Das linguistische Manifest aus Österreich
Dank Kronen-Zeitung und Autoren-Manifest beginnt sich jetzt auch Österreich die orthographische Gegenreformation zu rühren - und proklamiert den sprachlichen Separatismus
Bislang beobachtete man in Österreich die Turbulenzen der bundesdeutschen Debatte um die Rechtschreibreform recht gelassen aus der Distanz. Doch mit leichter Verzögerung scheint die (Anti-)Reform-Farce nun auch über die Alpen zu schwappen: Im Windschatten von Springer und Spiegel macht neuerdings Österreichs mächtiges Kleinformat, die Kronen-Zeitung, allerdings ohne selbst zur alten Schreibung zurückzukehren, kräftig Stimmung gegen die Reform. Und bekommt jetzt unerwartet Schützenhilfe durch ein linguistisches Manifest, in dem fünf namhafte Autoren und ein Germanist sich gar nicht erst mit orthographischem Kleinkramaufhalten, sondern gleich die Anerkennung von "Österreichisch" als "Staatssprache" fordern. Gilt das Karl-Kraus-Zitat "Der größte Unterschied zwischen Österreichern und Deutschen ist die gemeinsame Sprache"?
Unter dem Manifest prangen illustre Namen. National-bornierter Kleingeisterei, die man hinter solchem Sprachaktivismus vermuten könnte, sind sie völlig unverdächtig. Neben den Autoren Marlene Streeruwitz, Robert Schindel und Peter Henisch haben auch der "Wienerlieder-Macher" Roland Neuwirth und Christian Ide Hintze (der sich kürzlich noch gerne auf der Bühne des Prix d'Eurovision de la Chanson gesehen hätte) den harschen Aufruf unterzeichnet. Universitäre Rückendeckung gibt dem Autoren-Gespann der Grazer Germanist Rudolf Muhr.
Lanciert wurde das Manifest über Hintzes Schule für Dichtung, die einst mit abseitigen Gastpoeten (wie Falco, Blixa Bargeld oder Nick Cave) überraschte und schon 1999 mit der Forderung nach Kleinschreibung an vorderster Front gegen die Reform mobil machte. Mit dem Vorstoß, der in eine Unterschriftenaktion münden soll, reagieren die sechs Erstunterzeichner, allesamt der intellektuellen Antiregierungsfront zuzurechnen, auf die jüngsten Aussagen von Kanzler Schüssel, der österreichischen Rückkehrwünschen zur alten Rechtschreibung eine Abfuhr erteilte.
Das erklärte Fernziel der Manifest-Verfasser ist hoch gesteckt: Sie wollen mit den 7 Punkten ihres Forderungskatalogs einen sprachlichen Selbstermächtigungsprozess in Gang setzen, an dessen Ende die Proklamierung der österreichischen Sprachvariante(n) als eigenständige Staats- und EU-Sprache stehen soll. Doch bevor man daran gehen kann, die Verfassung in diesem Sinne umzumodeln, gilt es, mit dem sofortigen Rückzug aus dem ungeliebten "deutschen" Reformwerk das größte Hindernis aus dem Weg zu räumen. Die österreichische Regierung fordern sie deshalb auf,
... keine weiteren finanziellen Mittel für die 'deutsche Rechtschreibreform' zur Verfügung zu stellen - keine Gelder für eine Rücknahme, auch keine für eine Volksabstimmung über 'alt' oder 'neu'! -, sich auch in Zukunft an keiner 'deutschen Rechtschreibreform' mehr zu beteiligen und die eingesparten Mittel für die Förderung eines österreichischen und europäischen Sprachbewußtseins zu verwenden.
Von Marillenmarmelade und Karfiol
Den Unterzeichnern liegt besonders die Erweiterung der "Liste der 23 offiziell von der EU anerkannten 'österreichischen' Wörter" (von Topfen, Marille und Paradeiser bis zu Eierschwammerl und Karfiol) und die Aufwertung des Österreichischen Wörterbuchs am Herzen. Letzteres sei den "zuständigen EU-Kanzleien" umgehend bekannt zu machen, um "in Zukunft Skurrilitäten wie den sogenannten 'Marmeladenstreit'" zu vermeiden.
Unlängst hatte die EU dem österreichischen Nationalgefühl durch die Reglementierung der Bezeichnung Marmelade eine schwere Kränkung zugefügt und "erst nach tagelangen Schlagzeilengefechten und Interventionen auf höchster politischer Ebene" davon Abstand genommen, Österreich den Normbegriff "Konfitüre" aufzunötigen.)
Mit solchen Detailfragen allein geben sich die Sprachagitatoren allerdings nicht zufrieden. Im zweiten Teil des Manifests fordern sie, dass nach Klärung der Frage, "ob die Bewohner und Bewohnerinnen dieses Landes ihre sprachlichen Eigenarten nicht nur sprechen, sondern auch schreiben wollen", ein Gremium zur "Entwicklung einer österreichischen Schriftsprache" einzusetzen sei.
[Daraufhin ist] dafür zu sorgen, daß die in der Verfassung verankerte Formulierung 'Die Staatssprache ist Deutsch' ersetzt wird durch a) 'Die Staatssprache ist Österreichisch in einem europäischen Kontext' oder b) 'Die Staatssprache ist Österreichisches Deutsch ....' oder c) 'Die Staatssprachen sind Deutsch und Österreichisch ...' sowie schließlich alles dafür zu tun, die Sprache der Bewohner und Bewohnerinnen dieses Landes als eigenständige EU-Sprache durchzusetzen.
Man gibt sich also "heimattreu" und "europäisch" - und gießt bedenkenlos frisches Wasser auf die Mühlen jener, die ein Europa der Vaterländer im Munde führen. Kann man denn politisch so wachen Geistern wie Schindel, Streeruwitz & Co. ein solches Maß an Naivität unterstellen? Merken sie denn nicht, in welche Gewässer sie driften, wenn sie in ihrer liebenswerten Sympathie für sprachliche Differenz am Fundament eines österreichischen Nationalismus basteln? Übrigens ein Vorwurf, der die regierungskritische Bewegung, die 2000 nicht müde wurde, sich - ganz patriotisch - als das "bessere Österreich" zu inszenieren, schon öfter ereilt hat.
Nur ein "Österreichisch" zwischen Burgenland und Bodensee?
Dass es in Österreich überhaupt eine national fassbare Spielart des Deutschen gibt, verweist der Klagenfurter Linguist Heinz-Dieter Pohl - als Produkt von Wunschdenken, Ideologie und Wien-Lastigkeit - ins Reich der Fantasie:
Ich denke, dass man sich in der österreichischen Öffentlichkeit viel zu wenig bewusst ist, dass es ein 'österreichisches Deutsch' streng genommen nicht gibt, schon gar nicht als Einheit gegenüber dem 'deutschländischen' bzw. 'schweizerischen' Deutsch, denn das österreichische Deutsch ist in vielfacher Hinsicht mit dem ganzen oberdeutschen Raum verbunden, wobei es in Österreich selbst ein Nord/Süd- bzw. Ost/West-Gefälle gibt. Allzusehr ist man geneigt, was für Wien typisch ist, auch für ganz Österreich in Anspruch zu nehmen.
Der stolz gehortete Sprachschatz der Austriazismen - insbesondere auf dem Gebiet der Verwaltung und der Gastronomie - gibt für das Konstrukt einer eigenständigen "Staatssprache" zumindest eine recht dürftige Basis ab:
Wenn es auch Austriazismen gibt, sie reichen nicht aus, um eine mehr oder weniger einheitliche 'nationale Varietät' des Deutschen in Österreich zu postulieren (im engeren Sinne des Begriffes). Es entspricht auch das österreichische Sprachverhalten auf verschiedenen Ebenen kaum einem 'nationalen'.
Bleibt nur zu hoffen, dass im forschen Ton der österreichischen Sprachseparatisten ja doch auch ein Fünkchen Satire mitschwingt. Verfechter anderer Regionalvarianten - von Bairisch bis zu Allemannisch - könnten sich ansonsten bald ein Beispiel nehmen und ebenfalls ihr Recht einfordern.