Das Schreckgespenst der "feindlichen Übernahme" durch den Islam ...
- Das Schreckgespenst der "feindlichen Übernahme" durch den Islam ...
- Haben sich die Befürchtungen anlässlich früherer Einwanderung bestätigt?
- Die Veränderungen in den Herkunftsländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit
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... im Rückblick auf Ängste vor der Einwanderung von Katholiken und osteuropäischen Juden in den USA
Ein Bestseller macht Furore. Er warnt vor Einwanderern, die aus autoritär verfassten Gesellschaften stammen, die fundamentalistischen religiösen Auffassungen anhängen sowie sich gegen Frauenrechte und Geburtenkontrolle wenden. Ihr Glaube sei "ein Überbleibsel eines mittelalterlichen Autoritarismus". Für ihn gebe "es in einem demokratischen Umfeld keinen Platz". Diese Einwanderer integrieren sich nicht - so die These des Bestsellers -, sie wollen Parallelgesellschaften einrichten und beabsichtigen die Durchsetzung ihres Glaubens im Land, in das sie einwandern. Sie werden die Bevölkerung des Einwanderungslandes "mit ihrem Geburtenüberschuss überflügeln".
Beim Autor dieses Bestseller handelt es sich nicht um Thilo Sarrazin, sondern um Paul Blanshard. Der Titel des Buches lautet nicht "Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht", so der Titel des neuen Buchs von Sarrazin, sondern "American Freedom and Catholic Power". Das Buch erschien nicht 2018 in Deutschland, sondern 1949 in den USA.
Die Religion, die beschuldigt wurde, die feindliche Übernahme des Landes anzustreben, war nicht der Islam, sondern der Katholizismus. Wie Sarrazin ist Blanshard kein Außenseiter, sondern Mitglied des Establishments. Blanshard hat u. a. im Außenministerium gearbeitet, als Staatsanwalt und als leitender Redakteur der Zeitschrift "The Nation".
Die Angst vor "Überfremdung" gestern und heute
Blandshards Buch war damals publizistisch ein voller Erfolg. Es stand elf Monate auf der Bestsellerliste der New York Times. Die erste Ausgabe wurde in 240.000 Exemplaren verkauft. Der Band erlebte 26 Auflagen. Es drückt die massiven Vorbehalte aus, die gegen die katholischen Einwanderer v. a. aus Irland und aus Italien existierten.
Weit verbreitet war nicht nur in den USA, sondern auch in Kanada die Auffassung: Der Italiener ist "nicht der Typ, den wir in Kanada suchen. Sein Lebensstandard, seine Lebensweise, ja sogar seine Kultur wirken so anders, dass ich bezweifle, dass er in unserem Land jemals zu einem Aktivposten werden könnte". Diese Stellungnahme stammt von Laval Fortier, dem kanadischen Regierungskommissar für die Einwanderung aus Übersee.1
Bereits in den 1890er Jahren stieg der Anteil der Katholiken unter den Einwanderern in die USA massiv an. Schon 1896 hieß es, bei dieser Entwicklung handele es sich um "eine Sache, die ein intelligenter Patriot nur mit tiefer Besorgnis und Beunruhigung betrachten kann. Es sind erschöpfte Menschen aus erschöpften Rassen, die für die schlimmsten Fehlschläge im Existenzkampf stehen." So Francis Walker, damaliger Leiter der Statistischen Bundesbehörde der USA.2
Walker vertrat die These, "dass die Katholiken (und Juden) mit ihren hohen Geburtenraten die amerikanische Bevölkerung überschwemmen würden, weil die im Lande geborenen Amerikaner zu selbstgefällig und moralisch zu hinfällig geworden waren, um genug Kinder in die Welt zu setzen" (Saunders, S. 175). Eine führende Vertreterin der Frauenrechtsbewegung in den USA, Elizabeth Cady, formuliert eine Position, die noch heute populär ist, wenn man nur "Katholik" durch "Muslim" ersetzt:
Einem Ausländer und Katholiken ist es nicht möglich, die Großartigkeit der amerikanischen Idee der individuellen Freiheitsrechte in sich aufzunehmen. … Der menschliche Geist pendelt ständig zwischen den Extremen Autorität und Individualismus hin und her, und wenn das Erstere - die katholische Idee - in den Köpfen der Menschen verankert wird, läuten wir den amerikanischen Freiheiten die Totenglocke.
Elizabeth Cady
Nicht nur die Zuwanderung von Katholiken sorgte in den USA für Angst vor "Überfremdung". Ähnlich verhielt es sich auch bei der Einwanderung von osteuropäischen Juden. Theodore A. Bingham war 1908 Polizeichef von New York. In einem Beitrag für die "North American Review" stellt er die These auf, die Juden würden 25% der Bevölkerung, aber "die Hälfte der Kriminellen" stellen.
Sie sind Einbrecher, Taschendiebe und Straßenräuber. … Aber der Taschendiebstahl ist der Bereich, zu dem sie fast von Natur aus neigen, obwohl sie auf allen Gebieten des Verbrechens zu Hause sind.
Theodore A. Bingham
1916 hieß ein Bestseller in den USA nicht "Deutschland schafft sich ab", sondern "The Passing of The Great Race" (Der Untergang der großen Rasse). Der Verfasser hieß nicht Thilo Sarrazin, sondern Madison Grant. Er schrieb:
Der Mensch vom alten Stamme ist aus manchen Landgebieten von diesen Ausländern hinausgedrängt worden, gerade wie er heute buchstäblich von den Schwärmen polnischer Juden von den Straßen New Yorks verdrängt wird.
Madison Grant
Bei rechten Feinden der Zuwanderung heißt es: "Erst sind wir tolerant, dann fremd im eigenen Land." Bei Grant hieß es: Der "Leitgedanke der Nächstenliebe" und der "weichliche Gefühlsüberschwang" würden zusammen mit der Zuwanderung zu einem "Rasseverfall" führen. In ihm würden - so die Sorge 1916 - die weißen christlichen Amerikaner "ebenso erlöschen wie die Athener aus dem Zeitalter des Perikles und die Wikinger aus den Tagen Rollos".3
Über die Millionen von Vertriebenen, die aus Ostmitteleuropa infolge des 2. Weltkrieges nach Deutschland kamen, schrieb der südschleswigsche Schriftsteller Tage Mortensen in seiner 1946 veröffentlichten Broschüre "Hitlers Gäste": "Sowohl rassenmäßig als auch in kultureller und geistiger Hinsicht sind die Flüchtlinge artfremd in Südschleswig. Den größten Teil bilden Ostpreußen von slawisch-germanischer Blutmischung." Mortensen argumentierte damals wie die Feinde der heutigen vermeintlichen "Überfremdung".
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