"Das ist hier nicht die Zivilgesellschaft, das ist die Informationsgesellschaft"

Europäische Staaten bereiten in Bukarest den UNO-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft vor, zivilgesellschaftliche Gruppen sitzen selbstverschuldet am Katzentisch

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Wochenende ging in Bukarest die pan-europäische Regierungskonferenz zur Vorbereitung des UNO-Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (WSIS) zuende. Veranstalter waren die International Telecommunications Union (ITU) und die United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) in Zusammenarbeit mit dem Gastgeberland Rumänien. Die Konferenz fand im Parlamentspalast in Bukarest, dem zweitgrößten Bürogebäude der Welt, statt. Die pompösen Räumlichkeiten, die noch unter dem Diktator Ceaucescu begonnen, aber erst nach seinem Sturz fertiggestellt worden waren, bildeten eine surreale Atmosphäre. Der rumänische Staatspräsident Ion Iliescu erwähnte in seiner Begrüßungsrede nicht ohne Stolz, dass für die Konferenz nur ein Prozent des Gebäudes genutzt wurde.

Von den ca. 500 Teilnehmern kamen viele aus Mittel- und Osteuropa, aber der politische Einfluss dieser Region ist nach wie vor gering. Da der UNECE nämlich auch die USA und Kanada angehören, war die Bezeichnung "europäisch" im Namen der Konferenz etwas missverständlich, und die Präsenz der amerikanischen Delegation spürte man denn auch deutlich in den Verhandlungen der angereisten Minister und Regierungsvertreter.

Nachdem die erste weltweite Vorbereitungskonferenz für den Gipfel (PrepCom) im Juli in Genf (Konstruktive Einmischung oder destruktive Aufmischung?) sich vor allem mit prozeduralen Fragen befasst hatte, sollte die Konferenz in Bukarest erstmals eine umfassende inhaltliche Position der europäischen Staaten formulieren und so den Weg zum Gipfel im Dezember 2003 vorbereiten. Da im Februar 2003 bereits die zweite weltweite Vorbereitungskonferenz (PrepCom2) stattfinden wird, war dies auch dringend nötig. Mark Furrer, als Schweizer Kommunikationsminister Gastgeber für den Weltgipfel im nächsten Jahr, wies denn auch in seiner Eröffnungsansprache darauf hin, dass die Vorbereitungen deutlich hinter dem Zeitplan zurückliegen. Immerhin sollen schon Mitte Dezember die Vorschläge für ein UN-Aktionsprogramm eingebracht werden, und die vorher eigentlich nötige inhaltliche Diskussion über Prinzipien und Ziele hat gerade erst begonnen. Mit einem versteckten Seitenhieb auf England und Deutschland, die nicht auf Ministerebene vertreten waren, mahnte Furrer an, dass das Thema "in einigen wichtigen Regierungen" der EU "deutlich ernster genommen" werden müsste.

Die Regierung in Bukarest hatte versucht, die Konferenz gleichzeitig zu einer IT-Messe für die rumänische IT-Industrie zu machen. Auch sonst war der Einfluss der Industrielobby zu spüren. Den großen IT-Konzernen aus dem Westen geht es vor allem darum, über den Gipfelprozess eine Öffnung neuer Märkte für ihre Produkte und Dienstleitungen zu erreichen, und dies wurde in einigen Arbeitsgruppen auch sehr deutlich geäußert. Die Regierungen in Osteuropa sollten doch, bitteschön, entsprechende steuerliche und andere Erleichterungen schaffen oder gleich direkt Großaufträge vergeben. Denn nur wenn es sich rechnet, werde man auch in diesen Regionen investieren, so etwa der Tenor des Vortrages von Jan Mühlfeit, der bei Microsoft in München für Mittel- und Osteuropa sowie Afrika zuständig ist. Schon hier war der Unterschied zwischen den Interessen der osteuropäischen Staaten und denen der EU deutlich zu spüren. Während in Ländern wie etwa Kirgisien eine flächendeckende IT-Infrastruktur erst einmal aufgebaut werden muss, denkt man in Westeuropa schon weiter.

Bukarester Erklärung

Neben der Überwindung der "digitalen Kluft" befasste sich die Konferenz daher auch mit der Frage, wie denn genau die kommende Informationsgesellschaft ausgestaltet werden soll. Hierzu wurde ein Abschlussdokument (Bukarester Erklärung) diskutiert und am Ende des Gipfels einstimmig angenommen.

Die Erklärung enthält in der Tat einige interessante Ansätze. Als Vision stellt sich hier die Informationsgesellschaft unter dem Stichwort "e-Inclusion" als für alle vorteilhaft dar, und neben dem üblichen "Zugang für alle" werden hier auch soziale, geschlechtsspezifische und kulturelle Barrieren angesprochen. Technik, das wird betont, soll nicht zum Selbstzweck verkommen, sondern ein Werkzeug für öffentliche Information und gesellschaftliche Entwicklung sein. Die Vielsprachigkeit in Europa und besonders die Angst Frankreichs, in einem englischsprachig geprägten globalen Informationsraum unterzugehen, waren der Hintergrund für die starke Betonung der "Förderung von sprachlicher Diversität und kultureller Identität".

Als weiterer Punkt wird die Notwendigkeit einer umfassenden Ausbildung der Bevölkerung gefordert. Hier geht es allerdings nicht nur darum, die Arbeiter für den kommenden Informations-Kapitalismus zu produzieren. Die Bukarester Erklärung nennt ausdrücklich "aktive Partizipation" und das "Definieren eigener Bedürfnisse" durch die Bevölkerung als Ziel dieser Bemühungen.

Sicherheit vor Terroristen oder vor Staaten?

Kurzfristig eingefügt wurde in Bukarest noch ein Absatz zum Thema "Sicherheit". Der erste Entwurf hatte sich noch relativ nichtssagend mit dem Problem der Netzwerksicherheit befasst. Aufgrund der kürzlich erfolgten Besetzung des Moskauer Musicaltheaters drängte die russische Delegation aber in Bukarest darauf, hier auch die Stichworte "Terrorismus" und "militärische Sicherheit" einfließen zu lassen. Von den USA, die seit dem 11.9.2002 ja fast die gesamte Außenpolitik auf den Antiterrorkrieg reduziert haben, erhielten sie dabei nach Aussagen von Verhandlungsteilnehmern weitgehende Unterstützung.

Die Regierungen der EU, die hier offenbar keine eigene Position entwickelt haben, sahen sich zwischen diesem neuen Bündnis Moskau-Washington in der Zange und konnten nicht einmal mehr Defensivpositionen wie die Balance von "Sicherheit" und "Datenschutz" durchsetzen. Die endgültige Formulierung kann sich allerdings als Eigentor für die USA erweisen, da ein Satz implizit das Hacken in militärische und zivile Netze anderer Staaten verbietet:

"Informations- und Kommunikationstechnologien können potenziell für Zwecke genutzt werden, die im Widerspruch stehen zu den Zielen der Aufrechterhaltung internationaler Stabilität und Sicherheit und die die Integrität der Infrastrukturen innerhalb von Staaten negativ beeinflussen können, zum Schaden ihrer Sicherheit sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich und in Bezug auf das Funktionieren ihrer Ökonomien."

Genau dies - das Hacken und Stören von zivilen und militärischen Datennetzen und Infrastrukturen möglicher Gegner - ist seit 1998 offiziell Teil der amerikanischen Planungen für den Informationskrieg und wurde vom Pentagon u.a. im Kosovokrieg 1999 bereits durchgeführt. Die vor vier Jahren veröffentlichte Joint Doctrine for Information Operations nennt zum Beispiel ausdrücklich zivile und militärische Angriffsziele und enthält einen geheimen Anhang zu "Computer Network Attacks (CNA)". Eine enge Auslegung der Budapester Erklärung würde dem nun entgegen stehen. Wahrscheinlich wird der Abschnitt aber in der amerikanisch-russischen Interpretation so ausgelegt werden, dass im Namen der "Sicherheit vor Cyberterrorismus" noch mehr Zensur- und Überwachungskompetenzen der Regierungen im Internet gefordert werden.

Zivilgesellschaft noch nicht ausreichend organisiert

Die Konferenz in Bukarest hätte eine Gelegenheit werden können, den Diskurs über Inhalte, Ziele und Strategien der Informationsgesellschaft unter breiter Beteiligung zivilgesellschaftlicher Gruppen zu führen. Fast alle Delegierten von Regierungen und internationalen Organisationen betonten ausdrücklich, wie wichtig die Einbeziehung aller "Stakeholders", also von Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft, ist. Leider war hier von den enger mit dem Gipfelprozess befassten Gruppen kaum etwas vorbereitet worden. Der auf der PrepCom1 gebildete "European Caucus" war kaum präsent, und die noch kurz vor der Konferenz diskutierten morgendlichen Briefings und der ständige Austausch zwischen den NGOs fanden nicht statt. Auf der vergeblichen Suche nach den NGO-Aktivitäten am ersten Konferenztag bekam man daher von den Konferenzorganisatoren die treffende Antwort: "Das ist hier nicht die Zivilgesellschaft, das ist die Informationsgesellschaft."

Das "Civil Society Forum" am Nachmittag des zweiten Konferenztages bot somit die erste wirkliche Gelegenheit, innerhalb der europäischen NGOs zu einer Diskussion zu kommen. Eine wirkliche inhaltliche Diskussion kam aufgrund der Kürze der Zeit und der mangelnden Strukturierung nicht zustande, es wurde aber eine Liste von Forderungen erarbeitet, die aus NGO-Sicht noch nicht genügend repräsentiert sind. Wichtigste Punkte waren hier die Betonung des Rechtes auf Kommunikation als Menschenrecht, die Bedeutung der "globalen Güter" (Wissensallmende), die nicht kommerzialisiert werden dürften, eine stärkere Betonung von Datenschutz und Privacy sowie Open Source-Lösungen (auch offene Standards) und freie Software. Unklar blieb bis zum Schluss, ob man sich gleich auf die globalen Positionen einigen soll oder ob es eigene inhaltliche Papiere der europäischen NGOs geben soll.

Zur weiteren Arbeit wurde eine weitere Diskussion und Entwicklung dieser Positionen über Mailinglisten beschlossen. Darüber hinaus soll es eine Informationskampagne geben, um die Medien und die Öffentlichkeit erst einmal auf diesen bisher sehr wenig bekannten Gipfelprozess aufmerksam zu machen. Die Plattform "Communication Rights in the Information Society" (CRIS) wird dazu in Kürze einen hauptamtlichen Mitarbeiter einstellen. Darüber hinaus wurde beschlossen, dass parallel zu den eigenen NGO-Aktivitäten bei der PrepCom2 auch von zivilgesellschaftlicher Seite Diskussionen mit Vertretern von Regierungen und Privatwirtschaft vorbereitet werden sollen. Dies soll dazu dienen, diese gezielter und frühzeitig mit den zivilgesellschaftlichen Themen zu konfrontieren.

Insgesamt bleibt von der offiziellen Diskussion während der Konferenz der Eindruck, dass auch viele Regierungen von der Thematik überfordert sind. Dies liegt wahrscheinlich an zwei Gründen. Zum einen ist die Materie noch sehr neu, so dass es oft noch keine klaren politischen Positionierungen gibt, die über die simple Forderung "Zugang für alle" hinausgehen. Zum anderen ist "Informationsgesellschaft" ein Querschnittsthema, das alle gesellschaftlichen Bereiche berührt, und bei dem es keine klaren Zielvorstellungen wie bei Klimawandel ("schlecht") oder Entwicklung ("gut") gibt. Diese Probleme auch auf Seiten der Regierungen könnten von der NGO-Szene und ihrer gerade im Netzbereich oftmals hervorragenden Expertise genutzt werden, wenn sie sich selber genügend organisiert und dies auch schnell tut.

Die in den Weltgipfel involvierten internationalen Organisationen sind hier durchaus bemüht, den Prozess offen zu gestalten. Das Gipfelsekretariat in Genf hat einen eigenen Bereich eingerichtet, der die Zusammenarbeit mit den zivilgesellschaftlichen Gruppen sichern soll. Die UNESCO wird am 27./28. November in Paris ein weiteres Treffen mit NGOs durchführen, das ausdrücklich dem Ziel dient, die zivilgesellschaftlichen Positionen zusammenzustellen. Dies ist besonders wichtig, da am 7. Dezember die offizielle Frist abläuft, bis zu der Vorschläge für das Gipfel-Aktionsprogramm eingebracht werden können. Die UNESCO veranstaltet darüber hinaus im Dezember einen Online-Dialog mit der Zivilgesellschaft.

In Berlin hat sich seit Sommer ein Bündnis von Gruppen aus dem Bereich der Netzpolitik gebildet, das die deutschen Vorbereitungen zum Gipfel begleiten und sich auch in die weltweiten Aktivitäten der Zivilgesellschaft einbringen wird. Beteiligt sind bislang unter anderem Vertreter von Chaos Computer Club, Netzwerk Neue Medien, FifF, Privatkopie, FoG:IS, Ver.di und der deutschen UNESCO-Kommission. Koordiniert wird es über die im Bereich Netzpolitik recht aktive Heinrich Böll Stiftung (drossou@boell.de), die den WSIS-Prozess zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeiten für 2003 gemacht hat.