgeschnitten hat – weil sie die Kraft, das Gefühl zu erreichen, verlor. Demgegenüber notwendig sei eine Architektur, die unser eingefahrenes kulturelles System in produktiver Weise erschüttere. Indes, ist das mehr als eine vage Sehnsucht? Stichwort Verwaltungsgebäude: Gibt es überhaupt eine ausgewogene Balance zwischen gestalterischem Anspruch und dem sparsamen Umgang mit öffentlichen Mitteln?
Ist nicht die zeitgenössische Anspruchshaltung im Verhältnis zwischen Politik und Architektur ambivalent? Der viel zitierte Steuerzahler posiert zwar voller Stolz vor den Baudenkmälern der Vergangenheit, aber öffentlichen Bauten der Gegenwart sollen lieber beim Investor zum niederen Stückpreis von der Stange erworben werden. Um dieses Dilemma zu überwinden, braucht es eine klare Arbeitsteilung: Der öffentliche Bauherr hat zu definieren, was er will, ein Verfahren zu wählen, das so zweckdienlich wie nötig und so transparent wie möglich ist – und dann aber den Stab weiterzureichen an die Fachwelt.
Weil die Architektur dem Ideologievorwurf eigentlich nicht entgehen kann – sie wird ja stets "in Dienst genommen", von Herrschern, Konzernen, Parteien, von wem auch immer –, sollte weniger ihr ikonografischer Gehalt als vielmehr die Art und Weise ihres Zustandekommens diskutiert und problematisiert werden.
3. Es ist gleichwohl gefährlich sich vom Anspruch zu verabschieden, mit einer "besseren" Architektur auf eine "bessere" Gesellschaft hinzuarbeiten
Die epochale Leistung der Avantgarde zu Beginn des 20 Jahrhunderts lag, mit den Worten von Franz Dröge und Michael Müller, darin, Modelle zu entwickeln, in denen "der Anspruch auf eine Demokratisierung des Anteils des Ästhetischen am Leben mehr ist als der bloße Reflex ökonomischer Interessen". Gerade die fortschrittlichen Architekten damals wollten die Welt, so wie sie ist, zunächst einmal ungeschminkt zur Kenntnis nehmen, sich auf sie einlassen – um sie letztlich zu verändern.
Davon hinübergerettet ins Heutige hat sich eher wenig. Wir sind, der Postmoderne sei Dank, von einem Artenreichtum der Stile und Formen umgeben, der ausschließlich den Gesetzen der Mode folgt: Heute hui, morgen pfui! Von der sinnstiftenden Ganzheit durch eine gelungene Architektur kann die Rede nicht mehr sein. Und unsere gesamte Wirklichkeit wird mehr und mehr in eine Zeichenwelt umgewertet. In diesem komplexen und allumfassenden Prozess hat die Baukultur augenscheinlich einen schweren Stand. Folgerichtig darf man ihre Aufgabe auch keineswegs darin sehen, dass sie gesellschaftlich nicht vorhandene Leitbilder auf formalem Wege erzeugt. Das wäre verfehlt.
Freilich, eine allzu defensive Haltung ist auch nicht angemessen: Schließlich ist es ja nicht unangemessen zu behaupten, dass gesellschaftliche Entwicklung auch in und mit Architektur und Urbanismus entschieden wird. Als der preisgekrönte spanische Architekt Andrés Jaque bei einem Interview mit der NZZ gefragt wurde, welche Rolle das Bauen seiner Meinung nach spielen sollte, formulierte er unmissverständlich:
Architektur beeinflusst unser Verhältnis zu Zeit, Natur, Geld und Arbeit. Sie formt die Beziehungen zwischen den Geschlechtern sowie unser Privatleben. Architektur konstruiert die Gesellschaft. Wir wollen sozial inklusive Lebensformen fördern und die wirtschaftliche und landschaftliche Vielfalt eines Ortes stärken. Wir wollen - fast wie Aktivisten - alle Bereiche unseres Alltags verbinden und so eine Welt schaffen, in der die Menschen sich wieder wohl fühlen können
Fraglos klingt so etwas pathetisch. Aber wenn es nicht gelingt, für Hoffnung in marginalisierten Hochhaussiedlungen der Vorstädte oder in schrumpfenden Regionen zu sorgen, wenn der städtische Raum im Zentrum immer teurer und touristischer wird, wenn bezahlbarer und geeigneter Wohnraum nicht ausreichend zur Verfügung steht, wenn die innerstädtischen Plätze – einst "Orte für alle", zentrale Voraussetzung fürs kollektive Wohlbefinden, aber auch Bühnen von Revolten – weiter veröden oder zu Präsentiertellern für Reiche und Touristen verkommen, dann wird hier ein gewaltiges Defizit manifest.
Es mag ja sein, dass Architekten heute nicht die alleinigen und definitionsmächtigen Akteure sind; aber mehr als ein Herold, der bloß Entwicklungen registriert, darf es schon sein. Weder für Planer noch Politiker ist die Architektur ja etwas, das vom Himmel fällt – oder wie ein Virus über einen kommt. Natürlich kann man sie beeinflussen.
Sämtliche Ordnungen des Lebens sind, in der ein oder anderen Form, mit Macht besetzt oder von ihr flankiert. Zugleich gibt es einen unauflöslichen Zusammenhang von formal–ästhetischem Ausdrucksmittel und jeweiligem Deutungsmuster. Ob Architektur im multimedialen Zeitalter noch politische Ordnung spiegeln – oder gar stabilisieren – kann, ist und bleibt zwar eine konfliktträchtige Frage. Wenn es aber gelingt, das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich der Wechselwirkung von Gesellschaft und gebauter Umwelt zu schärfen, dann wäre das fraglos ein Gewinn.
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