Das kleinste Genom der Welt

Craig Venter will einen einzelligen lebensfähigen Organismus synthetisieren, der mit einem Minimum von Genen auskommt. Das legt die wissenschaftliche Basis für eine neue Generation von biologischen Waffen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Vater der Genentschlüsselung, Craig Venter, und Nobelpreisträger Hamilton Smith wollen zusammen den ersten lebensfähigen Minimal-Organismus konstruieren.

Einen völlig neuartigen Organismus, der nur einen Mindestsatz von Genen besitzt, um sich vermehren und ernähren zu können. Im Erfolgsfall wäre damit der Kern des Lebens gefunden, die kleinste genetische Ausstattung, mit der Leben funktioniert. sagte gegenüber der

Wir wollen sehen, ob wir eine molekulare Definition des Lebens finden werden, Unser Ziel ist das Verständnis aller Bestandteile in einer ganz einfachen lebenden Zelle.

Venter in der Washington Post

Die Idee des Projekts ist nicht neu. Bereits 1992 gründete Craig Venter für seine Forschungen das Institute für Genomic Research (TIGR). Damals gelang es ihm, das Genmaterial des Einzellers Mycoplasma genitalium auf seine lebenswichtigen Gene zu reduzieren ( Das Minimal Genome Project). Der Einzeller, der im menschlichen Genitalbereich lebt und dort Entzündungen der Harnröhre hervorrufen kann, benötigt - wenigstens unter Laborbedingungen - von seinen insgesamt 517 Genen nur 300, um lebensfähig zu sein.

Doch das TIGR-Experiment hatte eine Schwäche. Wenn man ein Gen ausschaltet, so folgt daraus nicht zwingend, dass damit auch seine zugehörige Funktion ausgeschaltet ist. Andere Gene können die Aufgabe übernehmen. So kamen die Forscher zu dem Schluss, dass man den umgekehrten Weg einschlagen und das Genom im Labor von Grund auf zusammenbauen müsse.

Das Minimal Genome Project soll jetzt an dem von Venter gegründeten Institute for Biological Energy Alternatives stattfinden. Rund 25 Mitarbeiters werden dort in den kommenden drei Jahren an dem Programm arbeiten, das amerikanische Energieministerium unterstützt die Forschung mit 3 Millionen Dollar. Als Basis wird erneut das Bakterium Mycoplasma genitalium seine Dienste tun: Alles Genmaterial soll aus seiner Zelle entfernt werden, dann sollen die essenziellen Gene im Reagenzglas neu synthetisiert und der Zellhülle implantiert werden. Wenn alles klappt, kann sich die Zelle teilen und selbstständig reproduzieren - damit wäre eine völlig neuartige Zelle entstanden. Daraus gewonnene Erkenntnisse ließen sich zu einem gewissen Grad auch auf menschliche Zellen und auf eine Vielzahl anderer Lebewesen übertragen.

Das Minimal Genome Project wirft viele Zweifel und Bedenken auf, die Venter und Smith eifrig beiseite zu wischen versuchen. Den Einwand etwa, dass bei den Experimenten gefährliche Bakterien entstehen könnten, soll der Verweis auf die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen entkräften: Dem Genom von Mycoplasma genitalium sollen mehrere Gene entfernt werden, darunter etwa dasjenige, das für die Anheftung der Zellen an menschliches Gewebe verantwortlich ist. Außerdem soll der neue Organismus nur in einer bestimmten Nährlösung lebensfähig sein, außerhalb der Petrischale sei er dann, laut Smith, nichts anderes als eine tote Ente (dead duck).

Der Besorgnis erregendste Aspekt des Projekts ist, dass dabei die wissenschaftliche Basis für eine neue Generation von biologischen Waffen gelegt wird. Auch diese Befürchtung suchen die Forscher zu zerstreuen, mit dem Argument dass gleichzeitig damit ja auch die Fähigkeiten verbessert würden, bestehende biologische Waffen zu bekämpfen. Obendrein soll der künstliche Einzeller Schritt für Schritt zusätzliche Fähigkeiten erhalten, indem einzelne Gene oder ganze Gengruppen angehängt werden. Was das Verständnis einzelner Stoffwechselvorgänge und der Interaktion der Gene verbessern soll, macht nämlich gleichzeitig ganz praktische Anwendungen denkbar. Solche Organismen könnten Kohlendioxid aus Kraftwerksemissionen binden oder aber bestimmte Stoffe wie Wasserstoff produzieren.

Unterdessen gibt es aber auch Stimmen, die den wissenschaftlichen Nutzen der Sache in Frage stellen und selbst bei einem erfolgreichen Verlauf des Projekts, das Resultat der Schaffung künstlichen Lebens anzweifeln. Denn die entscheidende Frage, wie die Zelle zustande kommt, werde nicht beantwortet, sondern nur umgangen, indem man das Genom in ein existierendes Bakterium stecke.