Das Pentagon und die Folter

Das Verteidigungsministerium weist die Vorwürfe einer Beteiligung des medizinischen Personals an Misshandlungen in den Gefangenenlagern zurück, ACLU erwirkt vor Gericht, Freigabe von Pentagon-Dokumenten nach dem Informationsfreiheitsgesetz

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In der medizinischen Fachzeitschrift Lancet hat Steven H. Miles wie schon zuvor Robert Jay Lifton im New England Journal of Medicine (Abu Ghraib, die Folter und die Mitverantwortung der Ärzte) schwere Vorwürfe gegenüber dem medizinischen Personal der US-Streikräfte in Gefangenenlagern erhoben. Anstatt die Gefangenen vor Misshandlungen zu schützen, hätten sie nicht nur diese gedeckt, sondern sich teilweise auch daran aktiv beteiligt. Das Pentagon, dass den Folterskandal möglichst auf ein paar schwarze Schafe in Abu Ghraib zu beschränken versucht, weist die Vorwürfe zurück. Dass man dort an einer wirklichen Aufklärung nicht interessiert ist, zeigt auch, dass nun erst ein Gerichtsurteil notwendig war, um das Pentagon zu zwingen, Dokumente über die Behandlung von Gefangenen in Lagern im Ausland nach dem vorbildlichen amerikanischen Informationsfreiheitsgesetz herauszugeben.

Steven Miles hat für seinen Artikel zahlreiche Dokumente von Aussagen von Opfern über Berichte bis zu Medieninformationen ausgewertet. Bestätigt oder glaubwürdig berichtet sind für ihn Misshandlungen von Gefangenen im Irak und in Afghanistan, die mit "Schlägen, Verbrennungen, Schocks, Aufhängen des Körpers, Erstickung, Drohungen gegen die Gefangenen und ihre Verwandten, sexuelle Demütigung, Isolation, langes Tragen von Kapuzen oder Hand- und Fußschellen und Aussetzung an Hitze, Kälte und Lärm" verbunden sind. Dazu komme Schlaf- und Essensentzug sowie erzwungene Nacktheit. Gefangene seien auch zur Arbeit in Gebieten gezwungen worden, die noch nicht entmint waren, wodurch schwere Verletzungen verursacht wurden. Zwar sei der Missbrauch an Frauen kaum dokumentiert, aber es gebe glaubwürdige Berichte über sexuelle Demütigung und Vergewaltigung.

In Abu Ghraib sei das medizinische System nicht ausreichend mit Personal und Matreial ausgestattet gewesen. Hier wie anderswo sei nicht die nach den Genfer Konventionen vorgeschriebene Versorgung geleistet worden. Verletzungen wurden benutzt, um die Gefangenen zu quälen. Überdies habe das medizinische Personal geholfen, psychologischen und körperlichen Zwang bei Verhören ausüben zu können. So wären Ärzte bei Verhören, bei denen Folter eingesetzt wurde, anwesend gewesen. Beispielsweise wurde ein Gefangener, der bewusstlos geschlagen wurde, wiederbelebt, um weiter verhört werden zu können. Vor allem wurde wurden Krankheiten, Verletzungen, Verlegungen und Todesfälle nicht ordnungsgemäß berichtet. Spuren der Folter wurden nicht festgehalten, Todesurkunden manchmal gefälscht oder ihre Fertigstellung Monate lang hinausgeschoben. Häufig wurde einfach Tod durch Herzversagen attestiert. In einem Fall wurde ein Häftling an einer Tür aufgehängt und geschlagen. In der Todesurkunde stand, dass sein Tod "natürlich im Schlaf verursacht" wurde. Erst nach Medienberichten veränderte das Pentagon die Todesursache in Mord. Und auch ganz symptomatisch ist, dass vor Januar 2004, als intern die seit Monaten andauernden Misshandlungen bekannt geworden waren, keine Erwähnung in Aufzeichnungen des medizinischen Personals gefunden werden konnten.

Auf der anderen Seite haben Ärzte in Abu Ghraib bei US-Soldaten wegen der Bedingungen im Gefängnis Antidepressiva verschrieben und sich um Alkoholmissbrauch und sexuelles Fehlverhalten gekümmert. Auch so wurden die immer wieder beschriebenen unhaltbaren Bedingungen im Gefängnis für Wächter und Gefangene aufrecht erhalten. Bislang, so kritisiert Miles, hätte das Pentagon weder Berichte von Menschenrechtsorganisationen berücksichtigt oder die Rolle des medizinischen Personals untersucht. Lager, die nicht der Army unterstehen, seien sowieso außen vor geblieben. Durchgeführte Berichte oder Teile von diesen - wie 6.000 Seiten des Taguba-Berichts - werden geheim gehalten.

Medical personnel evaluated detainees for interrogation, and monitored coercive interrogation, allowed interrogators to use medical records to develop interrogation approaches, falsified medical records and death certificates, and failed to provide basic health care.

Steven Miles

Im Pentagon erklärt man, dass die Vorwürfe "schwerwiegend und weitreichend" seien, aber dass der Artikel "ungenaues Bild" gibt, "wie das medizinische Personal seiner Arbeit nachgeht und seine Pflichten erfüllt". Wie immer, wird zunächst einmal alles abgestritten. Die Untersuchungen seien zwar noch nicht abgeschlossen, so Pentagon-Sprecherin Ellen Krenke, aber "wir haben keinen Hinweis darauf, dass militärisches medizinisches Personal bei Misshandlungen von Befragern oder Wächtern kooperiert oder Misshandlungen gedeckt hat. Es gibt keine Beweise, dass Todesurkunden gefälscht wurden."

Ein Pentagon-Bericht über die Misshandlungen in Abu Ghraib, der nächste Woche veröffentlicht werden soll, wird zumindest den Kreis der Verantwortlichen ein wenig erweitern. Beteiligt daran sollen nicht nur ein paar Militärpolizisten sein, sondern die Misshandlungen seien das Ergebnis eines Fehlverhaltens, das bis in die höchsten Ränge hinein des US-Militärs im Irak reiche. es sei nicht ausreichend für Kontrolle und Disziplin gesorgt worden, auch sei zu wenig Personal im Gefängnis gewesen. Wie bislang bekannt wurde, dürfte sich aber auch durch diesen Bericht nichts wesentliches ändern. Empfohlen wird eine Klage gegen 20 Soldaten und Söldner, aber Offiziere sollen nicht belastet werden - und schon gar nicht die Führung selbst.

Geheimhaltungspolitik des Pentagon

Bürgerrechtsorganisationen haben in den USA einen wichtigen Erfolg dank des dort noch immer, trotz versuchter Einschränkungen durch die US-Regierung vorbildlichen Informationsfreiheitsgesetzes erzielen können. Das weist erneut darauf hin, wie wichtig ein - in Deutschland noch immer nicht existierendes Informationsfreiheitsgesetz für einen Rechtsstaat ist (Bürger für ein Informationsfreiheitsgesetz). Im Juni hatte die ACLU zusammen mit anderen Organisationen eine Klage gegen das Pentagon, die CIA, das FBI und andere Behörden eingereicht und gefordert, dass diese Informationen über die Behandlung von Gefangenen auf Militärstützpunkten im Ausland bekannt gibt. Nun hat ein New Yorker Bundesrichter die Regierung aufgefordert, die unter dem Informationsfreiheitsgesetz angeforderten Dokumente bis nächsten Montag freizugeben.

Die Klage basiert allerdings auf eine bereits im Oktober eingereichte Anforderung nach dem Informationsfreiheitsgesetz an das Pentagon und andere Behörden. Hier wurde auf Berichte verwiesen, dass möglicherweise Gefangene in Militärlagern gefoltert oder misshandelt bzw. Ländern übergeben worden sind, in denen gefoltert wird. Angefordert wurden Dokumente über die Behandlung und die Weitergabe von Gefangenen, um überprüfen zu können, ob die US-Regierung gemäß ihren Verlautbarungen und rechtlichen Verpflichtungen handelt.

Während das Außenministerium bald darauf einige Dokumente übersandte, blockierte das Pentagon in einer offensichtlichen Hinhaltetaktik die Herausgabe aller Dokumente, weil in diesem Fall keine "zwingende Notwendigkeit" für die Antragsteller vorliege, was dann der Fall sei, wenn Leib und Leben von diesem bedroht ist. Zudem seien die Bürgerrechtsorganisationen auch keine Organisationen, die primär Informationen verbreiten. Auf diesen Bescheid hin legten die Organisationen Widerspruch ein und legten ein Liste mit Dokumenten oder Hinweisen auf Dokumente vor. Sie sei allerdings notwendigerweise nur ein Bruchteil der vermutlich vorhandenen, die man aber nicht nennen kann, weil sie geheim gehalten werden.

Wir haben die Anfrage vor fast einem Jahr eingereicht", so Jameel Jaffer von ACLU, "und wir haben die Befürchtung, dass andauernde Geheimhaltung der Häftlings- und Befragungspolitik der Regierung es ermöglicht, dass die Misshandlungen fortgesetzt werden können.

Der New Yorker Richter hat nun entschieden, dass das Pentagon die verlangten Dokumente bis Montag freigeben und eine Liste mitsamt einer Erklärung für diejenigen Dokumente erstellen muss, die geheim gehalten werden sollen, nicht gefunden werden können oder zu einem späteren Termin herausgegeben werden. Das Pentagon hatte argumentiert, die Freigabe habe sich durch den großen Umfang der Anfrage verzögert, was der Richter aber zurück wies: "Die Informationen mögen unerfreulich sein. Es einem Vorgang wie diesem zu erlauben, sich so lange hinzuziehen, bis er zum Gegenstand eines Prozesses wird, scheint kein Beispiel für eine gute Sensibilität und Urteilsfähigkeit zu sein."