Das Mohammed-Video und die Welle der inszenierten Erregung
Extremisten führen gemeinsam im Schlagaustausch den Kampf der Kulturen auf und alle spielen mit. Was tun?
Während in Deutschland Pro Deutschland und andere rechte, antiislamische Gruppen wie Politically Incorrect die Gelegenheit nutzen, um mit einem vermeintlichen Kampf für Meinungsfreiheit über den Anti-Mohammed-Film und die vom Islam ausgehenden Gefahren auf sich aufmerksam zu machen, und in manchen islamischen Ländern die Extremisten ebenfalls für ihre Zwecke diesen Film ausbeuten, um den Hass auf den Westen zu schüren, schwimmt auch in Frankreich das Satiremagazin Charlie Hebdo, das sich schon der Mohammed-Karikaturen vor einigen Jahren bedient hat, auf der Welle der inszenierten Erregung mit und veröffentlicht neben Berichten über die islamistischen Meuten neue Mohammed-Karikaturen.
Der französische Außenminister Laurent Fabius ist besorgt und hat die Sicherheitsvorkehrungen für die Botschaften und Schulen in den islamischen Ländern verstärkt. Der Verlag ließ für den heutigen Erscheinungstermin des Heftes auch sein Gebäude sichern. Regierungsmitglieder sind gespalten. Fabius hat die Karikaturen verurteilt, der Regierungschef Jean-Marc Ayrault verweist auf den hohen Wert der Meinungsfreiheit, ruft aber jeden zu verantwortlichem Handeln auf. Schon zuvor wurde in Paris eine geplante Demonstration gegen das Mohammed-Video verboten, weil dieses aus einem anderen Land stammt.
Obgleich die ganze Aufregung für einen Außenstehenden eher ein schlechter Witz ist, laufen die Mechanismen der Aufmerksamkeitsmaschine dennoch wie geschmiert. Jeder weiß, was er zu machen hat, um die Spirale anzutreiben, die sich nicht nur durch Rufe nach Verboten, sondern auch durch jeden Aufruf zur Mäßigung schneller dreht oder zumindest am Köcheln gehalten wird. Das Perfide an dem Spiel ist, dass in den westlichen Ländern, in denen die Wutmuslime provoziert werden sollen, diese noch kaum zu finden sind, sondern man dank Internet und Satellitenfernsehen Menschen weit weg anstachelt, die in dem inszenierten, vom globalen Krieg gegen den (islamischen) Terrorismus gespeisten Krieg der Kulturen auch gerne mitspielen, in dem radikale Minderheiten auf beiden Seiten sich die Bälle zuspielen und den Rest der Gesellschaft auf die eine oder andere Weise für sich einspannen. Das Beunruhigende ist, dass nun auch Wenige oder gar Einzelne, die früher gar nicht zur Kenntnis genommen wurden, die Möglichkeit besitzen, global zu agieren und Aufmerksamkeit zu erregen, indem sie als Brandstifter agieren. Allein aufgrund der globalen Öffentlichkeit und Kommunikation werden Extremisten verstärkt, die sonst isoliert blieben.
Was also tun? Den Film verbieten, wie dies manche Politiker wollen und womöglich im Hinterkopf zu haben, hier eine Tür für weitere Zensurmöglichkeiten zu schaffen, ist keine Möglichkeit. Sie würde den rechten antiislamischen Zündlern nur weiter Aufmerksamkeit verschaffen, die sich wie die Nazis gerne als bekämpfte und verfemte, für die Freiheit eintretende Opposition sehen, obgleich sie alles andere als dies sind, sondern vor allem aggressive Ideologen des Kriegs der Kulturen. Und ein Verbot würde gleichzeitig die Islamisten stärken, weil sie sehen, dass sie ganze Gesellschaften erpressen können. Daher hat Michael Schmidt-Salomon sicherlich recht, wenn er im Interview mit Cicero strikt gegen eine religiös begründete Zensur eintritt:
Wir hatten eine ähnliche Situation ja schon vor 6 Jahren im Zuge des sogenannten Karikaturenstreits. Damals wurden die dänischen Karikaturisten beschuldigt, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Eine skandalöse Umkehrung des Täter-Opfer-Prinzips! Denn nicht die an Leib und Leben bedrohten Zeichner gefährdeten den öffentlichen Frieden, sondern die religiösen Fanatiker, die in ihrem Wahn Hunderte von Menschen töteten, nur weil sie unfähig waren, auf satirische Kunst in angemessener Weise zu reagieren. Schon damals traten konservative Politiker als Trittbrettfahrer des islamischen Fundamentalismus auf und wollten den sogenannten Gotteslästerungsparagrafen verschärfen. Ich gehe davon aus, dass dies in absehbarer Zeit wieder geschehen wird.
Um damit aber nicht die rechten Islamhasser zu unterstützen, schlägt er vor, einen dritten Weg zwischen reaktionärer Islamverteidigung und reaktionärer Fremdenfeindlichkeit zu gehen, sieht das Problem aber offenbar wesentlich in einer unaufgeklärten Religion. Das scheint jedoch eine hilflose Wendung an die Vernunft zu sein, der in dieser Frage sowieso die Mehrheit auch in den arabischen Ländern folgen dürfte, die aber die Extremisten beider Seiten eben gerade nicht beachten, sondern auf Gewalt aus sind.
Wie kann man der Aufmerksamkeitsfalle entgehen?
Der Rechtsextremismus-Experte Alexander Häusler meint hingegen im Deutschlandradio, man schenke den antiislamistischen Rechten von Pro Deutschland zu viel Aufmerksamkeit, wenn man gewissermaßen in einen Panik-Zustand verfällt, nur weil die unbedeutende Gruppe den ganzen Film zeigen will, der ansonsten wohl irgendwann auch allen über das Internet zugänglich sein wird. Diese Gruppen, so Häusler, pflegen in der Tat ein "marktschreierisches Kulturkampfszenario" und werden immer etwas finden, um zu provozieren, wie auch die Islamisten nicht diesen Mohammed-Film brauchen, um Wut und Hass zu schüren und in den Gewaltmodus erregter Meuten überzugehen. Jetzt sei Pro Deutschland allein mit der Ankündigung, den Film zeigen zu wollen, ein "medialer Coup" geglückt, "mit minimaler Aktion" wurde eine "maximale Aufmerksamkeit" erreicht. Pro Deutschland und andere Gruppen inszenieren nach Häusler einen Tabubruch, der Aufmerksamkeit erzeugt und dadurch Proteste hervorlockt. Wenn diese Proteste dann folgten, inszenierten sich diese Gruppen als "vermeintliche Opfer politischer Korrektheit." Im Unterschied zu Schmidt-Salomon empfiehlt Häusler, nicht auf diese Inszenierung hereinzufallen, sondern den instrumentellen Umgang dieser Gruppen mit der Meinungsfreiheit aufzudecken und sie zu isolieren.
Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp fordert hingegen erneut dazu, dass Medien nicht in die Aufmerksamkeitsfalle der Terroristen mit der altbekannten anarchistischen "Propaganda der Tat" laufen sollen. Er empfiehlt, nicht über solche Provokationen zu berichten, die er ebenfalls als "fiktive Instrumentalisierung" betrachtet. Wie schon nach dem Irak-Krieg, als al-Qaida-Terroristen Videos veröffentlichten, in denen sie Geiseln ermordeten, ist Bredekamp auch hier der Ansicht, dass es eine Pflicht der Medien nicht nur zum Nicht-Zeigen von Bildern, sondern auch zum Totschweigen gebe. Der Propaganda der Tat würde man mit der Geste der Unaufmerksamkeit, der Nichtbeachtung, begegnen. In der SZ sagte er: "Jede Form der Berichterstattung über Aktionen, die der Lehre von der Propaganda der Tat folgen, macht sich in einem schwer zu bestimmenden Grad zum Teilorgan und erfüllt so nolens volens die Intention der Täter." Die Medien müssten sich in jedem Fall einzeln "zwischen der Pflicht zur Berichterstattung und dem Nachgeben gegenüber dem Ansinnen der Täter" entscheiden.
Gewonnen wäre allerdings wenig, wenn nur ein Medium nichts berichten würde, es müsste eine weltweit konzertierte Aktion sein, die noch dazu hinter verschlossenen Türen als eine Art Verschwörung ausgeführt werden müsste, um nicht doch auch noch durch eine Begründung wieder den Tätern Aufmerksamkeit zu verschaffen. Praktikabel ist das nicht und natürlich auch nicht wünschenswert, weil die Menschen letztlich selbst darüber entscheiden können müssen, welche Informationen sie wie wahrnehmen, wenn man nicht in eine autoritäre Gesellschaft zurück will, in der die wie auch immer guten oder bösen Machthaber - oder nun Internetkonzerne wie Google - für das Volk entscheiden. Die Überlegungen von Horst Bredekamp machen aber zumindest wieder einmal deutlich, wie die Mechanismen der Aufmerksamkeit durch Medien, die kollektive Aufmerksamkeitsorgane sind, verstärkt werden und eigentlich nur durch das Ausschalten der Wahrnehmung unwirksam gemacht werden können, wobei aus dem Reizentzug bekanntlich wieder Träume und Halluzinationen entstehen.