"Das neue Wettrüsten hat bereits begonnen."
Seite 2: Kosten der Kriege spielten im Bundestag nie eine Rolle
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Für den Krieg wurden insgesamt über zwei Billionen US-Dollar verpulvert. Auch bei keiner Verlängerung der deutschen Kriegsbeteiligung durch den Bundestag hat Geld je eine Rolle gespielt. Es wäre die definitive Bankrotterklärung für die deutsche Außenpolitik, wenn sie sich hinter Brüssel verschanzen würde.
Notwendig ist eine Task-Force unter UN-Vorsitz, zu der neben den Interventen auch die Nachbarländer Afghanistans gehören, darunter China. Die alten Terrorfinanziers wie Saudi-Arabien. Außerdem Katar, die Türkei, Indien und Russland.
Und in ein solches internationales Aufbauprogramm müssen die Taliban, so unsympathisch sie uns sein mögen, eingebunden werden. Denn auch humanitäre Politik braucht ein Fundament aus Realismus. Es gibt Hinweise, dass Chancen dafür bestehen. Jetzt ist die Stunde der Diplomatie, um sie zu nutzen.
Wir haben in Afghanistan gerade den Bankrott jener Parole erlebt, wonach unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigt würde. Trotzdem meint die Bundesregierung, unsere Sicherheit müsse jetzt auch noch im südchinesischen Meer verteidigt werden – noch mal 3.000 Kilometer weiter im Osten.
Die Entsendung einer Fregatte der Bundesmarine vor die Haustür Pekings ist ebenso provokant wie arrogant. Absicht ist es, das zu demonstrieren, was man in Berlin für "Weltpolitikfähigkeit" hält. Früher nannte man das "Kanonenbootpolitik."
Aber mit Politik der Stärke und dem Rückgriff auf die traditionellen Rezepte von Militarisierung und Großmachtpolitik ist auch den Problemen einer vernetzten und hochkomplexen Welt des 21. Jahrhunderts nicht beizukommen.
Es ist an der Zeit zu begreifen, dass die 500-jährige Epoche endgültig vorbei ist, in der der "weiße Mann" dem "Rest der Welt" sagen konnte, wo es lang geht. Natürlich gilt das nicht nur für den weißen Mann, sondern auch für eiserne Ladys, wie Frau Kramp-Karrenbauer oder Frau Baerbock.
Denn wir leben bereits in einer multipolaren Welt, auch wenn so manche es noch nicht wahrhaben wollen. Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft verlagert sich nach Asien. Der Anteil der USA am globalen Bruttoinlandsprodukt sank von 20 Prozent im Jahre 2000 auf heute 16 Prozent. In der Eurozone sogar von 17 Prozent auf zwölf Prozent.
Im gleichen Zeitraum stieg Chinas Anteil spektakulär von sieben Prozent auf 18 Prozent. Und die Tendenz setzt sich fort. Heute leben 11,4 Prozent der Weltbevölkerung in der EU und den USA. Bis 2050 wird der Anteil auf unter neun Prozent sinken. Wir sind nicht der Bauchnabel der Welt. Darauf muss sich eine zukunftsfähige Außenpolitik allmählich einstellen.
Zwar bleiben die USA eine Supermacht, aber mit der Monopolstellung, die sie nach dem Kalten Krieg hatten, ist es vorbei. Der Aufstieg Chinas, das Comeback Russlands als Weltmacht, perspektivisch wohl auch anderer Schwellenländer, die zunehmenden Spielräume von Regionalmächten, all das erhöht die Komplexität des internationalen Systems enorm.
Die systemische Instabilität nimmt zu und damit die Risiken. Da passt es wie die Faust aufs Auge, dass die neue "Nato 2030"-Strategie den Weg zu einer Interventionsallianz außerhalb des nordatlantischen Bündnisgebiets ebnen soll.
Das ist eine katastrophal falsche Weichenstellung. Konfrontation, Feindbildproduktion und Verschwörungstheorien in der offiziellen Politik, wonach der "böse Russe" und der "verschlagene Chinese" uns alles mögliche Üble antun wollen, führen die Welt in einen neuen Kalten Krieg. Das schafft keine Sicherheit, sondern ist im Gegenteil brandgefährlich.
Und zwar nicht nur als Lehre aus der Vergangenheit, sondern auch weil sich neue Problemlagen für Frieden und Sicherheit zusammengebraut haben. Das Rüstungskontrollsystem, das seit den 1970er-Jahren wenigstens eine gewisse Stabilität im Gleichgewicht des Schreckens ermöglichte, zerfällt.
Das ABM-Abkommen, das die Stationierung von Raketenabwehrsystemen begrenzte, kündigten die USA bereits 2002. 2019 kündigte Trump den INF-Vertrag über Mittelstreckenraketen. 2020 kündigte er den Open Sky Vertrag, der vertrauensbildenden Maßnahmen diente. Es entsteht ein gefährliches Vakuum an vertraglichen Bindungen.
Konfrontation verhindert Lösung globaler Probleme
Zweitens ermöglichen technologische Innovationen, hier vor allem die Digitalisierung, neue Perversionen der Kriegführung. Sie führen zu einer Beschleunigung in militärischen Abläufen. Die Zielgenauigkeit von Waffen wird präziser, ihre Zerstörungskraft größer. Der Trend geht zum Killerroboter.
Künstliche Intelligenz im Militärischen wird politisch zu gigantischer Dummheit. Nicht zuletzt wegen des Risikos eines Krieges aus "Versehen" aufgrund von Softwarefehlern. Das ist nicht alles: mit der Miniaturisierung von Atomwaffen geht die Illusion einher, sie unterhalb der Schwelle eines großen Krieges verwenden zu können. Und die neuen Hyperschall-Träger-Systeme könnten das strategische Gleichgewicht aus der Balance bringen. Das neue Wettrüsten hat bereits begonnen.
Drittens schließlich werden die globalen Probleme, vorneweg der Klimawandel, nicht lösbar unter Bedingungen von Konfrontation, geopolitischer Feindschaft, Lagerdenken, permanenten Sanktionen und Protektionismus.
Schon vor zehn Jahren schrieb der Wissenschaftliche Beirat "Globale Umweltveränderungen" der Bundesregierung:
Die Welt braucht zwingend ein höheres Maß an internationaler Kooperation, wenn eine dauerhaft klima- und umweltverträgliche globale Entwicklung ermöglicht werden sollen.
Und damals stand es um die internationalen Beziehungen noch lange nicht so schlecht wie heute.
Die geopolitischen Konflikte absorbieren die Kapazitäten von Regierungen und internationalen Organisationen zur Problembearbeitung und verursachen eine gigantische Vergeudung von Finanzmitteln, die an anderer Stelle fehlen.
Allein das absurde Nato-Ziel, zwei Prozent des deutschen BIP für Rüstung auszugeben, entspräche einer Steigerung des Militäretats von über 20 Milliarden Euro. Außerdem hält die Hau-drauf-Politik Medien und Öffentlichkeit in permanenter Erregung und verdrängt die existentiellen Probleme unseres Planeten von der Tagesordnung.
Es ist illusionär zu glauben, man könne das Klima retten und gleichzeitig einen Kalten Krieg führen. Erfolgreiche Klimapolitik ist auch immer Friedenspolitik.
Die heute lebenden Generationen kennen eine multipolare Weltordnung nicht aus eigenem Erleben. Die Älteren werden sich an das bipolare System des Kalten Krieges erinnern. Danach kam die kurze Periode der Dominanz durch die damals einzige Supermacht USA.
Multipolarität gab es aber jeweils vor den beiden Weltkriegen. Zwar war sie nicht die Ursache für die Kriege – die waren in Imperialismus und Faschismus begründet –, aber sie bildete die Rahmenbedingungen, in denen Großmachtrivalität, Eroberungs- und Weltherrschaftsfantasien nicht durch eine internationale Friedensordnung eingehegt werden konnten.
Schon das Scheitern des Völkerbundes war ein Symptom dafür. Heute aber steht die Schaffung einer solchen neuen Friedensordnung unabweisbar auf der Tagesordnung.
Denn: so fürchterlich die beiden Weltkriege waren, es gab ein Danach. Ein drittes Mal aber könnte die Existenz der Menschheit auf dem Spiel stehen. Sei es, dass wir statt globaler Klimaerwärmung einen nuklearen Winter bekommen. Sei es, dass wir vor lauter geopolitischen Konflikten das Klimaproblem zu spät in den Griff bekommen.
Wir brauchen eine neue Weltordnung, auf der Höhe unserer Zeit. Wir brauchen internationale Kooperation statt Konfrontation. Wir brauchen Rüstungskontrollen und Abrüstung.
Wir brauchen einen Stopp der Rüstungsexporte und eine entsprechende Konversion der betreffenden Industrien für umweltfreundliche Busse, Straßenbahnen und Eisenbahnen statt Panzern und Kampfbombern.
Wir brauchen den Mut eines Willy Brandt und die Klugheit eines Egon Bahr für eine neue Entspannungspolitik. Wir brauchen dafür eine Bundesregierung, die die Initiative dafür ergreift.
Und wir brauchen eine Bewegung von unten, die den nötigen Druck aufbaut.
Bei diesem Text handelt es sich um das leicht bearbeitete Manuskript einer Rede, die Peter Wahl am 1. September, dem Antikriegstag, in Worms hielt.