Das staatstragende Herumeiern der SPD
Warum die Nazis 1933 wirklich an die Macht kamen
Langsam dämmert der deutschen Linken, dass die jahrelang mit Hilfe der Strategie der "asymmetrischen Demobilisierung" klein gehalten worden ist. Nur keine Angriffsfläche bieten, niemanden provozieren, Entpolitisierung, Identitätspolitik selbst aktiv gestalten, dem politischen Gegner wie dem Affen Zucker geben - das war Alltagspolitik der Merkelschen CDU.
Jetzt mobilisiert die AfD am rechten Rand des Spektrums die Marginalisierten der letzten Dekade, die politische Linke beklagt sich hereingelegt worden zu sein. Das war schon einmal so im Niederhalten der SPD in der Weimarer Republik in der Weltwirtschaftskrise.
31. Juli 1919 in Weimar
Mit 262 Stimmen von SPD, der liberalen Deutschen Demokratischen Partei DDP und der katholischen Zentrumspartei gegen 75 Stimmen der nationalliberalen Deutschen Volkspartei DVP, der monarchistischen Deutschnationalen Volkspartei DNVP, des Bayerischen Bauernbundes und der linken Unabhängigen Sozialdemokraten USPD. Die Kommunistische Partei war nicht vertreten, weil nur eine Minderheit um Paul Levi und Rosa Luxemburg auf ihrem Gründungsparteitag für die Teilnahme an der Wahl zur Nationalversammlung stimmte und natürlich weil die KPD zum Zeitpunkt der Wahl eh verboten war. Die KPD strebte nach einer Räterepublik nach russischem Vorbild
Die Unterstützer der Weimarer Reichsverfassung - vor allem SPD und Zentrum - gingen in der Folgezeit eine asymmetrische politische Symbiose ein: Die SPD zog in Regierungskoalitionen die Zentrumspartei einer wenn möglich linken Regierung mit USPD oder KPD vor, das Zentrum dagegen nutzte bürgerliche Mehrheiten immer zu Koalitionen ohne die SPD, die ihrerseits diese Regierungen parlamentarisch duldete - bis zum bitteren Ende.
27. März 1930 Wilhelmstraße, Berlin
Der letzte SPD-Reichskanzler Hermann Müller reicht bei Reichspräsident Hindenburg seine Demission ein. Müller konnte sich im Kabinett der Großen Koalition nicht durchsetzen, die Arbeitslosenversicherung durch paritätische Beitragserhöhungen und Staatszuschüsse stärker zu finanzieren. Auch hatte ihm Hindenburg zuvor den Erlass von Notverordnungen zu diesem Zweck verwehrt.
Die Zahl der Arbeitslosen hatte im Februar 1930 die 5-Millionen-Grenze überschritten.
31. März 1930 Reichstag Berlin
Hindenburg ernennt den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning zum Reichskanzler mit dem ausdrücklichen "Vermerk, daß sein Kabinett ohne koalitionsmäßige Bindung zusammenzustellen sei."1
Brüning verfügt ohne die SPD über keine Mehrheit im Reichstag, wird aber am Anfang in seiner Austeritätspolitik noch von der SPD unterstützt. Doch scheitert Brüning mit dem Reichshaushalt 1930. Brüning verwandelte mit Hilfe Hindenburgs den Gesetzentwurf in eine exekutive Notverordnung nach Artikel 48 der Verfassung, die wiederum von einer Reichstags-Mehrheit aus SPD, KPD, NSDAP und DNVP ebenfalls nach Artikel 48 außer Kraft gesetzt wurde. Prompt löste Hindenburg nach Artikel 25 den Reichstag auf und ordnete Neuwahlen an.
Reichstagswahl vom 14. September 1930
Die Reichstagswahl vom 14. September 1930 bringt starke Verluste für SPD, DNVP und DVP, moderate Gewinne für die KPD und 19 Prozent für die NSDAP - fast aus dem Nichts von 2,6 Prozent 1928. Brüning sucht die parlamentarische Rückendeckung der NSDAP, wird aber von dieser abgewiesen. Die SPD will um jeden Preis Neuwahlen verhindern und setzt keine der Brüningschen Notverordnungen außer Kraft oder unterstützt andere Parteien dabei. Auf diese Weise entsteht eine Quasi-Koalition aus SPD und Zentrum im Brüning-Block.
1931
Der Kleine Mann, das ist ein Mann,
Erich Kästner, 1931
mit dem man alles machen kann.
Er steht auf allen Vieren stramm,
beladen mit dem Notprogramm,
und wartet auf den Schinder.
Er schleppt und darbt und nennt es Pflicht,
denkt nicht an sich und denkt auch nicht
einmal an seine Kinder.
In fünf Notverordnungen vom Juli 1930 bis zum Dezember 1931 wird die Einkommenssteuer erhöht, eine Bier- und Bürgersteuer erhoben, die Arbeitslosenversicherung auf 4,5 Prozent erhöht, dafür die Arbeitslosenunterstützung vermindert oder für viele Bezieher ganz abgeschafft.
Erklärtes Ziel ist die Senkung des Lebensstandards um 15 Prozent. Gehaltskürzung für Reichs- und Landesbeamte, für öffentliche Angestellte und Arbeiter um insgesamt 25 Prozent, Tabak- und Salzsteuer, Zuckersteuer, Krisensteuer, Kürzung der Leistungen in der Arbeitslosenversicherung, gesetzliche Kürzung der Tariflöhne.
Die Notverordnungen des Brüning-Blocks aus Zentrum und SPD sollten die Staatsfinanzen liquide machen, um die Reparationszahlungen an Frankreich und Großbritannien zu gewährleisten - jetzt ohne die Kredite aus der Wall Street. Der Weg der Abwertung der Reichsmark der Reparationen war seit dem Dawes-Plan verwehrt, denn alle Zahlungen mussten in Dollar erfolgen. Dollars gab es nur durch Exporte, die allerdings aufgrund der US-Depression und vor allem wegen der Loskoppelung des Pfund-Sterling-Raumes vom Goldstandard schrumpften. Die Industrieproduktion sank bis 1932 um 40 Prozent und fiel auf den Stand von 1904. Das Bevölkerungswachstum halbierte sich.
Reichspräsidentenwahlen vom März 1932
Bei den Reichspräsidentenwahlen betreibt Brüning die Wiederwahl des amtierenden Reichspräsidenten Hindenburg. Die Parteien der Weimarer Koalition von SPD bis Staatspartei (ex-DDP) unterstützen Hindenburg bei der Wiederwahl gegen Hitler von der NSDAP und Thälmann von der KPD. Hindenburg dagegen wollte auf keinen Fall von der SPD unterstützt werden.
Am 1. Juli 1932 ersetzt Hindenburg Reichskanzler Brüning durch den Kandidaten seiner Wahl, Franz von Papen, ein Zentrumspolitiker, der für dieses Amt seine Partei verlässt und dessen erklärtes Ziel die Ersetzung des Republik durch einen "Neuen Staat" war wie Salazars Portugal und das Österreich von Engelbert Dollfuß ein Jahr später. Hindenburg wollte keine Regierung, die von der Duldung der SPD abhing. Gleichzeitig ordnete er Neuwahlen an, ohne den Reichstag noch einmal zusammentreten zu lassen.
Damit ging auch diese letzte Karikatur einer Weimarer Koalition aus Zentrum, SPD und Staatspartei (ex-DDP) zu Ende.
Am 9. Juli 1932 einigen sich auf der Konferenz von Lausanne die wichtigsten europäischen Staaten darauf, Schuldenzahlungen und Reparationen untereinander und gegenüber den USA einzustellen.
Unbeeindruckt davon erlässt von Papen am 4. September 1932 eine Notverordnung, die es den Unternehmen erlaubte, die Löhne in ihren Betrieben um die Hälfte zu senken.
Darauf reagiert der Reichstag auf seiner Sitzung vom 12. September 1932 auf Antrag der KPD mit der Außerkraftsetzung dieser Notverordnung und dem Misstrauen gegenüber der Reichsregierung. Beides wird vom Reichstag mit 513 gegen 32 Stimmen - also mit den Stimmen von SPD, Zentrum, NSDAP und KPD gegen die Stimmen der DNVP angenommen. Held der Reichstagssitzung ist dessen Präsident Hermann Göring, der die Abstimmung vor der Verlesung der Parlamentsauflösung durchführt.
Der Reichstag ermächtigt auf seiner Sitzung nach den Wahlen am 9. Dezember 1932 den Reichstagspräsidenten Göring, die nächste Reichstagssitzung einzuberufen. Ein gemeinsamer Antrag von SPD und KPD, bereits am folgenden 12. Dezember weiter zu verhandeln, wird abgelehnt. Göring hat natürlich nicht zu weiteren Sitzungen geladen, weswegen auch kein Außerkraftsetzen der Reichstagsbrandverordnung möglich war.
Am 30. Januar 1933 ernennt Hindenburg Hitler zum Reichskanzler, von Papen wird Vizekanzler, der Reichstag am Tag darauf aufgelöst, Neuwahlen werden für den 5. März 1933 angesetzt.
Anlässlich des Brandanschlages auf das menschenleere und anscheinend unbewachte Reichstagsgebäude erlässt Hindenburg durch Hitler die berüchtigte Reichstagsbrandverordnung, die fünf Tage vor der Wahl alle demokratischen Rechte der Weimarer Verfassung aufhebt. Alle SA-Schläger werden zu Hilfspolizisten ernannt.
Die Reichstagswahlen bringen selbst nach Nichtbeachtung der Stimmen für die KPD weder für die NSDAP die absolute Mehrheit, noch der Regierungskoalition aus NSDAP und DNVP die für das angestrebte Ermächtigungsgesetz, der Selbstentmachtung des Parlaments gegenüber der Regierung, geforderte Zweidrittelmehrheit. Das Zentrum, die Bayerische Volkspartei und Deutscher Staatspartei, die ausgerechnet über die Liste der SPD angetreten war, stimmen mit der NSDAP. Allein die SPD zeigt Haltung und stimmt - entgegen den restlichen Parteien der "Weimarer Koalition" - gegen die Vernichtung der Republik.
Eine Koalition aus NSDAP, Zentrum, DNVP und BVP unterbreitet am 17. Mai 1933 einen Entschließungsantrag über die Unterstützung der friedfertigen Außenpolitik Hitlers, auch die Abgeordneten der SPD erheben sich zur Zustimmung von ihren Sitzen, alle singen gemeinsam, tiefgerührt das Deutschlandlied.
(Der Titel wurde auf Wunsch des Autors und zur Präzisierung geändert, die Red.)