Das Unerwartete managen
Von der Nachhaltigkeit zur Resilienz?
Der Schriftsteller Ian McEwan hat vor einiger Zeit mit "Solar" einen Roman um den fiktiven Nobelpreisträger und Klimaforscher Michael Beard verfasst, der eine durchaus grundsätzliche Botschaft vermittelt: Es braucht keine guten Menschen, um die Welt zu retten. Im Gegenteil. Der Klimakatastrophe beispielsweise entrinnen wir nur, wenn mit Klimaschutz Geld und Ruhm zu machen ist und weiterhin Bequemlichkeit garantiert werden kann. McEwans These lautet: Nur, wenn wir marktkonforme Mittel finden, die keinen Idealismus voraussetzen, werden wir als Gesellschaft mehr Nachhaltigkeit erreichen. Und eine wirkliche Chance hat intelligente Politik - die mehr ist als Umweltpolitik - nur, wenn sie Nachhaltigkeit als Gebot moralischer Wirtschaftlichkeit konzipiert und daher nicht gegen Imperative rationalen Wirtschaftens verstößt.
Hier schlägt die Belletristik einen Ton gesellschaftlicher Diskurse an, den man längst verhallt glaubte. Doch diese - abseits der unmittelbaren politischen Arenen platzierte - Anregung weist auf luzide Art auch darauf hin, dass allerlei Fallstricke und Uneindeutigkeiten im Spiel sind. In politischen Kategorien wie "rechts" oder "links" lässt sich der Nachhaltigkeitsanspruch nicht mehr fassen. Vollmundig kommen die Slogans der Politik daher: Ob Umwelt oder Entwicklung - auf den ersten Blick sind alle Bundestagsparteien Musterknaben in Sachen Nachhaltigkeit. Doch wie viel Realitätsgehalt, wie viel Veränderungsimpuls verbirgt sich dahinter? Fest steht: Die Karriere des Begriffs selbst hat ihn ausgelaugt. Nachhaltigkeit kann augenscheinlich nicht mehr in dem Maße mobilisieren, wie es vor 25 Jahren der Fall war.
Unabhängig davon schaut man zunehmend besorgt, ja mit Alarmismus auf die Zukunft. Wir leben in einer Gesellschaft, der ihr eigener Fortschritt nicht geheuer ist. Mitunter scheint es, als lebe die Welt in einem permanenten Zustand der Gefahrenerwartung. Erstens wurde, wie von Risikosoziologen seit den 1980er Jahren beobachtet, der moderne, weithin geteilte Glaube an die gesellschaftlichen Fähigkeiten zur Transformation des Unsicheren hin zu kalkulierbaren, individuell oder kollektiv bearbeitbaren Risiken erschüttert. Zweitens haben sich in jüngerer Zeit gesellschaftliche Debatten über Zukunftserwartungen zunehmend gewandelt; von einer Bewertung von Unbestimmtheit als Chance zu einer Wahrnehmung von Unsicherheit als Bedrohung. Solche beunruhigenden Zukunftserwartungen werden noch bestärkt durch unkontrollierbare Naturkatastrophen wie dem Hurrikan Sandy oder durch sozio-technische Fehlurteile, wie sie in der Nuklearkatastrophe von Fukushima sichtbar wurden.
Wie stellen wir uns auf die (ungewisse) Zukunft ein?
Ein Zauberwort in diesem Zusammenhang ist der Begriff der Resilienz, was so viel wie Unverwüstlichkeit, Zuverlässigkeit und Widerstandsfähigkeit bedeutet. Er benennt die Fähigkeit einer bedrohten Einheit, antizipierte Schäden zu überstehen. Erreicht werden kann sie entweder durch die Fähigkeiten von Systemen, bei auftretenden externen Schocks entweder möglichst robust zu sein, also möglichst geringfügig verwundet zu werden, oder schnell wieder den Ursprungszustand zu erreichen ('bounce back'), oder durch deren Flexibilität, ihre internen Strukturen zu verändern und einen konstanten Zustand der Anpassungsfähigkeit zu kultivieren.
Ein typisches Beispiel für mangelnde Resilienz zeigte ein Vorfall, der sich im Januar 2010 am Münchner Flughafen ereignete: Ein Passagier durchquerte die Sicherheitskontrolle (wie sich später herausstellte: versehentlich), nahm seinen Laptop mit und ging einfach weiter, obwohl das Personal ihn aufforderte, den Computer erneut prüfen zu lassen, da der Sicherheitscheck angeschlagen hatte. Niemand hielt den Mann schnell genug auf, und so war er innerhalb kürzester Zeit zwischen den Hunderten von Passagieren im Terminal verschwunden. Daraufhin wurde dieses komplett geräumt; für drei Stunden gab es keine Starts mehr, einige Flugzeuge mussten den Flughafen leer verlassen, um die Flugpläne einzuhalten. 100 Flüge verspäteten sich oder fielen aus, tausende Passagiere waren betroffen. Ein resilientes System wäre in der Lage gewesen, den Fehler aufzufangen und den Mann in einer weiteren Sicherheitsstufe festzuhalten.
Mittlerweile ist Resilienz zu einer Art Modebegriff geworden, zugleich aber ein heterogenes Feld geblieben. Gemeinsamer Kern ist und bleibt zwar, sich mit der Widerstandsfähigkeit von Individuen oder Systemen zu beschäftigen, welche in der Lage sind, trotz Belastungen oder Traumata ihre Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Aber vielerlei Überlappungen und unscharfe Grenzen erschweren Abgrenzung und eindeutige Zuordnung. Freilich ist es psychologisch auch nicht ganz einfach: Warum sollte man sich mit Vorgängen befassen, die selten und in unregelmäßigen Abständen auftraten, und die von der Gesellschaft offensichtlich schnell wieder vergessen werden?
Vielleicht ist dieses Desinteresse aber auch Teil eines umfassenderen Verdrängungsprozesses: Es scheint dem modernen Selbstgefühl zutiefst zu widersprechen, etwa Naturkatastrophen als dauernde Erfahrung der Gesellschaft und der Geschichte anzunehmen: "Es isoliert Katastrophen in der Gegenwart und eliminiert sie aus der Vergangenheit, weil sie die Zukunft nicht definieren sollen", meinte dazu der Historiker Arno Borst.
Ein katastrophales Ereignis mag nur wenige Sekunden, Stunden oder Tage andauern, der Umgang mit der Gefahr ist aber ein dauerhaftes Phänomen. Kennzeichnend für den gesellschaftlichen Umgang mit Naturkatastrophen ist aber gerade die Diskrepanz zwischen dem kurzen, plötzlich einsetzenden und nicht prognostizierbaren impact auf der einen, und der Dauerhaftigkeit der Gefährdung auf der anderen Seite. Letztere manifestiert sich zum Beispiel in technischen Aspekten der Gefahrenabwehr (wie zum Beispiel Deiche oder erdbebensichere Gebäude), in der Finanzierung des Präventions- und Bewältigungsapparates, aber auch in der kulturellen Tradierung und permanenten Bewusstmachung. Überschwemmungen zum Beispiel waren - in stärkerem Maße als andere natürliche Extremereignisse - für Städte und Dörfer am Fluss eher Alltag als Ausnahmezustand. Gerade für die Vormoderne, als Flüsse eine viel größere Rolle spielten als heute, kann man auch in Europa von einer regelrechten "Überschwemmungskultur" sprechen.
Wie sich Nachhaltigkeit und Resilienz zueinander verhalten, hat der britische Umweltaktivist Rob Hopkins unlängst am Beispiel eines Supermarkts erläutert:
Man kann seine Nachhaltigkeit verbessern und den Kohlendioxidausstoß senken, indem weniger Verpackungen verwendet, das Dach mit Solarzellen ausgestattet und energiesparende Kühlregale installiert werden. Man kann auch das Warenangebot auf Bioprodukte umstellen. Bezieht man aber den Faktor der Resilienz in die Überlegungen ein, so wird klar, dass ein Supermarkt letztlich die Ernährungssicherheit der Menschen vor Ort erheblich reduziert und ihre Abhängigkeit vom Öl erhöht, da er örtliche Lebensmittelläden und -märkte verdrängt und selbst nur Lebensmittelvorräte für zwei Tage hält, die oft über weite Strecken transportiert worden sind.
Aus der Perspektive der Nachhaltigkeit ist auch die Installation von Windkraftanlagen höchst wünschenswert, allerdings wird diese Infrastruktur derzeit zum größten Teil von großen Energiekonzernen installiert, und die umliegenden Gemeinden haben davon kaum Vorteile. Wären diese selbst Besitzer der Infrastruktur, würde das ihre Resilienz erheblich stärken.
Möglichkeit des Scheiterns im Blick
Impliziert der aktuelle Diskurs zur Resilienz ein Potential, um daraus eine Strategie zu entwickeln? Bietet der Begriff, bieten seine Implikationen etwas, das über den überstrapazierten Terminus Nachhaltigkeit und seine ubiquitäre Nutzung hinausgehen könnte? Während Anpassung an und Vorbeugung vor Krisen als die zwei Säulen nachhaltiger Entwicklung einem ausgeprägtem Positivismus folgen, stellt sich Resilienz der Möglichkeit des Scheiterns und ermöglicht somit eine Umkehr des Blickes auf die existenziellen Fragen: Was, wenn unsere Anstrengungen nicht ausreichen? Was, wenn es zu spät ist? Was, wenn in Zukunft womöglich alles anders kommt, als wir es heute erwarten?
Resilienz könnte einen komparativen Vorzug aufweisen, weil sie erlaubt, auch über Schrumpfung, Unerwartetes oder Visionen jenseits des Status quo nachzudenken, wohingegen Nachhaltigkeit stets eine Perpetuierung des Status quo, also Stabilität zum Ziel hat. Dass modernen Stadtpolitik weiterhin darauf abzielt, die heute schon vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen einfach immer weiter auszubauen, steht damit auf dem Prüfstand. Wäre es nicht angezeigt, Risiken bereits im Vorfeld abzuschätzen und ihr Entstehen zu vermeiden?
Da krisenhafte Ereignisse aber dennoch eintreten können, muss man schon vorher fragen, wie man sie mit möglichst geringem Schaden bewältigen kann. Gelingt kann das indessen nur, wenn alle Bürger mit einbezogen sind, wenn also die Verantwortung für die Sicherheit nicht allein bei wenigen Ordnungshütern liegt. Und möglicher Weise liegt hier der Vorteil des Konzeptes schlecht hin: Die explizite Thematisierung von Gefährdungen und Verlustängsten berührt die Anreizkonstellationen aller Akteure - Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und öffentliche Hand. Während Nachhaltigkeit im Wohlstand deshalb zum Papiertiger werden konnte, da jede Form von Anpassung und Verzicht eben keinen direkt spürbaren Mehrwert entfachte, geht es nun um die Gefahr eigener Verluste - und genau das kann Flügel verleihen; allerdings nur unter der Bedingung, dass die Gefährdungs- oder Risikowahrnehmung bei allen Beteiligten real ist.
Aufgrund solcher Einsichten ist im letzten Jahrhundert die Systemtheorie entstanden, die den eigenen Gegenstand (eben das System) gerade aufgrund seiner Fähigkeit definiert, eine Identität aufzubauen, die trotz ständiger Erneuerung ihrer Komponenten (die Zellen eines Organismus, die Mitglieder einer Organisation) - oder gerade deswegen - existiert und sich erhält. Ausgangspunkt war die Unzufriedenheit mit der gängigen Einstellung, die nach der Newtonschen Physik modelliert und daran orientiert ist, jedes Phänomen mit ihren Mitteln zu erklären, ohne die inneren Zusammenhänge der betrachteten Gegenstände und vor allem ohne das Verhältnis zur Umwelt zu berücksichtigen.
Ähnlich verhält es sich mit Resilienz. Deshalb, so der Zukunftsforscher Matthias Horx, wäre es ein Missverständnis, sie mit einer höheren Art von Effektivität gleichzusetzen;
Die Finanzsysteme der Welt gerieten in dem Moment in die Krise, als das langsame Arbeiten des Geldes zugunsten des Hochgeschwindigkeits-Handels abgeschafft und durch "layering" beschleunigt wurden. Die Gesetze der Resilienz sagen, dass man solche Systeme wieder ent-koppeln, ent-schleunigen und durch Diversität re-stabilisieren muss.
Leitbilder ohne Fehler-Toleranzen, das zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit, sind stets problematisch. Besser ist eine Stehauf-Strategie. Und die sollte jeder Einzelne kennen. Um das Leben zu bewältigen, braucht es ja ebenfalls Ausdauer beim Üben und die Fähigkeit, nach Rückschlägen weiterzumachen.
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