Demnächst in Ihrem Kopf
Die Geschichte und Zukunft von Hollywood liegt in der Filmwerbung begraben und vielleicht noch etwas mehr
Der Meisterregisseur Max Ophüls sagte mal, Filmreklame sollte man "totschlagen". Sie "korrespondiert weder mit dem Geschmack des Publikums, noch mit den Intentionen der Autoren". Doch etwa zur gleichen Zeit arbeiteten große Autorenfilmer wie Jean-Luc Godard für die Werbeabteilung von Twentieth Century Fox, mit Sitz in einem der von Ophüls ins Visier genommenen Büros an den Champs-Élysées. Diese Ambivalenz macht die Filmwerbung auch heute noch zu einem der spannendsten Themen der Filmwissenschaft.
Seit einigen Jahren machen Musikacts Werbung für ihre Produkte in Form von Kurzfilmen und während sich auch andere Industrien bei ihren Commercials zusehends am Format des Trailers orientieren, zeichnet sich am gedruckten Anzeigenmarkt ein Trend zum Filmposterformat ab. Eine Pionierrolle hat hier "Sun Microsystems" inne, ein Unternehmen, das in den 1990er Jahren vor allem Filmplakate aus dem Katastrophen-Genre für die eigene Werbung adaptierte und sich darin selbstironisch als "Weißer Hai" oder "Meteorit" inszenierte.
Kaum jemand, der um die Jahrhundertwende die Werbebotschaften aus der New Economy wahrnahm, wird diesen im Hause "Sun Microsystems" nach wie vor gebräuchlichen Stil vergessen haben. Auch für die Konkurrenz hat sich die Idee der Anzeige als Filmplakat als prägend erwiesen. Neben "Sun Microsystems" gibt es heute zahlreiche andere Unternehmen, die diesen Kunstgriff verwenden, in Branchen so unterschiedlich wie der Mode-, Elektronik-, Kosmetik-, Sportartikel- und der Luftfahrtindustrie. Das vielleicht hanebüchenste Filmposter-Fake der letzten Jahre stammt aus dem Hause Singapore Airlines. Diese Anzeige ist wie das Plakat für ein Remake von King Kong gestaltet. Der Schauplatz ist zwar noch immer die Skyline von New York – im Hintergrund leuchtet die Turmspitze des Empire State Building im Nachthimmel – doch stehen die Machtverhältnisse des Originals von 1933 auf dem Kopf.
"Singapore Airline goes 911"-The Movie
Die weiße Frau, ersetzt durch das Singapore Girl, ist umgekehrt proportional größer als der Riesenaffe, der ursprünglich vor allem für die Rache jenes Verbrechens stand, das die westliche Zivilisation an ihm, respektive seiner Heimat beging – ein Rebell, der nun zu einem machtlosen Baby geschrumpft ist und wie eine phallisch anmutende Puppe in den Händen des Singapore Girl ruht. Die Komposition der hier angelegten Traumwelt manipuliert nicht zuletzt das symbolische Referenzsystem des "Ereignisses", King Kong und der 11. September stellen schließlich einen pop-mythologischen Konnex dar, der in dieser Werbung verdreht worden ist: Der Clash of Civilizations hat sich hier im Zuge einer visuell gestützten Kompensationsleistung in Wohlgefallen aufgelöst. Es ist, als wären alle Ängste, die seit dem 11. September kursieren, verflogen.
In diesem Singapore Airlines-Motiv verdichtet sich alles, was die Filmwerbung von heute besonders macht. Ihr Einfluss, ihr Formenreichtum und ihr spezieller Wissensdiskurs. Ihr Einfluss kann kaum überschätzt werden Das Budget, das für Filmwerbung dieser Tage aufgewendet wird, ist mit den Mitteln, die Godard in den 1950er Jahren zur Verfügung standen, kaum vergleichbar: Gestern ein Bruchteil des Budgets, heute annährend die Hälfte der Produktionskosten eines Films.
In Zeiten des Blockbusters geht dieser Anteil in die Millionenhöhe. Keine Kosten werden gescheut, wenn es darum geht, einen Blockbuster in das Bewusstsein der globalen Aufmerksamkeitsökonomie zu katapultieren. Globale Simultanstarts, Verbundmarketing, Starinterviews – die diversen Mittel der Filmpromotion lassen Akteure aus den unterschiedlichsten wirtschaftlichen Bereichen an einen Tisch kommen. Das Potential, das damit auf der Ebene der Aufmerksamkeitsökonomie gebündelt wird, entlädt sich nicht zuletzt in Werbeformaten anderer Branchen, dafür ist das Singapore Airlines-Motiv ein Beispiel unter vielen.
Das Zukunftsdepot von Hollywood
Der Einfluss der Filmwerbung wäre nicht so groß, wenn sie nicht ständig nach neuen Ausdrucksmitteln suchen würde, ja, wenn sie nicht auch ein kreatives Depot wäre. Wer den für die Filmwissenschaft ungewöhnlichen Schritt tut und sich mit den diversen Formaten beschäftigt, erhält die Aussicht auf eine sehr reichhaltige Landschaft parasitärer Medien: Kompilationen, Making-of-Filme, TV-Spots für Kino-Filme, Trailer, etc. Wer, wie die Herausgeber des Buches "Demnächst in Ihrem Kino" (Schüren, 2005), Filmgeschichte nicht als Werkgeschichte betrachtet, sondern als Geschichte der Zirkulation und des Konsums von Filmen, nimmt diese parasitären Medien ernst, also als Ausdruck der kollektiven Psyche (Kracauer) und erhält damit nicht zuletzt einen Einblick in die Seele Hollywoods.
Jedes Format hat seine Notwenigkeit in einem Unterhaltungsimperium, dessen Akteure in den 1990er Jahren durch Fusionen mit transnationalen Medienunternehmen sich ein gänzlich neues Machtspektrum erschlossen haben: Studios bilden nun das Herzstück von Medienkonglomeraten, ihr Anteil am Weltmarkt ist damit von 50 auf 75 bis 80 Prozent gestiegen. Im Zuge dessen konnte die für ihre Produkte notwendige Verwertungskette (Kino, Kabel, Video/DVD, TV, Merchandising, etc.) effizient ausgebaut werden. Eine Begleiterscheinung dieser Entwicklung ist die Verwischung der Grenzen zwischen Marketing und Journalismus, etwa wenn Sendungen mit Hintergrundinformationen über Filme und Filmproduktion nicht als Werbematerial, sondern, Lücken im Fernsehprogramm füllend, als Reportage ausgewiesen werden.
Die Making-of-Filme sind dafür das beste Beispiel. Aber auch dafür, dass der Filmwerbung ein spezieller Wissensdiskurs zu Grunde liegt. Wie Hediger in seinem Beitrag "Spaß an harter Arbeit" schreibt: "Das Making-of präsentiert den Film unter dem paradoxen Aspekt des öffentlichen Geheimnisses und benutzt einen spezifischen Gestus der Einweihung in dieses Geheimnis, die demokratische Initiation: Zu denen zu gehören, die das Geheimnis kennen, ist etwas Besonderes, aber dazugehören kann jeder." Making-of-Filme behandeln das Publikum als Insider, weil es heute offenbar keinen besseren Weg gibt, um den Zuschauer in den Bann zu ziehen – und ihm zu schmeicheln.
Cinephilie und Sammlermentalität
Das interpassive Moment des Sammelns von Filmwissen hat sich in den letzten Jahren zum dominanten Konsumentenmodus entwickelt. Filme von Autorenfilmern wie Quentin Tarantino oder den Coen Brothers zeugen mit ihrer exzessiven Referentialität ebenso davon, wie die Mainstreamproduktionen à la Bruckheimer. Filmhistorische Clipmontagen bei den Oscar-Verleihungen scheinen ganz in diesem Sinne einzig darauf angelegt zu sein, die Cinephilie zu fördern: "Wie der Sammler, so nimmt auch der Zuschauer einer solchen filmgeschichtlichen Kompilation teil an einer logischen Kette aus Besitz, Begierde und Selbstreferentialität", schreibt Lisa Kernan in ihrem Beitrag "Hollywood auf einem Stecknadelkopf". Und sie fügt hinzu: "solange uns die Kompilation erinnerte und erkannte Bilder anbietet, die wir nur auf der Strichliste unseres kulturellen Gedächtnisses abzuhaken brauchen."
In der Filmwerbung kommt bestens zum Ausdruck, wie aus dem Akt des Konsums ein Akt der Akkumulation geworden ist. Was die Filmwerbung so besonders interessant macht, ist freilich, dass dieser Modus des Konsums im Zeitalter der Digitalisierung im Allgemeinen und des Internets im Speziellen, maßgeblichen Aufschwung genommen hat. Die Filmwerbung nimmt von dieser Entwicklung nicht nur Kenntnis, im Zuge der Digitalisierung Hollywoods ist sie kraft ihrer ökonomischen Stellung in der Lage, diesen Trend entscheidend zu beeinflussen. Filmwerbung kann in diesem Sinne nicht nur als Ankündigung für einen Film gesehen werden, sondern vielmehr als eine Vorwegnahme der Entwicklungen in der Unterhaltungsindustrie als Ganzes.
Vinzenz Heidiger/Patrick Vonderau (Hg.): Demnächst in ihrem Kino. Grundlagen der Filmwerbung und Filmmarketing. Schüren Verlag 2005. 304 S., Pb., zahlr. Abb. E 24,90.