Das Märchen von der palästinensischen Kompromisslosigkeit

Grenze bei Mas'Ha. Bild (2004): Justin McIntosh/ CC BY 2.0

Trumps "Friedensplan" und die Erzählung von den verhandlungsrenitenten Palästinensern, die keinen Staat bekommen, weil sie seit Jahrzehnten auf Maximalpositionen verharren. Ein Kommentar

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Trumps "Friedensplan" für den Nahen Osten war nur wenige Stunden alt, da hatten ihn die Palästinenser schon abgelehnt. Einmal mehr lieferte die palästinensische Führung damit den Beleg für ihre eigene Kompromisslosigkeit. Eine Bande Fanatiker, die lieber weiter von der Vision eines judenfreien Palästinas träumt, als zum Wohle des eigenes Volkes Kompromisses einzugehen. Eine machthungrige Clique, die seit Jahrzehnten alles fordert und allein deshalb am Ende nichts bekommt.

So zumindest geht die Erzählung, die Kommentatoren und Spin-Doktoren seit vergangener Woche in die Welt setzen. Doch das Klischee der palästinensischen Verhandlungsrenitenz ist in etwa so wahr, wie Trumps einseitiger Vorschlag, die israelische Besatzung unter neuem Namen fortzusetzen, irgendetwas mit "Frieden" und "Zweistaatenlösung" zu tun hat.

In Wahrheit waren die palästinensischen Führungen der vergangenen Jahrzehnte immer wieder bereit, für Selbstbestimmung und Frieden weitreichende Kompromisse zu machen. Bekommen haben sie beides dennoch bis heute nicht.

Warum Palästinenser den UN-Teilungsplan von 1947 nicht abgelehnt haben

Die Erzählung von der palästinensischen Verhandlungsrenitenz beginnt meist im Jahr 1947. Am 29. November legten die Vereinten Nationen ihren Teilungsplan für Palästina vor. Aus damaliger Sicht hatten die Palästinenser allen Grund, den Plan abzulehnen.

Obwohl sie die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten, sollte ihr Staat nur 44 Prozent der Fläche ausmachen. Während dem israelischen Staat fast alle Regionen mit jüdischen Bevölkerungsanteil zugeschlagen wurde, sollte ein Großteil der arabischen Bevölkerung in Israel leben. Über Nacht sollten sich damit Hunderttausende Bewohner des Landes unter einer politischen Führung wiederfinden, die sie nie gewollt und deren Milizen sie seit Jahren bekämpft hatten.

Doch trotz der für Palästinenser sehr ungünstigen Ausrichtung des Teilungsplans: Nicht alle arabischen Akteure der Region lehnten ihn ab. Der Premierminister Jordaniens und spätere Gouverneur über die jordanisch besetzten palästinensischen Gebiete, Hashem Pasha, stimmte dem Teilungsplan ebenso wie der arabische Bürgermeister Jerusalems Ragheb Bey. Von einer palästinensischen Ablehnung lässt sich auch allein deshalb nicht sprechen, weil es gar keine einheitliche palästinensische Führung gab, die sich zum Teilungsplan verhalten konnte.

Die Erzählung von den Palästinensern, die ihre Möglichkeit auf Selbstbestimmung verstreichen ließen, während die Juden ihre historische Chance nutzen, hat auch noch einen weiteren Haken: Auch auf jüdischer Seite gab es keine einheitliche Zustimmung zum Teilungsplan.

Vielen zionistischen Gruppen ging der Plan nicht weit genug. Menachem Begin, der damals mit der Irgun-Miliz die wichtigste bewaffnete Organisation des Zionisten befehligte und später zum Premierminister gewählt wurde, lehnte den Plan ebenso ab wie David Ben-Gurion. Am 7. Juli 1947 erklärte der spätere Staatsgründer Israelis in einer Rede vor der UN-Generalversammlung:

Palästina ist in drei Teile geteilt und nur in einem kleinen Teil ist es Juden erlaubt zu leben. Wir sind dagegen.

David Ben-Gurion

Auch die Realität jenes israelischen Staates, den Ben-Gurion am 14. Mai 1948 ausrief, hatte nichts mit den Bestimmungen des UN-Teilungsplans zu tun. Weder der geplante Grenzverlauf noch die Vorgabe, Jerusalem unter internationale Kontrolle zu stellen, wurden jemals verwirklicht. Auch an die Vorgabe, allen gesellschaftlichen Gruppen gleiche bürgerliche Rechte zu gewähren, hielt sich die neue israelische Regierung nicht.

Stattdessen stand die arabische Bevölkerung Israels, die Krieg und Vertreibungen überstanden hatte, bis 1966 unter Militärrecht. Und anstatt, wie vom Teilungsplan vorgesehen, 56 Prozent machte der Staat Israel am Ende seines Unabhängigkeitskrieges 78 Prozent des historischen Palästinas aus.

Der nahöstliche Friedensprozess begann mit einem historischen Entgegenkommen der Palästinenser

Es folgten Jahrzehnte, in denen eine israelisch-palästinensische Einigung schon daran scheiterte, dass man sich gegenseitig nicht anerkannte. Das galt für die palästinensische ebenso wie für die israelische Seite. Palästinenser als legitimes politisches Subjekt kamen in der israelischen Politik bis in die 90er Jahre schlichtweg nicht vor. Beispielhaft für das Verständnis jener Zeit ist eine Äußerung der israelischen Premierministerin Golda Meir vom 8. März 1969:

Wie können wir die besetzten Gebiete zurückgeben? Da gibt es keinen, dem wir diese zurückgeben können. So etwas wie Palästinenser gibt es nicht.

Golda Meir

Auch politische Lösungsvorschläge, die irgendeine Art der politischen Selbstbestimmung für Palästinenser vorsahen, gab es lange Zeit keine. Sieht man von immer wiederkehrenden Forderungen nach ethnischen Säuberungen ab, war die einzige relevante Idee, das Problem dauerhaft zu lösen, bis in die 1980er die sogenannte "Jordanische Option". Diese sah die Angliederung palästinensischer Bevölkerungszentren an das Königreich Jordanien und die Annexion des restlichen Landes an Israel vor.

Auch auf palästinensischer Seite dauerte es, bis man sich mit den realpolitischen Zuständen abgefunden hatte. Hatte die 1964 gegründete PLO anfangs noch den Anspruch auf das gesamte Palästina bekräftigt, begann sich in den 1970ern langsam die pragmatische Einsicht durchzusetzen, dass Selbstbestimmung bestenfalls in den Grenzen von 1949 möglich war: Also jenen 22 Prozent des historischen Palästinas, die heute als Westjordanland und Gazastreifen bezeichnet werden und die Israel 1967 im Sechstagekrieg besetzt hatte.

Diese Einsicht manifestierte sich schließlich in der "Palästinensischen Unabhängigkeitserklärung" von 15. November 1988. Der Palästinensische Nationalrates lehnte dort nicht nur "jegliche Form des Terrorismus" ab, er erkannte Israel auch erstmals implizit an und schuf so die Grundlage zu Verhandlungen über die neugeborene "Zweistaaten-Lösung".

Es war dieser schmerzhafte Schritt der Palästinenser, auf - aus ihrer Sicht - 78 Prozent des historischen Palästinas zu verzichten, der den Weg zum heutigen "Friedensprozess" im Nahen Osten überhaupt ermöglichte. Dieses historische Entgegenkommen der Palästinenser war so groß, dass Israel schließlich dem internationalen Druck nachgeben musste, die Palästinenser zumindest als Gesprächspartner anzuerkennen.

Fünf Jahre später und nach monatelangen Geheimverhandlungen im norwegischen Oslo folgte am 13. November 1993 schließlich auch offizielle der Beginn des israelisch-palästinensischen "Friedensprozess". In der sogenannten "Prinzipienerklärung" erkannten sich PLO und Israel erstmals offiziell gegenseitig an.. Es war der Startpunkt eines jahrzehntelangen Verhandlungsprozess, der gewissermaßen bis heute andauert. Begonnen hatte er mit palästinensischer Kompromissbereitschaft.

Als die Palästinenser Völkerrecht gegen Verhandlungen tauschten

Wie groß dieser Schritt war, lässt sich noch an einem weiteren Aspekt festmachen: Nicht nur hatten die Palästinenser den Staat Israel anerkannt, sie hatten auch die Verwirklichung eines eigenen palästinensische Staates in die Hände Israels gelegt. Seit der Prinzipienerklärung ist die Realisierung palästinensischer Selbstbestimmung exklusiver Gegenstand israelisch-palästinensischer Verhandlungen.

So wurde es in zahllosen Vereinbarungen immer wieder festgeschrieben. Ein völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Selbstbestimmung hatten die palästinensische Führung damit eingetauscht gegen Verhandlungen mit ungewissem Ausgang.

Denn die Frage palästinensischer Souveränität hatten die Vereinten Nationen längst eindeutig beantwortet. Das Recht auf Selbstbestimmung ist weder etwas, das sich die Palästinenser ausgedacht haben, noch ist es abhängig von israelischer oder amerikanischer Zustimmung. Es ist ein völkerrechtlicher Grundsatz, der in Artikel 1 der UN-Charta niedergeschrieben ist.

Dass dieses Recht auf Selbstbestimmung auch für Palästinenser gilt, hatten die UN in mehreren Resolutionen bestätigt. In Resolution 2792 der UN-Generalversammlung aus dem Jahr 1971 heißt es zum Beispiel: "... the people of Palestine are entitled to equal rights and selfdetermination in accordance with the Charter of the United Nations."

Eine Einschätzung, die bis heute Gültigkeit hat, und die zum Beispiel vom Internationalen Gerichtshof im Jahr 2004 bestätigt wurde.

Auch auf die Frage, wo diese Selbstbestimmung stattfinden sollte und wie Frieden in Nahost zur erreichen sei, hatte das Völkerrecht längst eine eindeutige Antwort. In Resolution 242 vom 22. vom November 1967 forderte der UN-Sicherheitsrat erstmals den Rückzug der israelischen Armee aus den 1967 besetzten Gebieten als Grundlage eines "gerechten und andauernden Friedens".

Wie der Nahost-Konflikt zu lösen sei, hatte Internationales Recht längst eindeutig vorgegeben. Doch die Palästinenser beließen es nicht dabei, sich auf UN-Resolutionen zu berufen, die ihnen längst einen Staat in den Grenzen von 1949 versprachen. Stattdessen wussten sie um die realpolitischen Gegebenheiten der Region und gingen auf Israel zu.

Der Schritt der Palästinenser, die Umsetzung des eigenen völkerrechtlich verbrieften Recht auf Selbstbestimmung vom Wohlwollen israelischer Politiker abhängig zu machen, ist vielleicht das größte Entgegenkommen in der Geschichte des Nahostkonflikts. Und es ist eine Entscheidung, die die palästinensische Gesellschaft bis heute tief entzweit.

Der Mythos vom "großzügigen Angebot" in Camp David

Belohnt wurde dieser Schritt nicht. Die von EU und USA befeuerten Hoffnungen, israelisch-palästinensische Verhandlungen würden nicht nur schnell zu palästinensischer Selbstbestimmung, sondern auch zu Frieden und Wohlstand im Nahen Osten führen, erfüllten sich nicht.

Stattdessen gingen die "Friedensjahre" von Oslo einher mit immer mehr Gewalt, wirtschaftlicher Not und einem immer rascher voranschreitenden Ausbau israelischer Siedlungen. Es dauerte bis zum 5. Juli 2000 bis sich nach unzähligen Verhandlungsrunden, Konferenzen, Eskalationen und Versöhnungen Israelis und Palästinenser schließlich zu den sogenannten "Endstatusverhandlungen" im amerikanischen Camp David trafen.

Als diese knapp drei Wochen später ergebnislos endeten, setzte sich schnell die Deutung durch, wonach fehlende palästinensische Kompromissfähigkeit die Verhandlungen zum Scheitern geführt habe. Fast schon sprichwörtlich für die ungleiche Verhandlungsbereitschaft im Nahostkonflikt steht seitdem "Barak's Generous Offers" - also das vermeintlich großzügige Angebot des israelischen Premierministers Ehud Baraks, das an einem einen starrköpfigen Jassir Arafat abgeprallt sei. Bis heute gilt das Scheitern von Camp David vielen als der ultimative Beleg für die Unfähigkeit der Palästinenser, Kompromiss einzugehen.

Gedeihen konnte dieser Mythos auch deshalb so gut, weil die Verhandlungen aufgrund ihres Scheiterns keine Abschlussdokumente hinterlassen haben und so politisch motivierten Verzerrungen Raum gegeben wurde.

Mehrere Leaks von zuvor unter Verschluss gehaltenen Präsentationen, Gesprächsprotokollen und Briefwechseln (v.a durch al-Jazeera und dem Guardian, aber auch Haaretz) haben in den vergangenen Jahren diese Lücke geschlossen. Sie zeigen, zu welchen weitreichenden Konzessionen die palästinensische Seite in Camp David bereit war. Gemeinsam mit zahlreichen mittlerweile erschienenen Memoiren und Interviews ergibt sich heute ein sehr viel realistischeres Bild der Verhandlungssituation in Camp David.

Demnach hat es Ehud Baraks "großzügiges Angebot" nie gegeben. Statt eines Palästinas in 97 Prozent der Westbank und des Gazastreifens, wie Politiker damals berichteten, umfasste das israelische Angebot vier palästinensische Kantone, die durch israelisch kontrollierte Straßen und Absperrungen voneinander getrennt sein sollten. Die größeren israelischen Siedlungsblöcke sollten ebenso unter israelischer Kontrolle verbleiben wie das Jordantal.

Eine palästinensische Regierung sollte weder über eigene bewaffnete Kräfte verfügen noch die eigenen Außengrenzen kontrollieren dürfen. Der Großteil von palästinensischer Außen- und Innenpolitik sollte auch in Zukunft von der Zustimmung Israels abhängig sein. Kurzgefasst: Statt eines souveränen Staates Palästinas schlug Barak die Fortführung der israelischen Besatzung unter anderem Namen vor.

Die noch größere Überraschung offenbaren die Dokumente allerdings auf palästinensischer Seite: Denn obwohl von wirklicher palästinensischer Selbstbestimmung nicht die Rede sein konnte, hatte Arafats Verhandlungsteam den meisten Punkten offenbar zugestimmt An welchem Punkt die Verhandlungen schließlich scheitern, ist bis heute nicht ganz sicher.

Womöglich ging es um den Zugang der Palästinenser zur al-Aqsa-Moschee und dem Felsendom in Jerusalem. Aber sicher ist: Auch in Camp David waren es die Palästinenser, die zugunsten von Frieden und Selbstbestimmung erneut zu weitreichenden Zugeständnissen bereit waren.

Als alle Arabischen Staaten und die Palästinenser Israel Frieden anboten

Auch israelische Medien und Politiker, die der palästinensischen Führung sonst kritisch gegenüberstehen, würdigen vereinzelt die Kompromissbereitschaft der palästinensischen Führung in den vergangenen Jahren. Um zu erklären, warum es dennoch keinen Friedensschluss gibt, verweisen sie stattdessen auf andere arabische und palästinensische Akteure wie Iran und Hamas, die einem Frieden entgegenstünden. Doch auch dieses Argument ist seit einigen Jahren hinfällig.

Am 27. März 2000 verabschiedete die Arabische Liga im Namen aller 22 arabischen Staaten die "Arabische Friedensinitiative". Für einen Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten sieht diese eine vollständige Normalisierung der Beziehungen zu Israel vor. Der Initiative schloss sich im Juni 2002 auch die Organisation für Islamische Zusammenarbeit an, die 57 Staaten inklusive des Iran vertritt. Im Jahr 2007 stimmte außerdem die Führung der Hamas der Initiative zu. Israel lehnt das Angebot bis heute ebenso ab wie zahlreiche anderen Initiativen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure, einen Frieden auf Basis von UN-Sicherheitsrat-Resolution 242 zu erreichen.

Gescheitert sind auch die letzten bekannt geworden Geheimverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern. Im Jahr 2011 zeigte ein Leak Hunderter Memos, E-Mails, Karten und Briefe, dass die palästinensische Führung offenbar noch einmal bereit war, über die Zusagen in Camp David hinauszugehen.

Demnach stimmten die palästinensischen Unterhändler im Jahr 2008 zu, auf das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge zu verzichten. Stattdessen sollte nur eine symbolische Zahl von 10.000 Palästinenser in ihre Heimat zurückkehren dürfen. Israel sollte zudem die meisten seiner Siedlungen annektieren dürfen.

Das Gebilde, das für einen palästinensischen "Staat" in diesen Verhandlungen übrig blieb, dürfte in vielerlei Hinsicht an jene verstreuten und fremdbestimmten Enklaven, die Donald Trump nun als seinen "Friedensplan" vorstellte.

Gescheitert sind die letzten bekannt gewordenen Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinenser vermutlich an der Verweigerungshaltung des damals neu gewählten israelischen Premierministers Netanjahu, dem selbst diese Pläne noch zu weit gingen. Gescheitert ist der Traum von palästinensischer Selbstbestimmung aber vielleicht auch an einer palästinensischen Führung, die zu so vielen Kompromissen bereit war, bis von einem palästinensischen Staat nichts mehr übrig war.