Das gefälschte Enthauptungsvideo

Die Kunst der Ansteckung oder die Mechanismen der medialen Aufmerksamkeitsmaschine

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Während im Irak von der Übergangsregierung die Redaktion des Senders al-Dschasira geschlossen wurden, weil dieser zu Hass und Gewalt durch Ausstrahlung von Bildern aufgestachelt habe, setzt die Terrorgruppe Al-Tawhid wa al-Dschihad ihre Propaganda-Aktivitäten nicht nur mit weiteren Entführungen, sondern auch mit einer CD-ROM "Die Stürme des Sieges" fort, in der die Muslims zum Krieg gegen die Kreuzfahrer aus dem Westen aufgerufen werden. Ein Video, das die Enthauptung eines Amerikaners zeigte, die angeblich von al-Sarkawi selbst oder seiner Gruppe durchgeführt wurde, entpuppte sich inzwischen als Fälschung eines jungen Amerikaners, der das erhalten hat, was er suchte: Aufmerksamkeit.

Im Krieg der Bilder ist die Fälschung der "authentischen" Bilder von Enthauptungen und Terroranschlägen auf der einen Seite und von den Opfern des von der USA geführten Kriegs gegen den Terrorismus auf der anderen Seite eine weitere Stufe. Wahrheit und Fälschung wird in Zeiten der Propaganda, wie sie spätestens seit dem 11.9. sowohl von Terroristen als auch von den Regierungen betrieben, die ihre innen- und außenpolitische Zwecke unter dem Zeichen des Kampfs gegen den Terrorismus verfolgen, zu einer immer schwieriger zu entscheidenden Frage. Terroristen werben mit ihren Taten und kündigen neue an, Mitläufer suchen im Schatten der spektakulären Taten, selbst ein wenig Aufmerksamkeit zu erhalten, Vertuschungen, Erfolge und Bedrohungen gehören zum Alltag, wenn Kriege geführt, Anschläge geschmiedet und klandestine Antiterrorstrategien verfolgt sowie Feinde gebraucht und daher dämonisiert werden.

Gleichwohl sind Bilder für alle Seiten wichtig, wenn auch natürlich nicht unbedingt dieselben. Was die einen als Beweis für die Untaten der anderen demonstrativ in Form von Bildern zeigen oder machen, suchen die anderen zu verbergen oder durch andere Bilder zu überlagern. Wobei die unterlegenen im asymmetrischen Krieg meist die Vorteile im Medienkrieg haben, da sie sich als Widerstand gegen eine Übermacht präsentieren und daher kaum Rücksicht darauf nehmen müssen, als "Gute" zu erscheinen.

Im Fall der Enthauptungsvideos scheinen aber die Interessen der feindlichen Lager zusammen zu gehen. Für die Geiselnehmer sind die Bilder ein Mittel, um ihre Macht zu demonstrieren und ihre Forderungen bekannt zu geben, für die unter Druck gesetzten dienen sie dazu, die barbarische Unmenschlichkeit ihrer Feinde deutlich zu machen, die gewissenlos über Leichen gehen. Der "Erfolg" der Enthauptungsvideos, besonders auffällig bei dem Video, auf dem die Ermordung des Amerikaners Nicholas Berg vorgeführt wurde und das zu einem der "Hits" in der Nachfrage von neugierigen Internetnutzern wurde, hatte zu einigen "wirklichen" Nachahmungen geführt. Dass wie so oft sich auch Trittbrettfahrer an die Vorbilder anhängen werden, ist nicht weiter verwunderlich, zumal die Geiselnahmen, Enthauptungen und Terrorstrategien derzeit weltweit Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die Erfolgsaussichten daher hoch sind.

Und tatsächlich hat der 22-jährige Benjamin Vanderford aus San Francisco es mit seinem Video geschafft, sich an vorderster Front der Medienaufmerksamkeit zu spielen. Dazu gehörte, dass ein allgemein als meist glaubwürdige Quelle geltendes Medium eine Nachricht lanciert, die zunächst einmal nicht direkt nachprüfbar ist, aber einen relativ sicheren Sensationswert mit sich bringt. Bei Enthauptungsvideos läuft dieser Mechanismus mehr oder weniger automatisch. In diesem Fall hatte der mit al-Dschasira konkurrierende, aber noch nicht von der irakischen Regierung aus Bagdad vertrieben Fernsehsender El-Arabija über das Video, das die angebliche Ermordung eines US-Bürgers mit dem Namen Benjamin Ford zeigt, berichtet. Das Video war auf einer islamistischen Website gefunden worden. Der Sender gab auch weiter, was als Titel des Video angegeben war: "Abu Musab al-Sarkawi tötet einen Amerikaner".

Auf dem Video, mit dem offensichtlich die Exekution von Berg imitiert werden sollte, sah man einen jungen Mann, der nicht einmal in der üblichen orangenen Kleidung vor einer kahlen Wand auf einem Stuhl saß, die Hände hinter dem Rücken und scheinbar unter Angst, aber ohne von maskierten Terroristen wie üblich bedroht zu werden, in die Kamera sprach, dass die Amerikaner sofort den Irak verlassen sollten. Dazwischen geschnitten waren Bilder von verletzten und verstümmelten Menschen (die von einer Website der Hamas stammen). Im Hintergrund wurde aus dem Koran gelesen. Am Schluss war auch zu sehen, wie anscheinend eine Hand in den Hals des am Boden bewegungslos liegenden Opfers, das Benjamin Vanderford selbst darstellte, schneidet und Blut spritzt.

Ausschnitt von der Website des gescheiterten politischen Kandidaten

Vanderford und sein noch ungenannter Freund, der mit das Video machte, hatten dazu nur künstliches Blut verwendet. Um die Authentizität oder den Realismus des Videos zu steigern, hatte er die Bildqualität absichtlich schlechter gemacht. Gestochen scharfe Bilder hätten Zweifel tatsächlich viel schneller aufkommen lassen, auch wenn die "echten" Videos der Terroristen möglicherweise auch bald professioneller gemacht und die Anschläge oder Exekutionen kameragerechte inszeniert werden. Zwar kamen am Samstag bald Zweifel an der Echtheit auf und auch die Terrorgruppe wies das Video als Fälschung zurück. Schließlich meldete die Mutter von Vanderford, dass das Opfer im Video ihr Sohn und das ganze Werk eine Fälschung sei. Ihr Sohn kenne sich nämlich gut mit Computern aus. Und als dann AP-Reporter den Mann in San Francisco aufspürten, gab er zu - was sollte er auch anders machen? -, dass er die Hinrichtung inszeniert und das Video angeblich schon "vor Monaten" ins Internet gestellt habe, ohne dass es irgendeine Reaktion gegeben hätte.

Die memetische Infektion und der Verbreitungsmechanismus

Das mag man glauben oder nicht. Angeblich hat er das Video in Kazaa und andere Tauschbörsen gegeben, was sicher der falsche Ort ist, um etwas völlig Unbekanntes zu verbreiten. Seltsam mag auch erscheinen, dass er ausgerechnet mit einem solchen Video Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte, da er damals für den Stadtrat kandidierte. Die Website dazu gibt es(teilweise) noch, hier tritt Vanderford für alle möglichen hehren Ziele ein, unter anderem für die Meinungsfreiheit, die Software-Freiheit und die Verwendung von freier Software. Wie das mit der Verbreitung eines gefälschten Enthauptungsvideos zusammen geht, ist vorerst noch das Geheimnis von Vanderfort. Immerhin gibt er zu, dass das primäre Motiv die Suche nach Aufmerksamkeit, also nach Werbung für sich selbst gewesen ist.

Er will es aber noch aus weiteren Gründen gemacht haben, nämlich als einen kritischen Kommentar "über diese Videos und wie leicht sie gefälscht werden können". Vanderford arbeitet zwar bei einer Bank, aber er ist auch ein "Kreativer": Er ist Mitglied in einer Rap-Band und macht Computerspiele. Angeblich wollte er mit dem Video auch ein "Experiment" durchführen, nämlich sehen, "wie schnell dieses System Nachrichten verbreitet". Auch wenn die Latenzzeit möglicherweise länger gedauert hat, so ist die Infektion des Mediensystems dann tatsächlich abrupt erfolgt und einer globalen Epidemie des kognitiven Virus oder Mems geworden, auch wenn sie fast ebenso schnell abgelöst wurde durch die Folgenachricht, dass die Epidemie durch eine Fälschung erfolgte, die Medien also anscheinend völlig unbeteiligt melden, dass sie eine Falschmeldung transportiert haben und sehr leicht infizierbar sind.

And if they (the media) presume it's real, without doing any research..then it's sort of a big open hole for them to manipulate the whole society with...so it proves that it can be done pretty easily.

Und das ist eigentlich das Erstaunliche an diesem Fall, der nicht nur wieder einmal zeigt, wie schnell eine Nachricht/ein Mem heutzutage weltweit sich von einem Medium zum anderen hüpfend verbreiten kann, wenn es den richtigen Punkt trifft oder das Immunsystem täuschen kann. Der Fall zeigt auch, dass das Mediensystem zumindest nach außen hin völlig unbeeindruckt davon zu sein scheint, dass es im Dienste eines Aufmerksamkeitssuchers "missbraucht" wurde. Das erinnert tatsächlich an ein Virus, das in eine Wirtszelle eindringt, seinen Code in dessen Genom einschleust und sich dann dank der zelleneigenen Mechanismen vermehrt. Doch die Medien, die auch sonst Komplizen in der strategischen Aufmerksamkeitsbeschaffung sind, berichten über den erstaunlichen Erfolg der Fälschung, als hätten sie damit gar nichts zu tun. Es ist schlicht eine neue Nachricht, die sensationswürdig ist und daher berichtet werden muss, um sofort zum nächsten Thema - oder Mem - zu springen oder zu hetzen. So wird - beispielsweise von der Bild - gesagt, Vanderford habe das Video nur "als Scherz" gemacht, was er offenbar nicht so sagte. Gleichzeitig wird das Video als scheinheilig "geschmacklos" bezeichnet.

Vanderford, der Rapper und Computer-Geek, der etwas anderes wollte, als in der Bank zu arbeiten und hier seine Karriere zu beenden, der politisch für eine bessere Welt zumindest in San Francisco sorgen wollte, war wahrscheinlich davon beeindruckt, wie schnell Medien auf ein Thema wie den Terrorismus aufspringen, wie eng die Beziehung zwischen Terror, der "Propaganda der Tat" und Medien ist, die für die Propaganda sorgen, wie schnell Themen oder Menschen prominent werden. Wenn es um die Herstellung von Aufmerksamkeit geht, funktionieren diejenigen, die die Immunschwäche der Medien durch bestimmte Taten, Themen, Personen oder Bilder nutzen, analog zu den Zielen der Medien, die ihre Informationen auch möglichst gut verpacken, um für deren Verbreitung zu sorgen. Und dieses in sich verwobene System scheint sich auch deswegen weiter zu entwickeln (und sich zu steigern), weil es gut narzisstisch Reflexion abweist und Sensation nach Sensation abarbeitet, wobei diese sich steigern müssen, um die zunehmende Aufmerksamkeitsschwelle noch durchbrechen zu können. Auch jede kleine Kritik, wie diese hier, ändert nichts am System, da sie trotzdem das Mem verbreitet.

Gut scheint sich da auch Vanderfords Haltung einzupassen, der kaum nur in seiner behaupteten Rolle als Aufklärer und Experimentator in Sachen Medien durchgehen kann, auch wenn er dies tatsächlich beides ist. Er sagte, er verstehe zwar, dass Familienangehörige von denjenigen, die im Irak getötet wurden, seinen "Stunt" ablehnen können, dafür entschuldigen will er sich aber nicht. Er habe nämlich gezeigt, wie eine kleine Gruppe aufgebrachter Menschen im Irak oder in Saudi-Arabien "mehr Aufmerksamkeit erhalten, wenn sie so etwas, wie ich dies gemacht habe, im Internet veröffentlichen". Darauf mag er noch einmal hingewiesen haben, aber nur, insofern er den Mechanismus der Infektion imitiert hat, während er den Vorgang so darstellt, als würde die Imitation oder Ansteckung anders herum verlaufen. Just so funktioniert die Immunität, die paradoxerweise offen bleibt für die nächste memetische Ansteckung.