"Das ganze Volk steht Hand in Hand"
Seite 3: "Sittlichkeitsdiskurse" in der Weimarer Republik
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Nach dem Ersten Weltkrieg beteiligten sich auch der katholische Adel des Münsterlandes und Kreise des rechten Zentrumsflügels an der Verbreitung der "Dolchstoß"-Legende. Man klagte, die Weimarer Republik stehe nicht in Einklang mit der "christlichen Staatsphilosophie". Der klerikale "Sittlichkeits"-Diskurs lenkte den Blick auf freizügige Bademoden mit zu viel nackter Haut. Eine selbstkritische Aufarbeitung des kriegskirchlichen Komplexes fand hingegen nicht statt - trotz der riesigen Leichenfelder.
Katholische Pazifisten blieben in zwei Weltkriegen eine winzige Minderheit. Der Staat bedachte die Bischöfe ja mit hohen "Staatskirchengehältern", was übrigens heute immer noch der Fall ist. Entsprechend wohlgefällig verhielten sich die Kirchenführer. Der deutsche Katholizismus hielt schon vor 110 Jahren nicht viel vom weltkirchlichen Pazifismus des Bischofs von Rom. Man folgte fast unisono der amtlich vorgegebenen nationalen Linie.
Die Schauplätze für Fortsetzungen unseres Geschichtsprojekts eröffnen keine schönen Aussichten: Die bürgerlichen Parteien in der Weimarer Republik waren alsbald schon wieder auf einen Kurs deutscher Aufrüstung eingeschworen. 1928 setzte die SPD als Oppositionspartei im Wahlkampf dagegen noch die Parole: "Kinderspeisung statt Panzerkreuzer".
Doch nach der Wahl realisierte die Regierung unter einem sozialdemokratischen Reichskanzler dann das genaue Gegenteil des Wahlversprechens. Lumpenpazifisten der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) wurden aus der SPD herausgedrängt. Sie waren mitnichten erst ab 1933 Gegenstand von Hetze und Repression.
Im Vorfeld von zwei Weltkriegen mit insgesamt fast 90 Millionen Toten wusste man im öffentlichen Diskurs jeweils ganz sicher, dass radikale Militärkritiker Vaterlandsverräter und Geisteskranke sind. Die NSDAP betrachtete Pazifisten als gefährliche, todeswürdige Verbrecher.
Der "Friedensbund deutscher Katholiken" wurde deshalb von den Nazis früher kaltgestellt als alle anderen kirchlichen Organisationen. In der oberen deutsch-katholischen Kirchenleitung störte sich niemand daran.
Peter Bürger – Ron Hellfritzsch (Hg.):
Das Bistum Münster und Clemens August von Galen im Ersten Weltkrieg. Forschungen – Quellen. (= Kirche & Weltkrieg, Band 13). Norderstedt: BoD 2022. (ISBN: 978-3-7562-2428-9; Paperback; 608 Seiten; 22,40 Euro).
Leseprobe mit Inhaltsverzeichnis hier auf der Verlagsseite. Internetseite mit Gesamtübersicht zum Editionsprojekt.