Datenkrake Polizei? Palantir als die Spitze des Eisberges
Seite 2: Eine "Analyse-Plattform für alle staatsschutzrelevanten Themen"
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Solche Plattformen erschließen den Ermittlern die Massendaten, die durch die Digitalisierung anfallen, aber sich "händisch" nicht durchdringen lassen. Laut Innenminister Peter Beuth wird die hessische Polizei Palantir "für alle staatsschutzrelevanten Themen" einsetzen. Das Frankfurter Polizeipräsidium nutzt die Plattform seit Anfang des Jahres, um islamistische sogenannte Gefährder zu überwachen.
Nachdem der Spiegel im April darüber berichtet hatte, veröffentlichte das Innenministerium im Mai eine Erfolgsmeldung. Mithilfe der Software sei es gelungen, im Februar einen Anhänger des Islamischen Staates zu verhaften. Der 17-Jährige aus dem Irak soll einen Anschlag geplant haben.
Brisant daran ist, dass es für den Einsatz des Computerprogramms streng genommen bisher keine Rechtsgrundlage gibt. Laut dem Datenschutzbeauftragten des Landes enthält der Entwurf für das neue Polizeigesetz in Hessen zwar eine entsprechende Passage - aber dieses Gesetz ist noch nicht verabschiedet. Der Paragraph 25 des Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes regelt "die automatisierte Verknüpfung von Daten aus verschiedenen Quellen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten".
Die hessische Polizei hat sich Gotham besorgt, obwohl die Innenminister auf ihrer Herbsttagung im Jahr 2016 eigentlich verabredet hatten, eine eigene Software mit ähnlichen Fähigkeiten zu entwickeln. Diesen Alleingang kritisiert nun beispielsweise die Abgeordnete Nancy Faeser (SPD).
Derzeit testet das LKA Niedersachsen die Software KNIME, "um damit Möglichkeiten zur Verbesserung polizeilicher Analysen von Massendaten im Rahmen von Ermittlungsverfahren zu erproben". Diese Software werde "zur Unterstützung bei der Auswertung von sichergestellten digitalen Daten eingesetzt, beispielsweise um sichergestellte E-Mail Datenbestände (teil-)automatisiert zu strukturieren oder im Rahmen von einzelfallbezogenen Ermittlungen diesbezüglich gezielt Informationen aus dem Internet zu erheben". Die im Internet erhobenen Daten würden aber nicht mit Datenbanken der Polizei zusammengeführt. Ob die niedersächsische Polizei diese Software anderen Landeskriminalämtern zur Verfügung stellt, ist bislang nicht bekannt.
Big Data für Big Brother?
Bürgerrechtler warnen gerne vor dem sogenannten function crep. Schleichend werden bestimmte Maßnahmen auf andere Straftatbestände ausgeweitet. Neue technische Möglichkeiten, die tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifen, werden typischerweise zunächst für die Terrorabwehr eingesetzt, später dann auch, um die organisierte Kriminalität zu bekämpfen, schließlich gegen Alltagskriminalität.
Palantir ist für diese Entwicklung ein Musterbeispiel. Zuerst setzten sie die amerikanischen Militärs und Nachrichtendiensten im Irak und in Afghanistan für die Aufstandsbekämpfung ein. Heute nutzen sie Polizeibehörden in großen kalifornischen Städten, um beispielsweise Risikoprofile von mutmaßlichen Gang-Mitgliedern zu erstellen. Die Überwachungstechnik wanderte von Nachrichtendiensten zur Polizei.
Es geht bei der Anschaffung von Palantir daher nicht nur um eine Provinzposse oder den anstehenden hessischen Landtagswahlkampf. Die deutschen Polizeibehörden und Inlandsnachrichtendienste erhalten gegenwärtig einerseits neue gesetzliche Eingriffsbefugnisse andererseits digitaltechnische Überwachungskapazitäten, die noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar oder politisch durchsetzbar gewesen wären.
Das bekannteste Beispiel ist wohl das bayrische Polizeiaufgabengesetz, samt des umstrittenen Rechtsbegriffs der drohenden Gefahr. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist im Gegensatz zu einer "konkreten Gefahr" eine "drohende Gefahr" gegeben, wenn "tatsächliche Anhaltspunkte … im individuellen Verhalten einer Person" darauf hinweisen, dass eine konkrete Gefahr entstehen könnte. Anhaltspunkte, die der Polizei plausibel erscheinen, können bereits polizeiliche Maßnahmen wie beispielsweise das Überwachen der Telekommunikation rechtfertigen. Die Polizeiarbeit soll bereits einsetzen, bevor konkrete Pläne gefasst werden. Sie dient der Prävention. Der "Gefährder" rückt in ihr Zentrum.
Natürlich, Gefahrenabwehr gehörte immer schon zu den Aufgaben der Polizei. Auch der Streifenpolizist von einst überwachte anlasslos und sollte Verbrecher abschrecken. Neu ist allerdings, auf welche Art und in welchem Umfang die Polizei ihre Verdachtsmomente und Ermittlungsansätze gewinnt - und hier kommt die Digitalisierung ins Spiel! Informationstechnik wie Palantir verspricht genau das, was aus dem Rechtsbegriff der drohenden Gefahr folgt: aus der großen Masse von verdächtigen Personen und Orten die richtig Gefährlichen herauszufiltern.
Es geht bei den Polizeigesetzen auch um Predictive Policing in einem umfassenderen Sinne, zum Beispiel um die automatische Erkennung von Nummernschildern die Identifizierung von Personen und die sogenannte intelligente Videoüberwachung, die verdächtige Verhaltensweisen detektiert. Die Digitalisierung verändert die Polizeiarbeit. Sie besteht zunehmend darin, Daten auszuwerten. Kommunikationsdaten und allgemein Informationen aus mehr oder weniger offen zugänglichen Internetquellen (Social Media Intelligence beziehungsweise Open Source Intelligence) spielen dabei eine Schlüsselrolle.
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