Das Terrorspiel der Clowns

Seite 3: Das irre Ich und die Anderen als potenzielle Opfermasse

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Das akkumulierte, massenhafte Potenzial entgrenzter und zielloser Gewalt äußert sich in der gegenwärtigen Horror-Welle, die Ausfluss des Todestriebs der spätkapitalistischen Gesellschaft, des Todestriebes bürgerlicher Subjektivität ist. So, wie das gesamte spätkapitalistische Weltsystem in seiner letalen Systemkrise in die Selbst- und Weltzerstörung übergeht, so gehen auch die einzelnen spätkapitalistischen Subjekthülsen an ihrer Überflüssigkeit irre. Die kriegsbedingt eskalierenden Widersprüche, die auch die Individuen verheeren, sollen im Nichts der Welt- und Selbstvernichtung aufgehoben werden.

Sowohl die ökonomische wie die politische Seite der bürgerlichen Subjektivität lösen sich auf. Das kapitalistische Marktsubjekt, der homo oeconomicus, spürt immer deutlicher die eigene Überflüssigkeit auf dem global in Auflösung übergehenden Arbeitsmarkt. Der homo politicus, das staatsbürgerliche Subjekt, geht krisenbedingt seines politischen und staatlichen Bezugsrahmens verloren. Was übrig bleibt, sind substanzlose Subjekthülsen, die die allseitige kapitalistische Konkurrenz zu einem anomischen, molekularen Krieg weitertreiben, wie es der Krisentheoretiker Robert Kurz zu Beginn des 21. Jahrhunderts prognostizierte:

Was vom homo oeconomicus übrig bleibt, ist das entsubstantialisierte nackte Konkurrenz-Subjekt, was vom homo politicus übrig bleibt, ist das entsubstantialisierte nackte Gewalt-Subjekt. Wenn die regulären Markt- und Produktionsbeziehungen aufhören, stürzt das Dach der Souveränität ein, die nichts als geronnene, zentralisierte und monopolisierte Gewalt ist, und die Gewalt der inzwischen verinnerlichten Form der Geldkonkurrenz wird verflüssigt, dezentralisiert und demonopolisiert.

Quelle: Robert Kurz: Marx Lesen!

Letztendlich wird hier die Panik antizipiert, die der Neoliberalismus in der Gesellschaft produziert. Die totale Ausrichtung auf das Konkurrenzverhalten, die in Reaktion auf den Krisenprozess einsetzte, lässt die gesellschaftliche Bindung der einzelnen Subjekthülsen erodieren, bis sie gänzlich erlischt. Mit Freud ließe sich sagen, dass die libidinöse Bindung der Menschen an die Gesellschaft abnimmt, bis die Schwelle zur offenen Panik, zum mörderischen "Rette sich, wer kann" überschritten wird.

Allem ideologischen Kitt des Neonationalismus zum Trotz wird die zur bloßen Konkurrenz-Arena verkommene spätkapitalistische Gesellschaft von den neoliberalen Elementarteilchen immer öfter nicht mehr als solche wahrgenommen - es gibt nur noch das irre Ich und die Anderen als potenzielle Opfermasse.

"There is no such thing as society." - Dieses irre politische Programm Margaret Thatchers scheint nun vollauf realisiert. Und es bekommt ein irres, sehr reales Gesicht.

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