Das Versagen der mächtigen Staaten beim G20-Gipfel

Seite 2: Funkstille bei Atomwaffen und fossilen Brennstoffen

Vor allem beim Thema Atomwaffen herrscht gefährliche Funkstille.

In der "Neu-Delhi-Erklärung" der G20 heißt es zwar, dass der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen im Zusammenhang mit dem Russland-Ukraine-Krieg "unzulässig" sei. Doch die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), die 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, erklärte, das gehe nicht weit genug.

Die geschäftsführende Direktorin von ICAN, Melissa Parke, fordert, dass Worten dringend Taten folgen sollten. Alle G20-Mitglieder müssten endlich den Vertrag über das Verbot von Atomwaffen unverzüglich unterzeichnen und ratifizieren.

Keine der Atommächte der Welt – einschließlich Russland, USA, Israel, Großbritannien, Indien oder China – hat den Vertrag unterzeichnet oder angenommen. Das gilt auch für die Ukraine sowie die Mehrheit der Nato- und G20-Mitglieder.

Das sollte sich schnell ändern. Denn die nuklearen Gefahren im Ukraine-Krieg zeigen, dass Atomwaffen eine permanente Bedrohung der Menschheit darstellen. Wie andere russische Offizielle zuvor hat der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew, derzeit stellvertretender Vorsitzender des nationalen Sicherheitsrates, im Juli mit einem Atomkrieg gedroht, falls die von der Nato unterstützte Gegenoffensive der Ukraine zur Abwehr russischer Invasoren und zur Rückgewinnung der von ihnen besetzten Gebiete erfolgreich sein sollte.

Doch von den G20 werden weiter keine Schritte vorgeschlagen, wie die nukleare Bedrohung gebannt werden und damit eine atomwaffenfreie Welt entstehen könnte.

Und schließlich ist da die eskalierende Klimakrise. Wieder einmal wurden nichtssagende Verlautbarungen in Neu-Delhi vorgebracht, statt eine Kursänderung ins Visier zu nehmen. Nicht einmal eine Vereinbarung über den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen konnte erreicht werden.

Greenpeace bezeichnete das mickrige Versprechen, das in Form eines gemeinsamen G20-Kommuniqués abgegeben wurde, als "unbegreifliches Versagen" angesichts einer ausufernden Klimakrise, die überall Verwüstung, Tod, schwere Ungerechtigkeit und wirtschaftliche Katastrophen für die arbeitenden Menschen auf der ganzen Welt mit sich bringt.

Trotz rekordverdächtiger Temperaturen, wütender Waldbrände, Dürren, Überschwemmungen und anderer Klimakatastrophen, die in den letzten Monaten Dutzende von Millionen von Menschen betroffen haben, haben die Staats- und Regierungschefs der G20 in diesem Jahr kollektiv versagt, irgendetwas Sinnvolles zum Klimawandel zu leisten,

sagte Tracy Carty, Expertin für globale Klimapolitik bei Greenpeace International.

Was der G20-Gipfel in Indien, neben der Bankrotterklärung, die globalen Krisen anzugehen, zudem unterstreicht, ist eine Machtverschiebung von den G7 auf die Brics-Staaten. So bezeichnete Kishore Mahbubani, ehemaliger Botschafter Singapurs bei den Vereinten Nationen und angesehener Wissenschaftler am Asia Research Institute, die G7 also eine Organisation des Sonnenuntergangs und die Brics als eine des Sonnenaufgangs.

Im Jahr 1990 war das gemeinsame Bruttosozialprodukt (BSP) der G7-Staaten in Kaufkraftparitäten mehr als doppelt so hoch wie das der Brics-Staaten. Heute ist es geringer. Ebenso bezeichnend ist, dass sich 40 Länder um die Aufnahme in die Brics beworben haben. Es gibt keinen vergleichbaren Ansturm von Beitrittsanträgen für die G7.

Das hat auch Auswirkungen auf die politische Relevanz der G20-Plattform. So reiste der chinesische Präsident Xi Jinping nicht einmal zum Treffen an und zeigte damit, dass Beijing das Forum nicht hoch einschätzt. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva kündigte in Delhi zugleich an, dass er den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum nächsten Gipfel in Rio de Janeiro einladen werde. Der müsse nicht fürchten, festgenommen zu werden.

All das sind klare Signale an die USA und seine Verbündeten, dass sich die aufstrebenden Länder des Globalen Südens nicht mehr einschüchtern lassen wollen und unabhängige Wege beschreiten. Wenn man so will, ist das ein positives Signal, das vom Gipfel ausgeht.