Datenschutz: Weit verbreitete Unkenntnis oder sogar Ignoranz
Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz, über den Trend zum Ausbau der Überwachung und warum er dennoch optimistisch bleibt
Der 1954 in Berlin geborene Peter Schaar ist vom Bundestag gewählter Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Wenn auch formal dem Innenministerium zugeordnet, ist er in der Wahrnehmung seines Amtes unabhängig und nicht dessen Weisungen unterworfen. Am 9. Oktober 2007 stellte er in der Diskussion mit Wolfgang Schäuble sein neues Buch „Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft“ vor.
Sie sind seit 2003 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Wie sehen Sie Ihre Aufgaben?
Peter Schaar: Angesichts der zunehmenden technologischen Möglichkeiten werden der Schutz persönlicher Daten und die Sicherung der Privatsphäre immer wichtiger, aber auch immer schwieriger. Der Umfang der Aufgaben nimmt ständig zu, was sich auch in der rasant steigenden Zahl der Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern über Datenschutzverstöße ausdrückt, die bei mir eintreffen.
Der Datenschutz gewährleistet das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellt hat. Dieses Grundrecht gewinnt in einer Informationsgesellschaft zunehmend an Bedeutung, aber es ist gleichzeitig immer stärker gefährdet. Die Institution der Datenschutzbeauftragten kann dieses Grundrecht nicht alleine gewährleisten, sondern es ist letztlich Sache der Gesellschaft, der Bürgerinnen und Bürger, das Grundrecht wahrzunehmen, auszubauen und zu verteidigen.
Brauchen wir nicht eine möglichst umfassende Überwachung, um möglichst viele Gefahren abwehren zu können?
Peter Schaar: Wer die Frage so stellt, beantwortet sie im Grunde auch schon: Natürlich nicht. Niemandem ist damit gedient, wenn praktisch alle Aktivitäten rund um die Uhr überwacht werden. So ist London wohl die am lückenlosesten videoüberwachte europäische Großstadt. Sämtliche Straßen der Londoner City werden durch Videokameras beobachtet. Es sollte allerdings zu denken geben, dass das Risiko, in dieser rundum überwachten Stadt überfallen oder ausgeraubt zu werden, nach wie vor deutlich größer ist als irgendwo sonst in Europa. Mehr Überwachung schafft also nicht automatisch mehr Sicherheit.
Wenn Sie schreiben "Nur der informierte Bürger kann seine Rechte auch eigenverantwortlich übernehmen", setzt dies einen aufklärerischen Willen des Bürgers voraus. Sind nicht die meisten Deutschen mit der Sicherheitspolitik zufrieden und verzichten gerne auf Aufklärung?
Peter Schaar: Die Sichtweise differiert je nach eigener Betroffenheit. Je wahrscheinlicher es einem erscheint, selbst Opfer von Datenmissbrauch zu werden, desto kritischer steht man der jeweiligen Datenverarbeitung gegenüber. Und umgekehrt macht es einem wenig aus, überwacht zu werden, wenn man meint, man habe ja nichts zu verbergen. Es ist gerade einer der wichtigsten Herausforderungen für den Datenschutz, den Menschen klar zu machen, dass die zunehmende Registrierung, Kontrolle und Überwachung zu negativen realen Konsequenzen führen kann. Dies gilt für das privatwirtschaftliche Scoring bei wirtschaftlichen Transaktionen - etwa bei Kreditanträgen - genauso wie bei möglicherweise falschen Eintragungen in Fahndungs- oder Antiterrorlisten. In beiden Fällen muss man beweisen, dass man unschuldig ist.
Wenn - wie zu befürchten - zukünftig alle Telekommunikations- und Internetverkehrsdaten auf Vorrat gespeichert werden, steigt zugleich nicht nur das Missbrauchspotenzial der Daten, sondern auch der Rechtfertigungsdruck auf die Betroffenen, die nachweisen müssen, dass auffälliges, von der Regel abweichendes Verhalten tatsächlich "ungefährlich" ist. Damit wird letztlich der Grundsatz umgekehrt, dass der Staat nur dann in unser Leben eingreift und gegen uns ermittelt, wenn ein Anfangsverdacht vorliegt oder Hinweise dafür bestehen, dass von einer Person eine konkrete Gefahr ausgeht.
Wenn beim Bürger noch Informationsbedarf besteht, wie sieht es mit den Entscheidungsträgern im Bereich von Überwachung und Datenschutz aus?
Peter Schaar: Informationsbedarf besteht tatsächlich auf allen Seiten: bei den Betroffenen, den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft und bei denjenigen, die Technik entwickeln oder einsetzen. Leider ist festzustellen, dass es hier vielfach noch eine weit verbreitete Unkenntnis oder sogar Ignoranz gibt. Ich habe mein Buch gerade deshalb geschrieben, weil ich ein wenig dazu beitragen wollte, das Informations- und Bewusstseinsdefizit zu beheben.
Wer ist verantwortlich für die zunehmende Überwachung in vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens? Oder haben wir es hier mit einem notwendig ablaufenden Prozess zu tun, der durch den "elften September" nur beschleunigt wurde?
Peter Schaar: Natürlich sind für die konkreten Überwachungsmaßnahmen jeweils diejenigen verantwortlich, die darüber entscheiden. Bei vielen Entscheidungen spielen allerdings verschiedene Motive eine Rolle. Naiver Technikglaube verbündet sich bisweilen mit wirtschaftlichen und politischen Interessen. Wenn Überwachung technisch machbar ist, wird sehr schnell der Ruf laut, sie angesichts weit verbreiteter Unsicherheitsgefühle auch einzusetzten.
Nach dem 11. September 2001 hat es hier einen Dammbruch gegeben und die Entwicklung zur Überwachungsgesellschaft hat sich dramatisch beschleunigt. Dabei konnten sich die Politiker bei der Einführung von einschneidenden Überwachungs- und Kontrollmechanismen durchaus auf die Zustimmung einer breiten Mehrheit der Bevölkerung stützen. Heute muss allerdings gefragt werden, ob die seither eingeführten neuen Befugnisse und Überwachungsmaßnahmen ihre Ziele wirklich erreicht haben. Zudem ist zu fragen, ob die Maßnahmen in ihrer Summe nicht zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung von Freiheitsrechten geführt haben. Leider ist bislang kaum eine Befugnis zurückgenommen worden und auch der Abbau von Videokameras ist wohl eine extreme Ausnahme.
Im letzten Teil Ihres neuen Buches bieten Sie dem Leser Ansätze ethischer Standards für die Informationsgesellschaft an. Trotz des Titels - "Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft" - und dem Bodenverlust für den Datenschutz, den Sie darin ausführlich dokumentieren, scheinen Sie die Hoffnung auf Alternativen nicht aufgegeben zu haben. Worin begründet sich diese Hoffnung?
Peter Schaar: Ich bin halt ein unverbesserlicher Optimist. Ich setze auf die Fähigkeit der einzelnen Menschen und der Gesellschaft als ganzes, sich zu korrigieren. Die Vergangenheit lehrt allerdings, dass Korrekturen häufig verspätet oder unter großen Opfern möglich sind. Es gibt auch durchaus Gründe, die zur Hoffnung berechtigen: So sind diejenigen, die sich für den Schutz der Privatsphäre einsetzen, gar nicht so wenige, wie sie das selbst bisweilen glauben. Außerdem gibt es bereits heute ziemlich ungewöhnliche Bündnisse auf politischer und auch auf gesellschaftlicher Ebene. Manche Unternehmen und Wirtschaftsvertreter gehören ebenso zu den Befürwortern eines verbesserten Datenschutzes wie die Gewerkschaften und Verbraucherschützer. Anwälte, Ärzte und Journalisten sehen sich in ihrer Arbeit bedroht, wenn alle möglichen Daten über sie und ihre Klienten gespeichert werden. Und manchem Internetuser wird langsam bewusst, dass die zunehmende Registrierung und Überwachung erhebliche negative Konsequenzen nach sich ziehen könnte.
Zum Buch:
Dominierte in Peter Schaars vorigen Buch mit dem Titel „Datenschutz im Internet“ das Problem der datenschutzrechtlichen Vorgaben für das Internet, so zeigt er in „Das Ende der Privatsphäre“, inwiefern der Datenschutz im Alltagsleben zum Problem geworden ist: Gesundheitskarte, Online-Durchsuchungen, Biometrie, eGovernment und Scoring sind nur einige Beispiele aus der Fülle von Informationen, die der Leser erhält. Wenn auch für den in der Thematik versierten Leser einiges bekannt ist, zeigt der Zusammenhang, wie umfassend die Sammlung von Daten im Alltag bereits geworden ist und welche Möglichkeiten und Gefahren in der Zukunft bestehen.
Die Beschleunigung der Entwicklung von Informationstechnologien muss jedoch keinen Automatismus in dem Sinne darstellen, dass das technisch Machbare zugleich die Grenze der Ausweitung der Überwachung markieren würde. Vorschläge zur Beschränkung der Ausweitung der Überwachung finden sich im fünften und letzten Teil des Buches. Der Autor fordert dort eine Ergänzung der rechtlichen Regelungen durch eine „Datenschutztechnologie“, eine Anpassung des Datenschutzrechtes an aktuelle Anforderungen und die Ausweitung des Datenschutzes auf die globale Ebene. Letzteres erscheint vor dem Hintergrund des „Outsourcings“ der Datenverarbeitung in andere Länder und der zunehmenden Vernetzung von Datenbanken notwendig. Das Buch wendet sich somit nicht generell gegen jegliche Formen von Überwachung, sondern fordert Maß und Kontrolle bei der Erfassung und Verwendung von Daten, um die Privatsphäre des Individuums zu schützen.
Peter Schaar: Das Ende der Privatspäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft. Verlag: C. Bertelsmann. 256 Seiten; €14, 95.