Das schwächste Glied aus der Kette brechen
Erneut waren spanische Staatsangehörige Ziel einer Attacke. Der Druck, die Truppen auch aus Afghanistan oder dem Libanon abzuziehen, wächst
Zunächst sorgte letzte Woche ein schwerer Anschlag auf spanische Soldaten im Libanon für Aufruhr. Ihm fielen sechs Personen zum Opfer. Nun wurden sieben Touristen mit spanischem Pass an dem Tag Opfer eines Selbstmordanschlags im Jemen, als der Prozess zu den Anschlägen vor drei Jahren in Madrid beendet wurde. Islamistische Gruppen drohten Spanien zu Beginn des Prozesses und forderten stets den Abzug der Truppen aus Afghanistan, wo Angriffe auf Spanier ebenfalls zunehmen. Sie setzen nach dem spanischen Abzug aus dem Irak offenbar erneut am schwächsten Glied der Kette an. Die spanische Regierung leugnet die Zusammenhänge, dabei rechnet sie selbst vor den Wahlen im nächsten Frühjahr mit neuen Anschlägen.
"Wir haben die Unschuldigkeit verloren." Das war ein aussagekräftiger Kommentar eines politischen Beobachters nach dem tödlichen Anschlag auf spanische Touristen im Jemen. Bei dem Selbstmordanschlag am Montag wurden sieben spanische Staatsbürger - Katalanen und Basken -, sowie zwei Einheimische getötet. Der Attentäter, der kein Jemeniter sein soll, war mit seinem mit Sprengstoff beladenen Auto in den von der Armee geschützten Touristenkonvoi gefahren. Zuvor hatten die Toursiten eine antike Tempelanlage in Marib östlich der Hauptstadt Sanaa besucht. Bei den einheimischen Opfern handelt es sich um einen Fahrer und Reiseführer der Touristen. Der Kommentar drückt die Erkenntnis aus, dass nun jeder einfache spanische Staatsbürger überall das Ziel von Anschlägen ist.
Er zeigt auch, wie schwer es den Menschen in Spanien fällt, sich diese längst bekannte Tatsache ins Bewusstsein zu rufen. Noch schwieriger fällt das Katalanen und Basken, diesmal die Opfer, die mehrheitlich gegen den Eintritt Spaniens in die Nato stimmten und auch mit großer Mehrheit die Auslandseinsätze spanischer Truppen ablehnen. Diese Einsätze bilden den Hintergrund für die Angriffe, welche die jemenitischen und spanischen Regierungen al-Qaida zuschreiben. Immer wieder wurde aus dem Umfeld des Netzwerks Spanien gedroht. Es werde zu blutigen Attacken kommen, wenn sich die "Kreuzfahrer" nicht aus allen arabischen Ländern zurückziehen.
Dass spanische Staatsbürger Opfer von derlei Anschlägen im Ausland werden, ist nicht neu. Seit 1994 sind 17 Opfer zu verzeichnen. Die Tendenz ist steigend. 2003 waren unter den 45 Toten der Anschläge im marokkanischen Casablanca vier Spanier. Spätestens diese Attacken richteten sich auch direkt gegen spanische Einrichtungen wie das "Spanische Haus".
Ob sich der jüngste Anschlag nun gezielt gegen Spanien gerichtet hat, wird heftig diskutiert und die spanische Regierung versucht, die Diskussion zu bremsen. Der Außenminister Miguel Ángel Moratinos sagte, der Anschlag habe sich gegen den "Tourismussektor des Landes" und "gegen den Islam" gewendet. Das ist genauso schwer verdaulich wie sein Hinweis, es gäbe auch keinen Zusammenhang zu dem Anschlag vor einer Woche auf spanische Truppen im Libanon. Doch eine mutmaßliche Gruppe aus dem Umfeld von al-Qaida hatte im Südlibanon sechs spanische Soldaten mit einer fern gezündeten Bombe gezielt getötet.
Rückeroberung von Andalusien und Jerusalem
Nach Anschlägen im Frühjahr in Algerien und Marokko hat die "Salafistische Gruppe für Verkündigung und Kampf" (GSPC) den direkten Kampf gegen Spanien angekündigt (Bombenanschläge in Algerien, Selbstmordattentäter in Marokko). Die Koordination aus den Maghrebstaaten, die als "Al-Qaida im islamischen Maghreb" gilt, erklärte in ihrem Bekennerschreiben: "Wir werden keinen Frieden geben, bis wir nicht zurück in Al Andalus und el Qods sind." Gemeint ist mit Al Andalus der spanische Süden, aus dem die Mauren nach 800 Jahren vom Königreich Aragon und Kastilien gewaltsam vertrieben wurden, und Jerusalem. Die dauernden Anspielungen von bewaffneten islamistischen Gruppen auf Al Andalus und die Gleichsetzung der Befreiung Jerusalems ist so widersprüchlich, wie dies Spanien alarmieren sollte, weil es immer deutlicher ins Zielfernrohr der islamistischen Fundamentalisten rückt. Widersprüchlich ist diese Gleichsetzung, weil nach dem Abschluss der ethnischen Säuberung 1492, mit dem Fall von Granada, gleich die nächste folgte. Isabella die Katholische setzte zur vollständigen Vertreibung der Juden an, deren Nachfahren heute zum Teil in Jerusalem leben. Ebenfalls Opfer der spanischen Eroberung, die als Rückeroberung umgedeutet wird.
So ist es letztlich unbedeutend, ob dieser Anschlag zufällig Bewohner mit spanischem Pass getroffen hat, denn auch in Afghanistan und im Libanon nimmt der Druck auf spanische Truppen zu. Spätestens seit den verheerenden Anschlägen in Madrid am 11. März 2004, mit 191 Todesopfern und mehr als 1000 Verletzten, ist klar, dass sich einige Islamisten im Krieg gegen alle sehen, die sie für Spanier halten. Die Abwahl der rechten Volkspartei (PP), vier Tage nach den Anschlägen, hatte dem Land eine Ruhepause verschafft. Sie verlängerte sich, als die Sozialisten (PSOE) ihr Versprechen einlösten und die Truppen aus dem Irak abzogen, wohin sie die PP gegen den entschiedenen Widerstand der Bevölkerung geschickt hatte.
Doch auch der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero ließ sich dazu hinreißen, als Ausgleich für den Abzug aus dem Irak, spanische Truppen in Afghanistan zu verstärken. So sollte der vor den Kopf gestoßene US-Präsident besänftigt werden. In dieser Logik liegt auch der Einsatz im Libanon.
Letztlich wenden die Gruppen um al-Qaida nur die Strategie an, die schon im Fall des Iraks erfolgreich war. Sie setzen am schwächsten Glied in der Kette an. Das ist Spanien aus verschiedenen Gründen. Die sozialistische Minderheitsregierung konnte sich nie gegenüber ihren linken Partnern von den Forderungen freimachen, die Truppen auch aus Afghanistan abzuziehen. Die Diskussion lebt immer deutlicher auf und wird nach dem Anschlag im Jemen weiter an Stärke gewinnen. Zapateros Regierung war von Anfang an schwach und wurde von der starken PP ständig attackiert. Die verlorenen Regional- und Kommunalwahlen im Mai und das ambivalente Vorgehen im baskischen Friedensprozess haben schließlich zum Ende der Waffenruhe der ETA geführte und die Stellung von Zapatero weiter geschwächt (Spanien: Die Logik der Konfrontation hat gesiegt. Der Oppositionsführer Mariano Rajoy brachte die Situation in der Debatte nach der Regierungserklärung am Dienstag unmissverständlich auf den Punkt, als er die Regierung aufforderte, Neuwahlen durchzuführen.
Diese Schwäche nutzen die Islamisten. Wie im Fall der Allianz zwischen Bush-Blair-Aznar, setzen sie erneut am schwächsten Glied der Kette an und versuchen Spanien herauszubrechen. Zöge sich das auch Land aus Afghanistan zurück, führte das, wie im Irak, zu einem Dominoeffekt unter den Alliierten und würde die Stellung der Taliban stärken und den Fundamentalisten weiter Auftrieb geben. So wiederholt sich vor den Wahlen, die spätestens im März 2008 stattfinden, ein Szenario unter anderen Vorzeichen. Beschrieben wurde die Strategie schon 2003 in einem Dokument (Terroristen untergraben das "Monopol über die Massenkommunikation"), das auf den Webseiten von Global Islamic Media veröffentlicht wurde. Ein "Komitee der Waisen" warb für Anschläge vor den Parlamentswahlen im März 2004.
In dem Dokument "Der Irak im Dschihad, Hoffnungen und Risiken" wird die damalige politische Lage in Spanien ausführlich analysiert. Die Schwäche der PP-Regierung, angesichts der großen Demonstrationen, wird besonders herausgestellt. Als Konsequenz müssten den spanischen Truppen im Irak "schmerzhafte Schläge" zugefügt werden. Für die propagandistische Begleitung müsse die Nähe der Wahlen genutzt werden. "Wir glauben, die spanische Regierung hält höchsten zwei bis drei Schläge aus, bevor sie sich zum Rückzug wegen des öffentlichen Drucks gezwungen sieht."
Das wiederholt sich nun, und auch Zapatero weiß, trotz aller Versuche die Zusammenhänge zu leugnen, dass er mit Anschlägen im Land zu rechnen hat, sollte er vor den Wahlen nicht nachgeben. Die würden die geringen Chancen der Sozialisten, die Wahlen noch einmal zu gewinnen, wohl endgültig zerbomben. Die Anschläge im Libanon, Afghanistan und Jemen sind nur das Vorspiel, wie es die Angriffe auf die Truppen im Irak einst waren, wo der irakische Widerstand gezielt die spanischen Geheimdienstmitarbeiter auf das Korn nahm (Spanischer Geheimagent im Irak ermordet).
Merkwürdigkeiten im al-Qaida-Prozess in Madrid
Die Warnungen gegen Spanien haben mit Beginn des Prozesses zu den Anschlägen vor drei Jahren in Madrid ohnehin zugenommen. Es war möglicherweise eben auch kein Zufall, dass der Anschlag im Jemen wenige Stunden vor dem offiziellen Ende des mündlichen Verfahrens vor dem Nationale Gerichtshof in Madrid ausgeführt wurde, wo angeblich Führer von al-Qaida bis zu 40.000 Jahre Haft erhalten sollen?
Große Überraschungen hat auch der letzte Prozesstag nicht mehr gebracht, an dem die Angeklagten am Montag mit ihrem letzten Wort erneut ihre Unschuld beteuerten. Nun stehen die Urteile aus, mit denen im Oktober gerechnet wird. Damit ist das Ziel erreicht, den Prozess zu beenden, bevor die Angeklagten nach Verbüßung von vier Jahren Untersuchungshaft freigelassen werden müssen. Allerdings wurde dies nur erreicht, weil nur die Hälfte der 600 Zeugen und statt 100 Gutachter nur 70 gehört wurden.
Ob das der Wahrheitsfindung diente, sei dahingestellt. Doch nach der gescheiterten parlamentarischen Untersuchung, bizarren Ermittlungen und der politischen Funktionalisierung durch die beiden großen Parteien, war kaum damit zu rechnen, dass hier die Wahrheit ans Licht kommt. Egal wie die Urteile gegen die 28 Angeklagten ausfallen, dunkle Punkte bleiben, die von einer unabhängigen Kommission geklärt werden müssten. Das fordert auch die große Opferorganisation ("Das Absurdeste des Absurden"). Schließlich waren die Sicherheitskräfte über Spitzel und infiltrierte Agenten in die Anschläge direkt involviert (Von Spitzeln, Terroristen und dem schweren Geschäft der Aufklärung).
Doch diese saßen nicht auf der Anklagebank, auch wenn sie sogar am Bau der Bomben beteiligt waren (Nationalpolizist in Madrider Anschläge verwickelt), von deren Führungsbeamten oder den politisch Verantwortlichen erst gar nicht zu sprechen. Erstaunlich war im Prozess, dass die Staatsanwaltschaft dort auch den Spitzel der Guardia Civil, Rafa Zouhier, zum Hauptangeklagten stempelte. Statt 20 Jahre als Unterstützer fordert sie plötzlich auch für ihn fast 40.000 Jahre Haft. Dabei hatte dessen Kontaktbeamter im Prozess bestätigt, dass er die Guardia Civil von den Sprengstoffdeals der spanischen Polizeispitzel unterrichtete. Zwar wird für den spanischen Spitzel José Emilio Suárez Trashorras die Höchststrafe gefordert, doch die Forderung gegen seinen Schwager bleibt mit 23 Jahren gering. Ohne deren Sprengstofflieferungen wären die Anschläge unmöglich gewesen. Dass es eine merkwürdige Ungleichbehandlung im Prozess gab, zeigt sich auch daran, dass kaum ein Spanier in Untersuchungshaft sitzt und die Spanier außerhalb des Glaskäfigs im Prozesssaal Platz nehmen dürfen. Bei den Nichtspaniern ist es genau umgekehrt.
Auffällig war auch, dass Gutachter erklärten, die Übersetzungen von Telefonaten aus Italien seien völlig falsch, mit denen sich einer der Hauptangeklagten Rabei Osman El Sayed als Drahtzieher der Anschläge selbst bezichtigt haben soll. Beim Hauptangeklagten Marokkaner Youssef Belhadj brach die Anklage praktisch zusammen, als ein Gutachter die Stimme auf einem Bekennervideo einer anderen Person zuordnete. Trotz allem wurde der Strafantrag bei ihm sogar noch erhöht.
Peinlich war der Prozess erneut für die PP, die weiter an einer Verbindung zur baskischen ETA fabuliert, wofür es keine Hinweise gibt. Die mussten deshalb auch im Prozess herbeigelogen werden, was Konsequenzen für deren Europaparlamentarier und Ex-Polizeichef Agustín Díaz de Mera hat. Er behauptete, es gäbe ein geheimes Gutachten darüber, brachte aber keinen Nachweis. Seine Quelle wollte er nicht nennen, doch der Kollege trat schließlich als Zeuge auf und demontierte Mera.