Datenschutz auf Abwegen

Von den Methoden und Maßnahmen des Berliner Beauftragten für Datenschutz und "Informationsfreiheit"

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Nach einer Vorarbeit von rund sechs Wochen hatte er am 26. März 2002 wieder zugeschlagen. Die Rede ist von dem Berliner Beauftragten für Datenschutz und "Informationsfreiheit", Prof. Dr. Dr. Hansjürgen Garstka, und von seinem Referenten im Bereich Recht, Dr. oec. Rainer Metschke, in ihrem unermüdlichen Kampf gegen die Veröffentlichung einer Liste mit fast 100.000 ehemals hauptamtlichen Stasimitarbeitern (Eine alexandrinische Bibliothek des Überwachungsterrors und der Zeitgeschichte).

Vor zwei Jahren schon hatte er gegen die Veröffentlichung auf der Domain Nierenspende.de (heute: nierenspen.de) gekämpft, war aber damit kläglich gescheitert, und zwar schon an der ersten Hürde: Die Staatsanwaltschaft hatte nämlich das Bundesdatenschutzgesetz für gar nicht auf den Fall anwendbar erklärt.

Nach einer Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes im Jahr 2001 ist jetzt erneut ausgeholt worden, und zwar gegen die Domaininhaber der Websites www.stasiopfer.de und www.ddr-suche.de, die neben vielen anderen Links je auch einen Link auf eine im Ausland gehostete Datenbank mit der Gehalts- bzw. Überbrückungsgeld-Liste von 97.058 Hauptamtlichen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR gelegt hatten. Sie hatten Abmahnungsschreiben bekommen, in denen ihnen Strafverfahren und bis zu 250.000 Euro Bußgeld angedroht worden waren. Ein etwas zahmer gehaltenes Schreiben war an den Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (LStU) gerichtet worden, der Links auf die beiden Websites gelegt hatte, die ihrerseits Links gelegt hatten auf...

Doch während der LStU Martin Gutzeit noch am selben Tage dem Ersuchen stattgab, die Links deaktivierte und dem Datenschutzbeauftragen für diesen Hinweis dankte, kam von den Inhabern der beiden Domains Widerspruch. Jetzt, rund vier Monate nach Beginn der beiden Aktionen, ist für den Berliner Datenschützer alles vorbei. Am vergangenen Wochenende hat er die Vorgänge einfach an die Innenministerien des Freistaates Bayern und des Landes Sachsen-Anhalt, wo die Domaininhaber wohnen, abgegeben. Nach rund vier Monaten akribischer Prüfungen ist der Berliner Datenschutzbeauftragte nämlich dahinter gekommen, dass seine Berliner Datenschutz-Aufsichtsbehörde - richtig - für das Land Berlin zuständig ist, nicht aber für den Freistaat Bayern und auch nicht für das Land Sachsen-Anhalt.

Was die Schließung der Akten betrifft, hat er damit recht, soweit es um die Fälle "www.stasiopfer.de" und "www.ddr-suche.de" geht; geblieben ist aber der Fall Garstka. Warum sollte man nicht einmal die "Informationsfreiheit" auf ihren Beauftragten selbst, den Berliner Datenschützer, anwenden. Gesagt, getan. Das Ergebnis hatte es in sich, auch wenn die vorgelegten Akten in wesentlichen Teilen Lücken hatten.

Um vom Allgemeinen zum Besonderen vorzugehen, ist da zunächst die Unbeirrbarkeit und Widerspruchslosigkeit zu nennen, mit der das Ziel, die Veröffentlichung der Stasiliste zu bekämpfen, in dieser Behörde verfolgt wird. Nie findet sich in den Vermerken von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Akten auch nur der geringste Zweifel an der Rechtmäßigkeit des vorgefassten Ziels, als wäre dies eine Art corporate identity der Behörde.

Diskussionen und Beiträge sind nur zu der Frage erlaubt, welche Strategien und Taktiken zur Erreichung des Zieles geeignet sind. Das setzt sich fort in einer Ignoranz gegenüber den Rechtsauffassungen Außenstehender, ob sie nun von der zuständigen Staatsanwaltschaft in Berlin, vom Bundesverfassungsgericht oder vom Bundesbeauftragten für Datenschutz kommen. Der Letztgenannte hatte in seinem 18. Tätigkeitsbericht vom 13.03.2001 der Veröffentlichung der Stasi-Listen Anfang 2000 (www.nierenspende.de) unter Punkt 5.8.4 ein besonderes Kapitel gewidmet, das er unter Berufung auf eine Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Satz beendet:

"Dabei stellt das Gericht - aus meiner Sicht zurecht - in erster Linie auf das Interesse an der Veröffentlichung der Stasi-Liste und somit auf die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit ab."

Nicht nur, dass Auffassungen wie dieser in der Berliner Datenschutzbehörde mit Ignoranz begegnet wird, es findet in der aktenmäßig dokumentierten Entscheidungsfindung dieser Behörde gar keine Güterabwägung zwischen Meinungs- und Pressefreiheit auf der einen und Persönlichkeitsschutz auf der anderen Seite statt. An höchstrichterlichen Entscheidungen, Hinweisen in Kommentaren etc. wird nur das wahrgenommen, was sich als Munition für die Erreichung des eigenen Ziels eignet, alles andere wird ausgeblendet.

Doch der Zynismus, nach dem mit den verfügbaren rechtlichen Möglichkeiten umgegangen wird, geht noch ein ganzes Stück weiter. Da wurde bei der ersten Akteneinsicht ein bis zur Unkenntlichkeit geschwärzter Vorschlag des Mitarbeiters Ku. zum weiteren Vorgehen gegenüber der Domain www.stasiopfer.de vorgelegt. Und weil die Schwärzungen nun absolut nicht mit dem Schutz personenbezogener Daten zu rechtfertigen waren, kam man nicht umhin, nach einer Beanstandung das Dokument ungeschwärzt vorzulegen. Da wurde nach einer Erörterung von Schritten gegen den US-Amerikaner John Young, Inhaber der zur Legende gewordenen Domain Cryptome, einem Asyl für verfolgte Dokumente, der folgende Vorschlag für ein Vorgehen gegen den Inhaber der Domain www.stasiopfer.de, Mario Falcke, unterbreitet:

"Die Gauck-Behörde, welche die Stasiunterlagen besitzt und hierzu Informationen verbreiten darf, könnte einen Disputeintrag beim DENIC beantragen, da die Behörde Aufgrund ihrer Stellung den Domainnamen 'Stasiopfer' für sich beansprucht. (Siehe die Stadt Frankfurt gegen den Herrn Frankfurt, wer hat hier die stärkeren Rechte) Zumal das Wort 'Stasiopfer' zwischenzeitlich ein rechtlicher Begriff geworden ist. Dies würde zwar eine langwidrige gerichtliche Entscheidung erzwingen, jedoch den Domaininhaber in Trapp und Erklärungsnot halten." (Rechtschreibung nach dem Original)

In Erklärungsnot war nun Dr. Rainer Metschke, Referent im Bereich Recht des Berliner Datenschutzbeauftragten, bei Vorlage des ungeschwärzten Maßnahmeplanes geraten und bemühte sich, die Bedeutung abzuschwächen: nur der unverbindliche Vorschlag eines technischen Mitarbeiters.

Dass solche Vorschläge aber nicht so ganz theoretisch sind, zeigt die Akteneinsicht zum Vorgang www.nierenspende.de, auf der zwei Jahre zuvor die Stasi-Liste zum ersten Mal ins Internet gesetzt worden ist. Ein Schriftstück der Pressesprecherin und Stellvertreterin des Datenschutzbeauftragten Claudia Schmidt vom 08.02.2000 ist mit "'nierenspende.de' - Anfrage des Spiegel" überschrieben. Am selben Tag um 16:00 Uhr wird von ihr eine "Rücksprache" mit Garstka, Schmid, Metschke und Mörs angesetzt: "Thema: rechtliche Bewertung, bisherige Vorgehensweise, weiteres Vorgehen". Über den Inhalt des weiteren Vorgehens finden sich keine Vermerke in der Akte - soweit Einsicht gewährt worden ist.

Am 10.02.2000 - Redaktionsschluss beim Spiegel - setzt plötzlich eine Hektik ein. Claudia Schmid will erfahren haben, der Staatsanwalt wolle noch am selben Tag das ganze Verfahren einstellen - aus Rechtsgründen. Da wird sofort ein Telefax an die Staatsanwaltschaft geschickt, das dies erst einmal verhindern soll. Am Montag, dem 14.02.2000, erscheint mit einem Artikel von Steffen Winter unter dem Titel "Jagdfieber im Osten" ein Beitrag zur Veröffentlichung der Stasi-Liste auf der Domain www.nierenspende.de. Doch das gejagte Wild sind nicht die Stasi-Leute auf der Liste, das ist der Internet-Journalist Manfred Willi Lerch, in dem Artikel mit vollem Namen genannt. Weiter heißt es in dem Artikel:

"Berliner Datenschützer mussten zunächst per Gutachten klären, ob gegen die Betreiber juristisch vorgegangen werden kann: ... Inzwischen sieht die Berliner Behörde dies als erwiesen an. Damit greift nun das Bundesdatenschutzgesetz, das Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr ... vorsieht. Jetzt ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Lerch ..."

Noch am Erscheinungstag wird der Tenor des Artikels auf der Website des Berliner Datenschutzbeauftragten gepostet. Lerch, der, wie er berichtet, sich nach einem Anschlag von Stasi-Leuten auf sein Leben am 16.01.2000 nach England in Sicherheit gebracht hat, verliert nach dem Bericht über angebliche strafrechtliche Ermittlungen postwendend eine Stelle in England und lebt seither vom Arbeitsamt. Eine telefonische Rückfrage von England aus an die Justizpressestelle wird, wie er weiter berichtet, nicht beantwortet, da man an Journalisten, gegen die in der Sache ermittelt wird, keine Auskünfte erteile.

Aber zurück zur Akteneinsicht: Das erwähnte Gutachten war bis zum 14.02.2000 in der vorgelegten Akte nicht zu finden. Nur ein auf den 18.02.2000 datiertes Gutachten, also 10 Tage nach der Anfrage des Spiegels und vier Tage nach Erscheinen des Spiegelartikels und der Erwähnung des Gutachtens auf der Website des Datenschutzbeauftragten, war in der Akte, geschrieben von einer Referendarin, die gerade frisch zur Ausbildung in die Dienststelle des Datenschutzbeauftragten gekommen war. Und nun zu den behaupteten Ermittlungen gegen Lerch. Letzte Woche erhielt ich auf eine Anfrage nach Ermittlungen gegen Lerch eine Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin, "dass kein gegen Herrn Manfred Lerch wegen des Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz geführtes Ermittlungsverfahren festgestellt werden konnte".

Fazit: eine perfekt ins Werk gesetzte Vorverurteilung, die ihr Ziel, Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz, wie mir berichtet wurde, voll erreicht hat. Wer hierbei welche Verantwortung trägt, der Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka, seine frühere Stellvertreterin und Pressesprecherin Claudia Schmid, sein Referent Rainer Metschke oder der Spiegel-Redakteur Steffen Winter, das mögen andere Instanzen prüfen, deren Arbeit ich nicht mit Pressespekulationen belasten möchte.

Wer schützt uns vor dem Datenschützer?. Eine ausführlichere Version des Artikels von Frieder Weiße (siehe auch hier). Hier finden sich auch alle Dokumente, die über das Informationsfreiheitsgesetz zum Fall "Berliner Datenschutzbeauftragte vs. Nierenspende.de" erlangt wurden.