Das Rumänien des 21. Jahrhunderts?
Kalifornien hat Probleme mit der Stromversorgung
Im Sozialismus galten Mängel in der Stromversorgung als eines der wichtigsten Zeichen für einen baldigen Untergang des Systems. Ist jetzt der deregulierte Kapitalismus genauso weit? Seit letztem Dienstag sieht sich die Bevölkerung des kapitalistischen Wunderlandes Kalifornien mit einem "Stage 3 Power Alert" konfrontiert. Das bedeutet, dass per Zufallsprinzip mal hier, mal dort der Strom für einige Stunden abgestellt werden kann. Das trifft Privatverbraucher genauso wie Betriebe, nur lebensrettende Einrichtungen wie Feuerwehr, Polizei, Krankenhäuser oder Flugwacht bleiben von den willkürlichen Einstellungen verschont. Für die Betroffenen zweifellos eine sehr harte Maßnahme - schließlich erlebt Kalifornien, mit 33 Millionen der bevölkerungsreichste Staat der USA, derzeit einen unerwartet kalten Winter.
1996 wurde beschlossen, die Stromversorgung Amerikas zu regulieren - dabei wurde das Tempo der Umsetzung den einzelnen Staaten überlassen. Kalifornien hat unter der Regierung von Pete Wilson als erstes begonnen, seine Stromversorgung den neuen Maßgaben entsprechend zu reformieren. Die Deregulierung - also der Wegfall von staatlich festgesetzten Strompreisen - hat dazu geführt, dass die kalifornischen Stromversorger in Erwartung von sinkenden Preisen Kapazitäten abbauten. Eine realitätsferne Vorgehensweise, wenn man sich entsprechende Statistiken ansieht: der Strombedarf ist seit 1992 in Kalifornien unterm Strich um 25 Prozent gestiegen, das Stromangebot allerdings nur um 6 Prozent. Auch der Bau von neuen Kraftwerken war seit der Deregulierung kein Thema mehr. Kalifornien produziert heute nur noch die Hälfte seines Strombedarfs selbst.
Besonders bizarre Formen nahm der Fall in San Diego an, wo als erstes auch die Preise für den Endverbraucher dereguliert wurden. Entgegen aller Pläne hatte der jedoch nichts davon, denn durch die Stromknappheit haben sich die Preise verdoppelt bis verdreifacht. "California Independent System Operator" (CAISO), die Behörde, die das gesamte kalifornische Stromnetz koordiniert, hat den Verbrauchern in San Diego zwischenzeitlich geraten, nur die Summe zu bezahlen, die sie für angemessen halten würden. Außerdem wurde ein Kompensationsfond über 100 Millionen Dollar eingerichtet, der Verbraucher für besonders unzumutbare Stromrechnungen entschädigen soll.
Außerhalb San Diegos sieht die Sache anders aus. Dort sind die Preise für den Endverbraucher noch festgeschrieben, während der Großhandelspreis frei ist. Ein weiterer Grund für die Energiekonzerne, die eigene Produktion zurückzufahren und Strom auf dem vermeintlich billigen Großhandelsmarkt einzukaufen. Im Moment der Stromknappheit schlägt der Vorteil allerdings in einen Nachteil um, denn jetzt müssen die kalifornischen Stromlieferanten auf dem Großhandelsmarkt ein Vielfaches dessen bezahlen, was sie den Endkunden dafür in Rechnung stellen können. Die zwei größten Energie-Unternehmer des Landes, Southern California Edison und die Pacific Gas & Electric Co., haben deswegen mittlerweile ihren Konkurs angekündigt. Das wiederum hat dazu geführt, dass die Stromwerke anderer Staaten sich weigerten, überhaupt noch Energie nach Kalifornien zu liefern, da sie fürchten müssen, nicht mehr bezahlt zu werden. Bill Richardson, Energieminister der USA, musste eine Verfügung erlassen, um die Haltung der Firmen zu diesem Problem zu ändern.
Betrachtet man diese Fakten, wird klar, dass es kaum die IT-Branche mit ihren wachsenden Energiebedürfnissen in und um Silicon Valley sein kann, die die Schuld an der Situation trägt, wie von verschiedenen Seiten kolportiert wurde. Im Landesdurchschnitt ist der kalifornische Strom einfach zu billig. Analytiker haben errechnet, dass eine Preissteigerung von 20 Prozent nötig wäre, um wieder eine gleichmäßige und verlässliche Stromversorgung zu gewährleisten.