Das Unbehagen am Medienkunstbegriff
Internationaler Medienkunstpreis 2001
Am Samstag dem 13.Oktober wurde gemeinsam vom Südwestrundfunk SWR und vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM der Internationale Medienkunstpreis 2001 verliehen. Der Hauptpreis in der Kategorie "Video" ging an Bureau of Inverse Technologies für "Bit Plane". In der Kategorie "Interaktiv" gewannen Alvar Freude und Dragan Espenschied mit "insert_coin" und den Sonderpreis gewann Denis Beaubois für seine Performance mit Überwachungskameras.
Das Theme des Wettbewerbs war mit der einen Tag zuvor im ZKM eröffneten Ausstellung CTRL [Space] abgestimmt. Es ging also um "die wachsame Gesellschaft", um Kunst, die sich mit Überwachung, Kontrolle, Aufmerksamkeit beschäftigt. Die gute Intention kann man den Veranstaltern nicht absprechen. Und mit Lynn Hershman, Medienkünstlerin, Chrissie Iles, Kuratorin, Cristoph Jörg, Arte-Redakteur, sowie Thomas Y.Levin und Friedrich Kittler, Medientheoretiker, schien man eine kompetente Jury versammelt zu haben. Aber wie immer bei solchen Preisverleihungsspektakeln ließ so manches Detail einen seltsamen Beigeschmack oder zumindest eine Art Unbehagen entstehen. Dieses scheint auch Friedrich Kittler zu teilen, wenn er in seinem Jury-Textbeitrag davon spricht, dass sich eine Computerkunst, welche den Namen verdient, doch langsam vom Werkbegriff, von den Objekten, und sei es auch in Form einer CD ROM oder eines Videobandes, lösen müsste.
Womit hat dieses Unbehagen also zu tun? Liegt es an der institutionellen Einbettung? Z.B. daran, dass als szenischer Hintergrund für die Fernsehaufzeichnung der Preis-Gala eine gefakete Marmorfassade diente, aus der unzählige Überwachungskameras hervorlugten? Dass in den Pressematerialien Sätze stehen, wie dieser: "bereits im Alltag zeigt sich, dass die Menschen zunehmend überwacht werden"? Dass eine längliche Theaterimprovisation, die mit dem Thema nichts zu tun hatte, mehrmals das Programm unterbrach, was manche erheiterte, andere an die Bar verjagte? Dass Arte anschließend zu einem Glas Wein einlud (aber nur eines, das nächste musste man dann bezahlen)? Oder dass die Kategorien und Kriterien der Medienkunst immer noch so diffus konturiert erscheinen?
Die preisgewürdigte Kunst war weder besonders aufregend noch in irgendeiner hervorhebenswerten Weise schlecht. Preisträger in der Kategorie Video ist das Bureau of Inverse Technologies, kurz Bit, mit der Arbeit Bit Plane. Dabei handelt es sich um ein Video, das mittels einem kleinen ferngesteuerten Modellflugzeug, in dem sich eine Minikamera mit Sender befand, aufgezeichnet wurde. Das Bit-Flugzeug wurde über Silicon Valley zum Spionageflug ausgesetzt und zog seine Bahnen über den weltweit führenden Forschungslabors von Xerox, HP, Interval Research. Die schlechte Qualität der Schwarzweiß-Kamera, Bildausfälle zwischendurch wegen Sendestörungen inklusive, ist kein Kritikpunkt sondern ein Vorzug des Videos. Das gibt den Bildern eine gewisse abstrakte Qualität, sie erscheinen eher als Simulationen - aus einem altertümlichen, schlecht auflösenden Flugsimulator z.B. - denn als Abbilder der Realität. Die dreidimensionale Realität wird flächig, Bit Plane ist daher auch ein Wortspiel, es ist nicht nur die Bezeichnung für das Flugzeug sondern auch für eine zur Fläche aus Bits reduzierte Welt.
Als Fertigstellungsdatum des Videos scheint 1999 auf, doch wenn man ein wenig auf diesen Festivals herumkommt, dann weiß man, dass dieses Video in verschiedenen Fassungen mindestens seit 1997 gezeigt wurde und das auf fast allen einschlägigen Festivals. Neu erscheint eigentlich nur der in Form von Untertiteln eingeblendete Kommentar. Dieser wird im Pressematerial als ein Hauptgrund für die Auswahl hervorgehoben. Dabei ist, wenn überhaupt etwas, die wortlose Unwirklichkeit der älteren Fassungen des Videos sein eigentlicher Reiz: die Vorstellung dieser stumm kreuzenden, im Heimbastelverfahren hergestellten Spionagedrohne über dem Zentrum der High-Tech-Industrie. Bit Plane ist als subversives Undercover-Projekt interessant, nicht als aufgemotztes Kunstvideo. Angaben eines Insiders zufolge flog es auch nur ein einziges Mal, die dabei gewonnenen Bilder wurden seither endlos recycelt. Möglicherweise sollte diese Arbeit also in der (nicht existierenden) Kategorie Performance gewürdigt werden.
Hat die Videokunst inzwischen wenigstens eine einigermaßen theoretisch und historisch bearbeitete Kontextualisierung erfahren, so steht es um die "Interaktivität" immer noch ganz schlimm. Als interaktiv gemeinhin verstanden wird alles, wo man irgendwo klicken, auswählen, technisch interagieren kann. Freude & Espenschieds "insert_coin" hat mit Interaktivität eigentlich nur soviel zu tun, als dass es eine Arbeit für das Web ist. Sie haben den Server der Merz Akademie so manipuliert, dass abgerufene WWW-Seiten durch einen von ihnen aufgesetzten Filter liefen, der die Inhalte verfremdete. Wie das technisch genau lief (Proxy?), darüber erfährt man nichts. Die vorgestellten Beispiele waren zweifellos zurecht-manikürt, denn kein automatischer Filter kann z.B. die Homepage des Wochenmagazins "Zeit" wirklich so humoristisch, satirisch treffsicher manipulieren. Der Clou der Arbeit soll sein, dass 250 Studenten der Akademie tagelang manipulierte Informationen abriefen, ohne dass es jemandem aufgefallen sei. Medieninhalte durch leichte Inhaltsveränderungen satirisch zu verfremden ist so ca. die erste Idee, die überhaupt irgendjemandem kommt, der sich überlegt, was man mit dem Web an subversiv Bösem anstellen könne. Irgendwie erinnerte das stark an einen praktischen Hochschulstreich.
Der Sonderpreis für Denis Beaubois erscheint aus einem populistischen Blickwinkel als gerechtfertigt. Es ist sicherlich rührend, wie dieser schüchterne Hippie das Überwachungssystem herausfordert, indem er sich mit von Hand beschriebenen Schildern vor eine Überwachungskamera stellt und mit ihr zu kommunizieren versucht: ach, kalte Welt da draußen, allein zwischen Bankentürmen aus Marmor und Glas... Als er das Schild mit der Aufschrift "wenn Sie zustimmen, bewegen Sie bitte die Kamera auf und ab" vor die Kamera hält, bewegt sich diese doch tatsächlich ein wenig. Vielleicht hätte er den Preis in der Kategorie Interaktivität gewinnen sollen.
Die Künstler primär aufs Korn zu nehmen, wäre allerdings ein leichtes und falsches Ziel. Sie bemühen sich redlich und es ist nicht leicht, in der technologischen Sphäre innovative Arbeiten, sowohl in technischer als auch künstlerischer Hinsicht, herzustellen. Was einem eher aufstößt, ist die Selbstgefälligkeit der Partnerinstitutionen, die sich schon freuen, dass sie überhaupt solche Events zustande bekommen. Aussagen wie die, es sei schon gut, dass "das Publikum ein abgefucktes Video wie Bit Plane geduldig zu Ende ansieht" (aufgeschnappte Bemerkung von einem der Veranstalter, sinngemäß wiedergegeben) mögen zu den kleineren und verzeihlichen Sünden gehoren, doch diese Einstellung akkumuliert sich zu einem Gesamtergebnis: Der Diskurs der Medienkunst in seiner massenmedial und institutionell vermittelten Form kommt schon seit Jahren nicht voran.
Diese Feststellung wurde schon von verschiedensten Seiten getroffen und es macht überhaupt keinen Spaß, sie wiederholen zum müssen, aber nichts wird sich ändern, solange nicht mehr Druck auf diese Institutionen entsteht. Solange es genügend Mitmacher gibt, solange die Kollateralschäden der fehlenden Definitionen, der wie Kartenhäuser einstürzenden Kategorien und der gehypten Themen von vorneherein durch die Unverbindlichkeit des, uff, oh, Neuen im medialen Kunstgeschehen entschuldigt werden können, wird auch das Unbehagen am zweifelhaften Erfolg der Medienkunst nicht verschwinden. Der Tross wird weiter ziehen und nächstes Jahr gibt es wieder einen Medienkunstpreis und einen Prix Ars Electronica und alles ist wieder neu und doch nicht und medial und Kunst und so ....