Das Wunder an der Wall Street
Die letzten amerikanischen Großbanken zahlen bereits ihre Staatshilfen zurück. Wie machen die das eigentlich?
Nur etwas mehr als ein Jahr nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers (Ein Blick in die Zukunft) scheinen auch die US-amerikanischen Finanzhäuser die Folgen der größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Ende der dreißiger Jahre überwunden zu haben. Mitte Dezember kündigten mit der Citygroup und der Wells Fargo die letzten amerikanischen Großbanken an, die staatlichen Hilfen zurückzuzahlen, mittels derer sie noch vor einem Jahr vor dem Bankrott bewahrt werden mussten.
Auch für den amerikanischen Steuerzahler haben sich die Rettungsaktionen für die taumelnden Finanzhäuser anscheinend ebenfalls ausgezahlt. Washington machte laut US-Finanzminister Timothy Geithner „ordentlichen Gewinn“ mit den im Austausch für milliardenschwere Finanzspritzen erhaltenen Aktien der Institute, da diese in der Zwischenzeit kräftig gestiegen seien. Jüngsten Angaben des amerikanischen Finanzministeriums zufolge wurden von den 245 zur Bankenrettung aufgewendeten Milliarden US-Dollar inzwischen an die 185 Milliarden US-Dollar zurückgezahlt. Allein in diesem Dezember würden so 90 Milliarden US-Dollar zurückgezahlt, erklärte Geithner.
Neben den beiden genannten Finanzinstituten haben auch JP Morgan Chase, Morgan Stanley, Goldman Sachs und die Bank of America die Staatshilfen zurückgezahlt , die sie im Rahmen des TARP-Programms erhalten haben. Wie kommt diese wundersame Genesung des amerikanischen Finanzsektors zustande, der noch vor wenigen Monaten kurz vor dem Zusammenbruch stand? Kann die Finanz- und Weltwirtschaftskrise, die ihren Ausgang in der wilden Spekulation mit faulen US-Hypothekenverpflichtungen nahm, gar als bereits überwunden bezeichnet werden?
Selbst ein oberflächlicher Blick auf die Art und Weise, wie diese Rückzahlung der Staatshilfen von den Geldhäusern bewerkstelligt wurde, muss stutzig machen. Das hierfür notwendige Kapital wurde durch gigantische „Kapitalerhöhungen“ auf den Finanzmärkten aufgetrieben. Hierbei geben die Banken einfach neue Aktien aus, die sie auf den Wertpapierbörsen feilbieten, bis genügend frische Mittel vorhanden sind, um die Staatshilfen zu begleichen. Wells Fargo plant in diesem Zusammenhang eine Kapitalerhöhung von 10,5 Milliarden US-Dollar. Bei der Citigroup sind es sogar 17 Milliarden US-Dollar, die zum „Freikauf“ aus dem TARP-Programm mittels einer Kapitalerhöhung mobilisiert werden. Die Finanzinstitute wollen durch eine möglichst schnelle Lösung aus dem staatlichen Rettungsprogramm ihre volle Souveränität und Handlungsfreiheit gewinnen, da dieses ihnen beispielsweise strikte Restriktionen bei Managergehältern und Bonuszahlungen vorschrieb.
Doch es gibt auch einflussreiche Gegner dieser Vorgehensweise. So stemmte sich der größte Einzelaktionär von Wells Fargo, der berühmte Milliardär Warren Buffett, gegen diese Kapitalerhöhung, da hierdurch sein Anteil an dem Aktienkapital „verwässert“ wird. Die Kapitalerhöhung würde "die Ertragskraft nicht erhöhen, sondern nur die Zahl der ausstehenden Aktien", monierte monierte Buffet. Somit würden die Aktionäre geschädigt, da ihr prozentualer Anteil am gesamten Aktienkapital abnehme, sofern sie nicht erneut Aktien zeichneten. Man könnte dies von Buffet kritisierte Vorgehen als eine Inflationierung der Wertpapiere bezeichnen, die nur zwecks der Rückzahlung der Staatshilfen vorgenommen wird – der „Aktieninflation“ stehen somit keinerlei Investitionen der Banken gegenüber, die zur Erhöhung des Umsatzes und des Gewinns beitragen könnten.
Gewinne durch Geldvermehrung
Somit stellt sich die Frage, wie diese Inflation der Wertpapiere überhaupt realisiert werden konnte. Woher kommt all das Kapital, dass nun anscheinend im Überfluss vorhanden ist und solche milliardenschweren Kapitalerhöhungen ermöglicht. In der von den Großbanken durchgeführten Inflation ihrer Aktien spiegelt sich schlicht die äußerst expansive Geldpolitik der amerikanischen Notenbank. Die Fed verfolgt de facto eine Nullzinspolitik, deren Dauer in der US-amerikanischen Wirtschaftsgeschichte bislang einmalig ist. So erhöhte sich die als monetäre Basis bezeichnete Geldmenge „M0“ in den USA seit September 2008 um 910 Milliarden US-Dollar. M0 setzt sich aus dem Bargeldumlauf und den Mindestreserven der Geschäftsbanken bei der Notenbank zusammen. Selbst während der Periode der Stagnation in den 70er Jahren wuchs die Geldmenge M0 in den USA nie schneller als um 15 Prozent jährlich. Derzeit explodiert sie mit ca. 100 Prozent im Jahresvergleich.
Diese gigantische Geldschwemme bildete die Grundlage des gegenwärtigen Börsenbooms wie auch der nun mit Leichtigkeit durchgeführten Kapitalerhöhungen. Die als Primary Dealer bezeichneten Großbanken, die direkt von der Fed mit frischer Liquidität versorgt werden, können derzeit „praktisch unlimitiert zu Nullzins Liquidität bzw. Kredit“ bei dieser aufnehmen, bemerkte der Blog Wirtschaftsquerschüsse: „Damit können sie sich günstig refinanzieren, die Gewinnmarge aus den Zinsdifferenzen aus Kreditnahme und Kreditvergabe steigen“. Die „Liquidität für diverse spekulative Geschäfte“ sei somit reichlich vorhanden.
Die Inflation der Wertpapiere sowie der Wertpapierpreise an den Börsen spiegelt schlicht diese historisch einmalige Geldschwemme wieder. Die enorme Ausweitung der Geldmenge führt derzeit nicht zu einer Inflation Warenpreise, sondern zu einer Inflation der Wertpapierpreise. Zugespitzt formuliert könnte man sagen, dass das von der amerikanischen Notenbank durch die Nullzinspolitik generierte Geld auf dem Umweg der Kapitalerhöhungen der Banken wieder zurück an den amerikanischen Steuerzahler, an das Finanzministerium fließt. Die „ordentlichen Gewinne“ des amerikanischen Staates im Zuge der Rückzahlung der Staatshilfen, von denen der amerikanische Finanzminister Geithner eingangs sprach, sind nur dank der expansiven Geldpolitik des amerikanischen Staates möglich.
Die Wunder der kreativen Buchführung
Neben dieser enormen Geldvermehrung ist auch eine ins Magische übergehende Bilanzführung der Finanzinstitute – die inzwischen jenseits der Preisbildung auf den Märkten abläuft - für deren wundersame Genesung binnen kürzester Zeit verantwortlich. So weigern sich etwa viele Finanzhäuser, Abschreibungen an dem Wertpapiermüll vorzunehmen, den sie immer noch in ihren Bilanzen halten. Hierdurch geraten beispielsweise die Rettungsprogramme für bedrohte Hauseigentümer in Gefahr, wie Bloomberg berichtete. Nur durch „substantielle“ Verluste der Banken bei ihren auf Hypotheken basierenden „Finanzmarktinstrumenten“ (zumeist sind es MBS - Mortgage Backed Security) könne sich der Immobilienmarkt in den USA erholen, da hierdurch Modifikationen bei den Hypothekenzahlungen ermöglicht würden. Aber gerade diese Abschreibungen an dem Wert der Hypothekenverbriefungen würden die Banken erneut in Schieflage bringen.
Den Finanzinstituten bleibt nichts anderes übrig, als die ökonomische und soziale Realität zu ignorieren und weiterhin darauf zu beharren, dass ihre MBS genauso viel wert sind, wie sie es vor Ausbruch der Krise waren. Übrigens wurde das Bilanzrecht längst an dieser Krisensituation angepasst, so dass inzwischen die Banken viel mehr Spielraum genießen, um ihre Wertpapiere nicht nach dem gegenwärtigen Marktpreis, sondern nach dem Einkaufspreis bewerten zu können. Die Deutsche Bank konnte nur durch diese kreative Buchführung im Zeitraum Juli bis September 2008 an die 414 Millionen Euro Gewinn ausweisen (Wie Banken "positive" Quartalergebnisse herbeirechnen) - ansonsten hätte sie 900 Millionen Euro an Abschreibungen vornehmen müssen.
Die kreative Buchführung läuft folgendermaßen ab: Die Banken können durch die Aufweichung der Bilanzierungsstandards zu „Handelszwecken gehaltene Vermögenswerte“ und „zum Verkauf bestimmte Vermögenswerte“, die nach „Fair Value“ (Zeitwert) bewertet werden müssen, einfach umkategorisieren in „Darlehen und Forderungen“ oder in „bis zur Fälligkeit gehaltene finanzielle Vermögenswerte“, welche dann zu Anschaffungskosten bilanziert werden können. Damit realisieren sie im großen Stil den feuchten Traum eines jeden Kleinanlegers, der ebenfalls seine vor Jahren erworbenen Deutsche Bank-Aktien gerne bei ihrem Einkaufspreis - und nicht dem gegenwärtigen Marktpreis - bewertet sehen möchte.
Selbst bei toxischem Finanzmüll, für den es überhaupt keinerlei Märkte mehr gibt, lassen sich Möglichkeiten der bilanztechnischen Schönfärberei finden. Mit dem Konzept von Fair Value ermittelt man den Marktpreis, wobei angeblich objektive Faktoren zur Bewertung des Werts einer Ware oder auch eines Wertpapiers herangezogen werden. So sind beispielsweise „Vermögenswerte“ von 103 Milliarden US-Dollar in der Bilanz der Citigroup mit dem Fair Value Level 3 bewertet, laut dessen Definition sich einfach keine Marktpreise für diese Wertpapiere mehr ermitteln lassen. Wie ermittelt man nun den „Gerechten Wert“ dieser Wertpapiere? Man lässt der Fantasie freien Lauf und bewertet diesen Finanzmüll auf Grundlage von Berechnungsmodellen. Der unverkäufliche Finanzschrott der Citigroup soll also einen geschätzten „Wert“ von 103 Milliarden US-Dollar aufweisen, was in etwa 7,2 Prozent aller Vermögenswerte in der Bilanz dieser Bank ausmacht. R
Regelrecht erschreckend ist hingegen der Anteil der mit Fair Value Level 2 bewerteten Wertpapiere der Citigroup. Dieser soll sich auf 1,177 Billionen US-Dollar oder 81,6 Prozent aller Vermögenswerte belaufen. Laut den Wirtschaftsquerschüssen ist auch für bei Fair Value Level 2 „kein direkter Marktwert oder es sind nicht ausreichende liquide Märkte vorhanden, deshalb wird der Wert ebenfalls mit einer Menge Gestaltungsspielraum auf Grundlage von vergleichbaren alternativen Marktpreisen ermittelt.“ Nahezu 90 % der Vermögenswerte der Citigroup können somit derzeit keinen direkten Marktpreis erzielen.
Die meisten der angeblich inzwischen kerngesunden Banken, die sich durch Kapitalerhöhungen aus den staatlichen Hilfsprogrammen freikauften, sitzen auf solchen Bergen von mehr oder minder faulen Krediten oder unverkäuflichen Kreditderivaten. Bilanztechnische Tricks und die Geldschwemme der Notenbank verdecken nur diese strukturelle Krise des Finanzsektors. Doch kann selbst die fantasievolle Buchführung nicht die anstehenden Abschreibungen auf ewig verzögern, sodass inzwischen die Europäische Zentralbank mit weiteren Verlusten in Höhe von 187 Milliarden US-Dollar allein bei den europäischen Banken rechnet.
Falls es tatsächlich nicht mehr möglich ist, einen „gerechten Preis“ für den in der Bilanz befindlichen Finanzschrott zu „schätzen“, können Banken einfach diesen aus der Bilanz nehmen. So gründete beispielsweise die WestLB die erste „Bad Bank“ Deutschlands, in die Finanzmüll in Höhe von 85 Milliarden Euro ausgegliedert wird, um so „risikoreiche Aktiva in der Bilanz“ der Landesbank zu „verringern“. Schließlich können auch Zweckgesellschaften von den Banken selbst gegründet werden, in die faule Kredite und problematischer Wertpapiere ausgelagert werden können. So hat beispielsweise die Citigroup ehemals Finanzmüll im „Wert“ von nahezu 965 Milliarden US-Dollar in etliche solcher Gesellschaften verschoben und somit seine Bilanz entlastet.
Vielleicht ist angesichts dieser Bankenstrategie zur „Krisenbewältigung“ ein Vergleich mit dem Verhalten störrischer Kinder zulässig, die der Aufforderung zum Aufräumen des eigenen Zimmers nachkommen, indem sie den ganzen Müll unter den Teppich kehren oder hinter das Sofa werfen – bis es zu stinken anfängt.