Datenschutzverstoß oder Forenschließung?

Ein Urteil zur Forenhaftung lässt dem Forenbetreiber die Wahl zwischen der Weitergabe privater Nutzerinformationen an Privatpersonen oder der Schließung des Forums

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Die Frage der Forenhaftung ist nicht zuletzt seit dem sogenannten "Heise-Urteil" Grund für eine hohe Verunsicherung bei Forenbetreibern. Muss ein Forum nun moderiert sein und welche Zeit bleibt zwischen Kenntnis eines rechtswidrigen Beitrages und seiner Entfernung, ohne dass man wegen Verzögerung belangt werden kann? Dies sind nur einige der Fragen, die längst dafür gesorgt haben, dass viele private Foren aus Sorge vor Abmahnungen und teuren Prozessen geschlossen wurden. Ein neues Urteil zur Thematik geht noch einen Schritt weiter: Bei ehrverletzenden Äußerungen soll der Forenbetreiber private Daten seiner Nutzer an denjenigen weitergeben, der sich verletzt fühlt. Hierbei liegt die Betonung auf "denjenigen, der sich verletzt fühlt", denn diese Datenweitergabe ist nicht nur eine große Gefahr für den Urheber des vermeintlich ehrverletzenden Kommentares sondern sie verstößt vielmehr auch gegen gesetzliche Bestimmungen.

Kontroverse Themen und ihre Folgen

Wird ein Forum zu einem kontroversen Thema eingerichtet, so bleiben ähnlich kontroverse Debatten nicht aus. Die Grenzen zwischen zulässiger Meinungsäußerung und Schmähkritik sind dann schwer zu ziehen und werden meist erst von Gerichten gesetzt, die die einzelnen Beiträge bewerten müssen. Wenn es sich um Themen wie sexueller Missbrauch von Kindern, Pädophilie etc. handelt, so sind oft genug Missverständnisse an der Tagesordnung, die durch eine möglichst offene Diskussion ausgeräumt werden können, so es denn beide Parteien wollen. Ist dieser Wille nicht vorhanden, der Glaube an das eigene "gutgemeinte Tun" jedoch umso größer, so kann es passieren, dass die eine Partei zu weit geht und auch vor Beleidigung oder gar Verleumdung nicht zurückschreckt ("Zeigt her Eure Namen"). Ein solches Vorgehen führt dann kaum zur Deeskalation und somit sind weitere Probleme vorprogrammiert.

Ein derartiges Problem, nämlich ein wütender Kommentar im Trollforum war der Anlass für einen Prozess, der mit dem vorgenannten Urteil endete. Marita Wagner, die Betreiberin des Trollforums, schildert die Problematik wie folgt:

Das Urteil bedeutet in seiner Konsequenz, dass ich mich rechtswidrig verhalten, die Daten der User erfassen und an die, die sich in verletzt fühlen, weitergeben soll. Dies ist gerade in einem Forum, in dem auch Betroffene von sexuellem Missbrauch posten, völlig unmöglich. Kein/e Betroffene/r würde sich noch in einem solchen Forum an der Diskussion beteiligen. Viel zu gross ist die Angst, dass der Missbraucher dadurch an die Daten käme. Es stellt sich zudem die Frage, wer denn ein "angeblich Verletzter" ist. Dafür ist mir keine Rechtsnorm bekannt.

Im Urteil findet sich ein Passus, in dem es um die Weitergabe privater Daten durch Provider geht. Das Gericht befasste sich hierbei mit der Frage, inwieweit der Kläger selbst die Identität des Verfassers des Kommentars ermitteln könnte.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dem Kläger mitgeteilt zu haben, dass die IP-Adresse (die individuelle Rechnernummer) bekannt sei. Denn über diese kann rein technisch zwar der Computer ermittelt werden, über den der Beitrag verfasst worden ist. Für einen Laien dürfte allerdings schon fraglich sein, wie man diese Da­ten erhalten kann. Zudem ist der Provider, der über den Namen des Inhabers der IP­Adresse Auskunft geben könnte, hierzu schon aus Datenschutzgründen nicht ohne weiteres verpflichtet und wird dies in der Regel auf eine private Anfrage hin ohne Vorlage eines entsprechenden Titels oder einer Anordnung nach §§ 100 g, 100 h StPO verweigern. Hinzu kommt, dass die IP-Adressen bei den Providern in der Re­gel nach Ablauf von 80 Tagen gelöscht werden und es teilweise in der Rechtspre­chung für unzulässig gehalten wird, dynamische IP-Adressen zu speichern, soweit sie nicht mehr für die Ermittlung der Abrechnungsdaten erforderlich sind (AG Darm­stadt, Urt. v. 30. Mai 2005, 300 C 394/04). Dies wird dazu führen, dass die Provider die IP-Adressen und die damit verbundenen Daten teilweise in kürzerer Frist löschen werden.

Zudem ist selbst dann, wenn Auskunft über den Namen des Inhabers der IP­Adresse erteilt wird, nicht gesichert, dass der Verfasser des Beitrags ermittelt werden kann. Denn in vielen Fällen haben mehrere Personen, nicht nur der Inhaber der IP­Adresse, Zugriff auf einen Computer und könnten diesen genutzt haben. Sollte der Computer, auf dem der Beitrag verfasst worden ist, in einem Internet-Cafe stehen, dürfte es kaum möglich sein, den Verfasser zu ermitteln.

Doch die Schlussfolgerung aus dieser Überlegung mutet gerade absurd an:

Dem Betreiber eines Meinungsforums ist es auch nicht unzumutbar, dafür zu sorgen, dass ihm die Identität und Adresse der Teilnehmer bekannt ist, um diese im Streitfall an die angeblich Verletzten weiterzugeben.

Hierbei wird also die Weitergabe privater Daten nicht etwa an Strafverfolger oder die Staatsanwaltschaft, sondern vielmehr an Privatpersonen explizit vorgesehen. Dass gerade in einem Forum über sexuellen Missbrauch die Weitergabe privater Daten der Nutzer nicht im Sinne der Nutzer sein kann, ist logisch. Doch neben dem "moralischen Problem" ergibt sich auch ein rechtliches.

Als Betreiberin eines Teledienstes darf ich keine Daten herausgeben. Siehe dazu § 5 TDDSG.

"§ 5
Bestandsdaten
Der Diensteanbieter darf personenbezogene Daten eines Nutzers ohne dessen Einwilligung nur erheben, verarbeiten und nutzen, soweit sie für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung oder Änderung eines Vertragsverhältnisses mit ihm über die Nutzung von Telediensten erforderlich sind (Bestandsdaten). Nach Maßgabe der hierfür geltenden Bestimmungen darf der Diensteanbieter Auskunft an Strafverfolgungsbehörden und Gerichte für Zwecke der Strafverfolgung erteilen."

Das Urteil des OLG ist insofern falsch und ich rate jedem Forenbetreiber, keinerlei Daten herauszugeben. Es sei denn, dass die Staatsanwaltschaft diese einfordert.

Marita Wagner

Zwangsouting vorprogrammiert?

Für einen Forenbetreiber wie Marita Wagner ergibt sich somit die Wahl zwischen Scylla und Charybdis. Entweder es werden zwangsweise durch eine Registrierung erhobene private Daten weitergegeben, was rechtswidrig wäre, oder man verstößt gegen das Haftungsurteil, was eine solche Weitergabe vorsieht, und ist zudem komplett haftbar für alle Beiträge.

Für die Teilnehmer eines Forums dagegen bestünde stets die Gefahr, dass ihre persönlichen Daten direkt an Privatpersonen weitergeleitet werden, angesichts der bereits oben erwähnten negativen Folgen für viele sicherlich ein Grund, ihre Forumaktivitäten ggf. einzuschränken oder gar einzustellen. Diese Problematik ist dem Gericht bekannt, wurde jedoch als vernachlässigbar angesehen.

Die von den mög­lichen Teilnehmern vor dem Hintergrund etwa empfundene Einschränkung der Aus­übung ihrer Meinungsfreiheit dadurch, dass sie der Möglichkeit beraubt werden, ihre Beiträge völlig anonym einzustellen, was einzelne Personen davon abhalten mag, einen Beitrag zu verfassen, ist hinzunehmen. Da die Meinungsfreiheit ihre Schranken insbesondere in dem Recht der persönlichen Ehre findet, muss gewährleistet bleiben, dass derjenige, der durch einen Beitrag in seinem allgemeinen Persönlich­keitsrecht und seiner Ehre verletzt wird, den Verfasser auf Unterlassung in Anspruch nehmen kann. Gewährleistet der Betreiber des Forums dies nicht, kann er sich nicht auf die grundrechtlich verbürgten Freiheiten berufen und selber auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.

Marita Wagner sieht dies anders:

Ich vertrete den Standpunkt, dass ich natürlich widerrechtliche Kommentare sperre, sofern der Autor nicht fassbar ist und die Widerrechtlichkeit als solche klar entscheidbar oder offensichtlich ist.

Hier war konkret die Situation aber die folgende: der eine Kommentator war bekannt und stand auch zu seiner Meinung, während der andere zumindest identifizierbar war. Für diesen Fall sollte, anlehnend an das Presserecht, der Kläger sich an den Autor halten - das heißt, er muss die Sache mit dem Autor aushandeln, bei einem Entscheid gegen ihn würde ich dann die Behauptung sperren. Das ist so auch Praxis z.B. bei Leserbriefen (daher steht dort auch immer: Autor der Redaktion bekannt.).

Bei dem anderen Autor nahmen wir dieselbe Situation an, weil wir dessen T-Online IP besaßen. Diese kann der Kläger nicht einfach so einfordern, sondern muss dafür über die Behörden gehen (im Sinne des Datenschutzes).

Nun hat das Gericht uns zwar bestätigt und entschieden, dass die Leserbrief-Praxis für den ersten Fall gelten würde, aber nicht für den zweiten, in dem nur die IP-Adresse vorhanden sei. Begründet wurde das haarsträubend damit, dass man die Person hinter der IP-Adresse nur "unter Einschaltung der Behörden" identifizieren könne und dies dem Kläger nicht zumutbar sei. Das ist aber falsch, wegen des Datenschutzes im MdStV und im TDDSG §5 wird dies einem Kläger grundsätzlich zugemutet - und das ist auch ganz richtig so. Ansonsten könnte ja jeder einfach Daten abfragen, nur weil er sich einen Rechtsverstoß einbildet, da könnte man den Datenschutz auch gleich über Bord werfen.

Die Kosten, die alleine die bisherigen Prozesse mit sich gebracht haben, sind nicht unerheblich und von der Forenbetreiberin alleine nicht zu bewältigen. Dazu kommen zukünftige Kosten für die anstehende Revision vor dem BGH. Das wird dann eine höchstrichterliche Entscheidung sein, die für alle Forenbetreiber von großer Bedeutung ist. Denn das bisherige Urteil bedeutet für den Forenbetreiber, sich nicht nur auf die eine oder andere Art strafbar zu machen, sondern vielmehr auch einen Vertrauensbruch gegenüber den Forennutzern. Gerade bei einem solchen Thema wäre dieser Vertrauensbruch nicht wieder gutzumachen. Ein Spendenkonto wurde bereits eingerichtet, um eben diese weitere Verfolgung der Thematik zu ermöglichen und kann bei Frau Wagner direkt erfragt werden.