Das Trajekt fliegt in 35 Minuten
Karl Hans Janke saß den größten Teil seines Lebens in der Psychiatrie "wegen wahnhaften Erfindens". Das Künstlerhaus Bethanien zeigt seinen Nachlass in einer beeindruckenden Ausstellung
Freundlich winkt die Stewardess, die neben der ausgefahrenen Einstiegstreppe des Flugschiffs steht. In 35 Minuten wird sich das "Trajekt" in Berlin erheben und seinen Flug nach Rostock antreten. Bitte einsteigen!
Karl Hans Janke hat es sich sicher so gewünscht, dass das seine Erfindung "Trajek", ein riesiges Flugzeug, das ohne Benzin oder Strom fliegen können sollte, einmal zum Himmel aufsteigen würde. Doch das Luftschiff wurde nie gebaut, und so musste der Erfinder sich die Abflugsszene eben selbst malen. Mit Tuschestift und Wasserfarben hat er die Szene skizziert; selbst einen imaginären Fahrplan hat er auf Notizpapier festgehalten. Die Maschine, die Berlin auf dem Weg nach Rostock um 6 Uhr 10 verlässt, sollte in Neustreelitz und Templin Halt machen.
Der Erfinder Karl Hans Janke saß den größten Teil seines Lebens in einer psychiatrischen Anstalt. Von 1948 bis zu seinem Tod 1988 war er Insasse des Krankenhauses Hubertusburg in Wermsdorf, einem kleinen Ort in Sachsen. Die Diagnose lautete "chronisch paranoide Schizophrenie", das Symptom seiner Erkrankung sei "wahnhaftes Erfinden".
Janke, der 1909 in Kolberg/Pommern geboren worden war, hatte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine eigene Firma gegründet, aber als er auf Hinweis von Nachbarn das erste Mal Besuch von einem Arzt bekam, fand er einen vollkommen verwahrlosten Mann an, der bereits unter Unterernährung litt, weil er sein ganzes Vermögen in das Unternehmen und in seine Erfindungen investiert hatte. Nach seiner Einweisung in die Psychiatrie konnte er sich ungestört vom Rest der Welt und dem Zwang, Geld verdienen zu müssen, ganz seinen Erfindungen widmen.
2.500 Zeichnungen und eine Reihe von Fotoserien seiner Modelle, die er aus Altpapier, Leim und Tapetenresten fertigte, fanden sich in seinem Nachlass: Flugmobile, das Raumschiff "Sonnenland", "Atom-Omnibusse" und neue Triebwerke, die keinen Strom und kein Benzin brauchten, gehörten zu seinen Erfindungen. Eine Auswahl aus seinem Werk ist nun in Berlin im Künstlerhaus Bethanien zu sehen.
Wer unvorbereitet in die Ausstellung gerät, wird wohl einige Zeit brauchen, bevor ihm Zweifel an den gezeigten Plänen und Skizzen kommen. Zu detailliert und glaubwürdig wirken die Zeichnungen. Kurator Peter Lang hat es vermieden, allzu offenkundig darauf hinzuweisen, dass der Erfinder, Ingenieur und Künstler, dem diese Ausstellung gewidmet ist, wahnsinnig war. Erst wer genauer hinguckt, mag Zweifel daran bekommen, ob es wirklich Flugschiffe geben mag, die mit Energie aus einem geheimnisvollen "Erdmagnetismus" betrieben werden können, oder ob ein Triebwerk nur durch das "Sammeln und Komprimieren" von Strom aus dem Weltall laufen kann.
Janke selbst hat immer wieder versucht, Interessenten und Investoren für seine Erfindungen zu begeistern. Er wandte sich an verschiedene Unternehmen der DDR und an die ostdeutsche Akademie der Wissenschaft - oft genug mit anfänglichem Erfolg. Selbst der Werkstattleiter von Hubertusburg, der mit Janke jahrelang zu tun hatte, fragte sich immer wieder, ob an einigen seiner Erfindungen nicht etwas dran gewesen sein mag - der "Rasierklingenschärfer" oder die "Eistabletten mit Fruchtsaft" gehören freilich eher nicht dazu. Auch für den Laien ist bei verschiedenen Erfindungen von Janke nicht ganz klar, ob sie wirklich vollkommener Wahnsinn sind oder nicht vielleicht realisierbar gewesen wären.
So unbekannt Janke bis zu dieser Ausstellung war, so sehr ist er doch auch eine Figur der deutschen Geschichte. Gerüchte, dass er einer von Wernher von Brauns Mitarbeitern bei den Raketen-Experimenten in Peenemünde gewesen sei, dementierte Janke nie, der mit seinen Jankern und seinen zackig geschnittenen Haaren mehr als nur eine flüchtige Ähnlichkeit mit dem späten Heidegger hatte. Seine Skizzen von Weltraumschiffen und Unterseebooten wirken manchmal geradezu wie eine Karikatur auf den Fortschrittsglauben und die Weltall-Begeisterung der 50er und 60er Jahre, wie eine seltsame Mischung aus Flash-Gordon-Weltraum-Oper und Physik-Leistungskurs-Schulbuch.
Janke passt auch hervorragend in die lange Reihe von Sonderlingen und Käuzen, die sich den Zwängen des real existierenden Sozialismus durch Eigenbrötelei und die Entwicklung von eigenen Weltordnungssystemen entzogen haben. Nicht zuletzt Künstler wie Carlfriedrich Claus und A.R. Penck gehören zu denjenigen, die sich in eigene Weltentwürfe als Alternative zur schnöden DDR-Realität zurückgezogen haben. Die Ausstellung stellt Janke übrigens in einen anderen künstlerischen Kontext. Durch einen merkwürdigen Motor des belgischen Flugmaschinenbauers Panamarenko weist sie Janke einen Platz in der Reihe der großen Künstleringenieure von dysfunktionalen Maschinen zu, in die auch Nam June Paik, Jean Tinguely und Joseph Beuys gehören
Der ehemalige documenta-Chef Jan Hoet zeigt Janke bereits in Belgien in einer Ausstellung neben Arbeiten von Jason Rhjoades und Bruce Naumann. Diese umstandslose Eingemeindung von "Outsider Art" in den traditionellen Kunstkontext ist problematisch, seit Harald Szeemann einige Künstler aus der Heidelberger "Sammlung Prinzhorn" als modernistische Säulenheilige präsentiert hat. Die Berliner Ausstellung entgeht diesen Problemen jedoch, indem sie sich Jankes Werk mit Ernst und Respekt nähert, ohne ihn dabei zu mystifizieren.
"Karl Hans (Joachim) Janke. Ein Brevier." Bis zum 6. Juli im Künstlerhaus Bethanie