Das war’s dann also mit der Demokratie in Griechenland

THIS! IS! DEMOKRATIENIEDERGANG! – Nazis warben mit Epos "300". Bild: Cleber.knfire, CC BY-SA 4.0

Nazis, Spartaner und eine entmachtete Opposition: Nach der jüngsten Abstimmung in Griechenland kann von einer funktionierenden Demokratie keine Rede mehr sein. Und das ist nicht das einzige Problem.

Griechenland, das sich als "Wiege der Demokratie" rühmt, hat nach der Wahl von Sonntag ein Problem mit der parlamentarischen Demokratie. Parlamente sollen in repräsentativen Demokratien die Regierung kontrollieren und gegebenenfalls Fehlentscheidungen in der Politik verhindern. Mit dem aktuellen Wahlergebnis erscheint dies kaum mehr möglich.

Bei den Wahlen am Sonntag hat die Nea Dimokratia (ND) mit 40,55 Prozent der Stimmen einen überwältigenden Sieg errungen und verfügt mit 158 von 300 Stimmen über die absolute Mehrheit im neuen Parlament. Knapp einen Monat zuvor, am 21. Mai, hatte sie mit 40,70 Prozent nur 147 Mandate erreicht.

Grund für die vorgezogenen Neuwahlen, die rund 500 Millionen Euro gekostet haben, war eine Änderung des Wahlgesetzes, die am Wochenende der stimmenstärksten Partei 20 Bonussitze zu Lasten der anderen Parteien bescherte. Neben dem Wahlsieg von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis brachte das Wahlgesetz auch eine parlamentarische Opposition ohne grundlegende Oppositionsrechte.

Wahlgesetz: Was nicht passt, wird passend gemacht

Wahlrechtsänderungen, die nicht mit Zweidrittelmehrheit im Parlament verabschiedet werden, gelten erst für die übernächste Wahl. So galt im Mai das von der Syriza-Regierung verabschiedete Wahlgesetz mit einem Verhältniswahlrecht und einer Sperrklausel von drei Prozent, während nun das von Mitsotakis in seiner ersten Amtszeit verabschiedete Bonussystem gilt.

Die neue Regierung Mitsotakis hat keine für sie gefährliche Oppositionspartei im Parlament mehr. Die Partei Syriza, die im Mai mit 20,07 Prozent noch 71 Sitze errungen hatte, kam mit 17,84 Prozent nur noch auf 48 Mandate.

Die Pasok konnte ihren Stimmenanteil von 11,46 Prozent im Mai auf 11,85 Prozent steigern. Wegen des Bonuswahlrechts erhielt sie diesmal aber nur 32 statt 41 Sitze.

Die viertgrößte Oppositionspartei, die Kommunistische Partei (KKE), erhielt 0,46 Prozent mehr als im Mai und kam auf 7,69 Prozent. Sie verlor sechs Sitze und ist nun mit 20 Abgeordneten im Parlament vertreten.

Für Misstrauensanträge, Anträge auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen und andere parlamentarische Instrumente der Opposition sind mindestens 50 Mandate erforderlich. Dieses Quorum wird von keiner Oppositionspartei erreicht.

Eine parlamentarisch so schwache Opposition hat es spätestens seit dem Sturz der Militärregierung nicht mehr gegeben. Aber auch von 1949 nach dem Bürgerkrieg bis zum Putsch der Obristen 1967 gab es immer eine Oppositionspartei mit mehr als 50 Mandaten.

Regieren ohne starke Opposition birgt Gefahren. Die Allmacht im Parlament ist auch Mitsotakis nicht geheuer. Dabei war er es, der Koalitionsregierungen kategorisch ausschloss und damit die Neuwahlen auslöste.

Er versprach, dass seine Partei selbst die Oppositionsrolle übernehmen und der Regierung kritisch auf die Finger schauen werde. Wie das genau funktionieren soll, ließ er offen. Mit Giorgos Floridis als Justizminister hat der Ministerpräsident nun den dritten ehemaligen Pasok-Minister ins Kabinett geholt und feiert dies als Öffnung seiner Partei.

Parlamentarier vom Parteichef bestimmt

Die schnellen Neuwahlen, weniger als 18 Monate nach den letzten Wahlen, geben den Parteichefs ein weiteres, nicht unbedingt demokratisches Instrument in die Hand. Sie können die Kandidatenlisten ihrer Parteien nach eigenem Gutdünken zusammenstellen und so die von ihnen persönlich favorisierten Kandidaten ins Parlament hieven.

Das schränkt die innerparteiliche Opposition erheblich ein. Mitsotakis verfügt nun über 158 Sitze, die er auch 2019 bei seinem ersten Wahlsieg errungen hatte, aber im Gegensatz zu 2019 sind nun alle gewählten Kandidaten von ihm ausgewählt worden und nicht durch Vorzugsstimmen der Wähler.

Von dieser Kandidatenrochade profitierte vor allem die ehemalige SYRIZA-Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou, deren Partei "Plefsi Eleftherias" nun mit 3,17 Prozent den Einzug ins Parlament schaffte, indem sie Kandidatinnen und Kandidaten, die im Mai die meisten Stimmen für die Partei erhalten hatten, von den Wahllisten strich. Damit wurde auch ihr Lebensgefährte mit einem Mandat bedacht.

Nazis im Parlament: Trotz oder wegen eines umstrittenen Gesetzes?

Im neuen Parlament in Athen sind acht Parteien vertreten. Mit der "Griechischen Lösung" (zwölf Sitze), "Niki" (zehn Sitze) und den "Spartanern" (12 Sitze) stehen drei davon weiter rechts als die Nea Dimokratia und sind sogar rechtsextrem.

Während die "Griechische Lösung" mit der deutschen AfD vergleichbar ist, klingt das Parteiprogramm von "Niki" radikaler. Die Partei steht den russophilen Klöstern der Mönchsrepublik Athos nahe und propagiert Impfverweigerung, Abtreibungsverbot sowie eine Einschränkung der Rechte der LGBTQ-Community.

Zwischen Niki und der "Griechischen Lösung" bestehen trotz teilweiser Überschneidungen der Parteiprogramme große Rivalitäten, die eine Zusammenarbeit derzeit unwahrscheinlich machen.

Die "Spartaner", eine Partei, die im Mai nicht kandidiert hatte und in einem dreiwöchigen Wahlkampf ohne veröffentlichtes Wahlprogramm allein über die sozialen Medien den Einzug ins Parlament schaffte, outete sich noch am Wahlabend als von Ilias Kasidiaris unterstützte Partei.

Passend zum auf die Antike anspielenden Parteinamen wird sie in den griechischen Medien als Kasidiaris' Trojanisches Pferd bezeichnet.

In Wahlwerbespots der Partei wurden Ausschnitte aus dem Kinofilm "300" verwendet. Der Parteiführer Vassilis Stigas hat in seiner politischen Karriere mehrere rechte und rechtsextreme Parteien durchlaufen. Er begann als Mitglied der "Politiki Anoixi" (Politischer Frühling) des späteren Premierministers der Nea Dimokratia, Antonis Samaras.

Stigas dankte Kasidiaris ausdrücklich dafür, dass er die Partei ins Parlament gebracht habe. Die "Spartaner" haben nicht einmal Parteibüros. Für ihre Stellungnahmen nach der Wahl nutzten sie die Kanzlei eines Anwalts und Parteigenossen von Kasidiaris.

Kasidiaris sitzt als führendes Mitglied der als kriminelle Vereinigung verurteilten Neonazipartei Goldene Morgenröte im Gefängnis von Domokos. Seinen Berufungsprozess nutzte er, um auch dort medienwirksam für die Spartaner zu werben.

Trotz Haft und Verbot von Handy und Internetzugang gelang es Kasidiaris, während seiner dreijährigen Haft zahlreiche Videos und Stellungnahmen in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen. Er jubelt über "unseren Sieg" und erklärt, wie der Coup funktioniert hat.

Bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens gilt er als nicht rechtskräftig verurteilt und könnte somit eigentlich für das Parlament kandidieren. Ein eigens erlassenes Gesetz verbietet ihm lediglich, als Parteichef zu kandidieren.

Kasidiaris hat seine eigene Partei "Griechen für das Heimatland" gegründet, mit der er Umfragen zufolge gute Chancen gehabt hätte, ins Parlament einzuziehen.

Dass er die "Griechen für das Heimatland" kontrollierte, daran bestand kein Zweifel. Ergo verabschiedete die Regierung Mitsotakis kurz vor den Wahlen im Mai ein maßgeschneidertes Gesetz. Die Lex Kasidiaris sollte verhindern, dass eine Partei zu den Wahlen antreten kann, die nicht von den designierten Vorsitzenden, sondern von Schattenvorsitzenden kontrolliert wird, die nicht als Vorsitzende kandidieren dürfen.

In Griechenland entscheidet das oberste Strafgericht, der Areopag, über die Zulassung von Parteien. Als ein Richter der für die Zulassung von Parteien zuständigen Abteilung des Gerichts öffentlich Zweifel an der Verfassungskonformität des Gesetzes äußerte, besserte die Regierung nach. Demnach wird fortan das Plenum der Areopag-Richter mit eingebunden.

Regierung vorgeführt

Der Fall der Spartaner zeigt, wie leicht es Kasidiaris war, alle Gesetze zu umgehen und die Regierung vorzuführen. Angesichts der heutigen parlamentarischen Allmacht der Regierung steht er auch pars pro toto dafür, was alles schieflaufen kann, wenn eine Regierung die warnenden Stimmen der Opposition nicht hören will.

Im laufenden Wahlkampf traten die Spartaner mit großen Plakaten von Kasidiaris auf. Der Inhaftierte selbst veröffentlichte nach seinem Einzug ins Parlament über seine Social-Media-Accounts ein Foto, das ihn im Gefängnis mit einem T-Shirt der Spartaner zeigt (https://www.ieidiseis.gr/ellada/204106/spartiates-kasidiaris-pos-stithike-to-diktyo-tis-mayris-propagandas-sta-social-media).

Es rächt sich nun, dass die Nea Dimokratia sich geweigert hat, auf die Vorschläge der Oppositionsparteien einzugehen und nationalsozialistische Parteien generell zu verbieten, anstatt die Kandidatur von Kasidiaris mit einer Flickschusterei von Gesetzen zu verhindern.

Dies wird nun von einigen Politikern und Kommentatoren diskutiert. Die Zulassung zur Wahl soll nachträglich widerrufen, die Partei verboten und die bei der Wahl gewonnenen Mandate auf die anderen Parteien verteilt werden.

Jeder, der ein "legitimes Interesse" habe, könne einen solchen Antrag stellen, erklärte der stellvertretende ND-Vorsitzende und neue Arbeitsminister Adonis Georgiadis.

Auch Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou äußerte Bedenken. Viele Parteien zeigen sich schockiert über die Präsenz von zwölf Nazis im Parlament, haben aber selbst im Wahlkampf größtenteils nationalistische Narrative bedient. Doch was würde ein nachträgliches Verbot der Partei bringen?

Nach Ansicht des Juraprofessors Spyros Vlachopoulos müssten nach einem solchen Verbot die Wahlen wiederholt werden.

Dann, so Vlachopoulos, könnte anstelle der "Spartaner" nach dem gleichen Muster eine "Athener" Partei ins Parlament einziehen. Man könne, so Vlachopoulos, "den Fehler nicht mit einem möglicherweise noch größeren Fehler korrigieren".

Die Demokratie in Griechenland hat nicht nur im Parlament ihre Probleme. Auch in der Justiz, einem der Grundpfeiler demokratischer Staatssysteme, hapert es.

Wenn jetzt darüber diskutiert wird, die Wahlzulassung der Spartaner nachträglich zu annullieren, muss man sich fragen, warum im Wahlkampf und bei der Wahlzulassung niemand darauf geachtet hat, dass die meisten Kandidaten vorher Mitglieder von Kasidiaris Partei waren.

Die Spartaner nutzten für ihren Wahlkampf die Website von Kasidiaris Partei sowie deren Accounts in den sozialen Medien.

Hätte die Justiz schneller gearbeitet, wären die Verfahren gegen Kasidiaris, der seit 2013 unter Anklage steht, bereits abgeschlossen. Der Prozess gegen die Goldene Morgenröte begann zwei Jahre nach der Anklageerhebung im Jahr 2015. Erst im Oktober 2020 wurde das Urteil in erster Instanz gesprochen. Die offizielle Begründung für die lange Verzögerung lautet: "Es gab keine geeigneten Gerichtssäle".

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