Konstruktive Einmischung oder destruktive Aufmischung?
UNO plant Weltgipfel zur Informationsgesellschaft
Die UNO will im Dezember 2003 in Genf einen "Weltgipfel zur Informationsgesellschaft" (WSIS) veranstalten, der zwei Jahre später in Tunis mit der Verabschiedung einer Deklaration und eines Aktionsplanes die Weichen für das globale Kommunikationszeitalter stellen soll. Dieses bislang wohl gigantischste Unternehmen in der Gipfelgeschichte der Vereinten Nationen begann letzte Woche in Genf mit einer ersten Vorbereitungskonferenz (PrepCom1). Allein zu dieser "Ouvertüre" waren knapp 1.000 Vertreter von Regierungen, der privaten Wirtschaft und der Zivilgesellschaft an den Genfer See gereist.
Ungeachtet der Krise der sogenannten "New Economy" herrscht weltweit ein Konsens darüber, dass die Informationsrevolution des letzten Jahrzehnts Gesellschaft, Wirtschaft und Politik im globalen Maßstab grundlegend verändern wird und zu einer neuen Qualität des Miteinanders auf unserem Globus führen muss. Bereits heute haben 500 Millionen Menschen Zugang zum Internet. Im Jahr 2010 werden es voraussichtlich zwei Milliarden sein.
Viele sehen im Cyberspace nicht nur neue Möglichkeiten für eine Erweiterung individueller Rechte und Freiheiten, für eine Vertiefung von Demokratie und eine Erhöhung wirtschaftlicher Effizienz. Informations- und Kommunikationstechnologien können auch entscheidende Instrumente sein, um Entwicklungsländer den Weg auf die Seite der Gewinner der Globalisierung zu ebnen. Die "digitale Spaltung" der Welt von heute, so UN-Generalsekretär Kofi Annan, soll durch eine "Strategie der digitalen Möglichkeiten" überwunden werden.
Gleichzeitig aber wächst die Sorge, dass das Internet im wachsendem Masse für kriminelle Aktivitäten aller Art genutzt wird, deren Bekämpfung wiederum zu erhebliche Einschränkungen individueller Freiheiten und zu staatlicher Überwachung führen kann. Andere wiederum warnen vor einer "Überkommerzialisierung" der virtuellen Räume, die sich kontraproduktiv für Innovation und Entwicklung auswirken könnte. Der "Weltgipfel" soll für den Umgang mit dieser schier endlosen List e von Problemen global anwendbare Prinzipien vereinbaren und einen Aktionsplan erarbeiten, wie man auf diese Herausforderungen antworten sollte.
Bevor man jedoch in Genf überhaupt zur Sache kam, begann erst einmal der Streit darüber, wer denn bei der Ausarbeitung dieses "Zukunftsplans 2020" überhaupt mitreden kann. Bereits im Vorfeld hatten vor allem Vertreter der Zivilgesellschaft gefordert, dass die Entwicklung der globalen Informationsgesellschaft nicht auf einen Deal zwischen Privatindustrie und Regierungen hinauslaufen dürfe. Die Industrie machte ihrerseits deutlich, dass für sie restriktive staatliche Regulierungen zur Nutzung des globalen Internet unakzeptabel sind. Es müsse einen "trilateralen Verhandlungsansatz" geben, bei dem Regierungen, die private Industrie und die Zivilgesellschaft gleichberechtigt an der Ausarbeitung der Dokumente teilnehmen können.
Folgerichtig wurde die Frage, wer mit wem worüber verhandelt, zum vorrangigen Zankapfel der PrepCom 1. Die sogenannte "Gruppe der 77" mit China und Pakistan an der Spitze, lehnte eine formelle Einbeziehung von "nicht-staatlichen Akteuren" in den "Weltgipfel" grundlegend ab. Allenfalls könne man über einen "passiven Beobachterstatus" reden. Die westlichen Regierungen wollten zwar auch nicht so weit gehen, Industrie und Zivilgesellschaft Verhandlungs- und Stimmrechte einzuräumen, drängten jedoch darauf, dass zumindest Rederechte auch in den Arbeitsgruppen garantiert sind.
Die Klärung dieser Prozedurfrage hat weitreichende Bedeutung. Praktisch geht es dabei um eine Art Machtteilung und Mitbestimmung bei der Gestaltung globaler Politik. Bislang standen Globalisierungsgegner bei Gipfelkonferenzen meistens auf den Straßen. Der "Weltgipfel zur Informationsgesellschaft" könnte der Beginn eines Prozesses sein, der den Protest in zivilisierte Bahnen lenkt. "Konstruktive Einmischung" ist allemal besser als "destruktive Aufmischung", hörte man immer wieder von den über 100 angereisten nicht-staatlichen Organisationen (NGOs), denen es leid ist, ihr legitimes Anliegen von Straßen-Randaleuren diskreditiert zu sehen. Mit einem bloßen Platz am Katzentisch aber wollen sich die NGOs, die sich eine eigenständige Verhandlungsplattform "Communication Rights in the Information Society" (CRIS) geschaffen haben, nicht zufrieden geben. Sie wollen nicht nur gehört werden, ihre Ideen sollen auch mit einfließen in die Entscheidungen.
Noch konnten die 180 Regierungen bei der PrepCom 1 nicht über ihren Schatten springen. Zivilgesellschaft und Industrie werden zunächst auf Distanz gehalten. So wird es vorerst keine Verhandlungs- oder Stimmrechte für Nichtregierungsvertreter geben. Und auch die Zugangsrechte zu den Arbeitsgruppen sind eher begrenzt. Im April 2003 findet die zweite PrepCom statt, die sich dann stärker mit Inhalten und Finanzen beschäftigen will. CRIS kündigte noch in Genf an, dass man dann einen neuen Anlauf macht, die bisher fest geschlossenen Türen der diplomatischen Verhandlungen zu öffnen.