Das Militär und die Computerspiele
Britische Soldaten üben mit einer realistisch modifizierten Version des Computerspiels Half-Life, Grundlage für Counterstrike, also doch "Software fürs Massaker?
Counterstrike wurde nach dem Amoklauf von Erfurt von Manchen mitverantwortlich für die coole Killermentalität des Täters gemacht, der schnell und anscheinend mit hoher Treffersicherheit seine ehemaligen Lehrer erschossen hat. "Software fürs Massaker" titelte die FAZ populistisch (Die Wahrheit über das Massaker in Erfurt). Half-Life, das Counterstrike zugrunde liegt, wird in einer Version tatsächlich als Software zur Ausbildung von britischen Soldaten verwendet. Also doch eine Software fürs Massaker.
QinetiQ ist eine Firma, die aus der DERA, der Defence Research and Development Agency, dem britischen Pendant zur ARPA, entstanden ist. Sie hat Half-Life so verändert, dass der Ego-Shooter auch zur Schulung für Soldaten geeignet ist, die zumindest seit den Computerspielen, wahrscheinlich aber auch schon viel früher in das Edutainment eingestiegen sind. Übungen und Militärspiele gibt es zumindest schon so lange, wie man sich auf einen Krieg vorbereitet.
Spiele haben wie Manöver und andere Übungen den Vorteil, dass nur zum Schein, virtuell, getötet wird. Man hat also, mit mehreren Leben ausgestattet, eine bessere Chance zum Lernen und kann sich auf schwierige Situationen vorbereiten. Zumindest könnten halbwegs realistische Computerspiele bereits angelegte Erfahrungen und Reaktionen verstärken. Das britische Verteidigungsministerium hofft mit dem Qinetiq-Half-Life, nicht nur die Soldaten trainieren, sondern auch neue Waffen erst einmal virtuell testen zu können. Die Firma behauptet, das Spiel so verändert zu haben, dass die Soldaten in "realen Situationen" üben können. Die Soldaten wiederum könnten ihre "realen Fähigkeiten" einsetzen. Das klingt also ganz schön realistisch, so dass der Weg von der Simulation zur Wirklichkeit nicht groß zu sein scheint.
Im Spiel können bis zu acht Soldaten in den Kampf ziehen. Normalerweise spielen jeweils vier Spieler gegeneinander und versuchen, die gegnerischen Terroristen oder Mitglieder von Antiterror-Einheiten abzuschießen. Das kommerzielle Spiel ist also auch schon dem Kriegsszenario nach dem 11.9. gut angepasst.
Nach Major Bruce Pennell, der dem Logistics Corps der britischen Armee angehört, funktioniert die Qinetiq.Version ziemlich gut. Problematisch sei bei Computerspielen stets, sagte er gegenüber BBC, wie sehr man in diese eintauchen, also gewissermaßen die Distanz verlieren könne. Das sei bei dem militärisch modifizierten Half-Life der Fall:
"Für uns, besonders für mich als einen Beobachter aus dem Militär, ist klar, dass diese Burschen wirklich an dem beteiligt sind, das sie machen. Es ist nicht nur ein Spiel, das mit einer Tastatur und einer Maus gespielt wird. Sie wollen erfolgreich sein, genauso wie sie dies im wirklichen Training wollen."
Zwar sei es nicht ganz so schlimm, in der virtuellen Welt getötet zu werden, aber er hoffe, dass die Spiele zur Verstärkung des Lernens hinreichend "authentisch" sind. Mit Spielen und ihren simulierten Welten könne man Soldaten auch unmittelbar auf einen wirklichen Einsatz vorbereiten. Das aber könne, so Pennell, auch Probleme mit sich bringen, wenn denn die wirkliche Kampfumgebung nicht der virtuellen entspricht:
"Man muss sicherstellen, dass die Simulation so genau wie möglich ist. Was nicht geschehen sollte, ist, dass ein Soldat in der wirklichen Situation um eine Ecke rennt, um eine Tür zu finden, die es in der virtuellen Umgebung gab, aber er dann entdecken muss, dass es die Tür in der wirklichen Welt nicht gibt."
Das aber hieße, dass tatsächlich gewünscht wird, Simulation und Realität möglichst zur Deckung zu bringen und zugleich den Spieler möglichst weit in das Spiel eintauchen zu lassen. Dann bliebe möglicherweise an Differenz nur übrig, dass der Tod im Spiel nicht irreversibel ist. Just diese Linearität oder Unumkehrbarkeit zeichnet die Wirklichkeit oder das Leben aus, zumindest in vielen Hinsichten, gibt aber kein wirkliches Kriterium zur treffsicheren Kennzeichnung der (technischen) Simulation her. Schließlich spielt man ja auch im wirklichen Leben, und auch lernen kann nur funktionieren, wenn Situationen sich auf ähnliche Weise wiederholen, ohne gleich den Tod zu beinhalten. Irreversibel ist dann in feinerer Unterscheidung die genaue Konstellation von Erleben und Situation, die so nicht mehr wiederholbar sind.
Aber wahrscheinlich sind solche populärphilosophischen Überlegungen weit weg von den wirklichen Fragen. Auf den für die "Jugend" gestalteten neuen Seiten der Bundeswehr, die sich attraktiver machen will, kann man nicht nur das reale Leben von Soldaten im Auslandseinsatz virtuell nachvollziehen, sondern darf auch schon mal spielerisch eine Drohne fernsteuern. Mit Waffen ausgestattet ist sie freilich (noch) nicht. Wäre sie dies aber, und wäre das Spiel so realistisch wie von Pennell gefordert, dann ließe sich womöglich vom Spieler gar nicht mehr unterscheiden, ob er nur eine virtuelle oder eine wirkliche Drohne steuert und virtuelle oder wirkliche Feinde tötet, solange nicht die Irreversibilität etwa in Form des Absturzes der Drohne mit nachfolgendem schwarzen Bildschirm eintritt. Gleichzeitig wäre man selbst als derjenige, der aus der Ferne, womöglich geschützt in einem Bunker, die Drohne steuert, keiner unmittelbaren Gefahr ausgesetzt.
Spiel, Simulation und irreversible Wirklichkeit verschmelzen also tatsächlich in naher Zukunft, wenn wir in die schon lange angekündigten Virtuelle Realität mit angekoppelten ferngesteuerten Systemen in der wirklichen Welt eintauchen. Oder sollte man sagen: Wenn wir beginnen, aus den bislang simulierten Welten wieder in der Wirklichkeit aufzutauchen?