Demokratie leben! - nur: welche genau?

Bild: BMFSFJ

Ein Bundesprogramm kämpft "gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit"

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"Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit." Unter dieser Überschrift läuft von 2015 bis 2019 ein Großprojekt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Es unterstützt Initiativen, Vereine und Bürger, die sich "für ein vielfältiges, gewaltfreies und demokratisches Miteinander einsetzen", und tritt gegen Störfaktoren aller Art an: "Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus,... Muslimfeindlichkeit, Antiziganismus, Ultranationalismus, Homosexuellen- und Transfeindlichkeit, gewaltbereiter Salafismus bzw. Dschihadismus, linke Militanz und andere Bereiche."

Damit verfolgt es ein Anliegen, das nicht ganz neu ist und dem sich viele vorhandene Institutionen wie Schulen, Stiftungen, Vereine auch schon seit Längerem widmen. Einzelne Ansatzpunkte wie "Menschenfeindlichkeit" und "Ideologien der Ungleichwertigkeit" sind Schlüsselbegriffe der so genannten Mitte-Studien zum Rechtsradikalismus.

Die Fördersumme für 2017 beträgt stolze 104,5 Millionen Euro. Das Programm vereint Landes-"Demokratiezentren" mit kommunalen "Partnerschaften", 28 nicht-staatliche bundeszentrale Organisationen (u. a. Amadeu Antonio Stiftung, Anne Frank Zentrum, Türkische Gemeinde) sowie zahlreiche Modellprojekte zu "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Demokratiestärkung im ländlichen Raum" bzw. "Radikalisierungsprävention".

Wer, wenn nicht wir?

Angesichts des Titels des Programms und vor allem des Wissens-"Glossars" auf der Website dazu, das auf Rechtstendenzen konzentriert ist, könnte einen der Eindruck beschleichen, dass die Gefährdung der Demokratie vor allem "rechts" verortet wird. In der Tat spielt linke Militanz eine geringe Rolle, ansonsten decken die präsentierten Projekte aber ein breites inhaltliches Spektrum ab, neben der, nennen wir es, Gefahrenabwehr ("Stuttgarter Migrantenvereine gegen Islam-, Muslimfeindlichkeit und Alltagsrassismen") allgemeine Vielfalts- und Demokratieförderung im weitesten Sinne ("Mit Kindern in die Welt der Vielfalt hinaus", "Kita differenzsensibel!" ).

Der Werbeetat im unteren einstelligen Millionenbereich ist vor Kurzem an die Agentur Scholz & Friends Berlin gegangen, diejenige Agentur, die im letzten Jahr wegen ihres (inzwischen: Ex-)Mitarbeiters Gerald Hensel und dessen Aktivitäten für #KeinGeldFürRechts in die Schlagzeilen geraten war. Ein erster Eindruck vom künftigen Design in jugendlich-knallenden Farben (Stand Anfang April) ist von der Startseite des Projekts bereits zu gewinnen. Sie trompetet ein umfassendes Wir-Gefühl ins Land hinaus: "Diese Website wird nichts ändern. Aber Du kannst es. Demokratie leben: Wer, wenn nicht wir?"

Hier werden Anregungen unterbreitet, wo man sich in den unterschiedlichsten Bereichen (Umweltschutz, Gewerkschaften, Politische Initiativen ...) nützlich machen kann. Außerdem werden Interessenten zu einer nach Regionen abzufragenden "Projekt-Landkarte" weitergeführt, die nach Themenbereichen deutschlandweit alle möglichen Projekte auflistet, bis hin zu Mehrgenerationenhäusern, Allianzen für Menschen mit Demenz und Jugendmigrationsdiensten; ein fast ausuferndes Adressbuch für soziale Akteure vor Ort, die sich Gutes tun auf die Fahnen schreiben. Am 3. April ist die Kampagne ins Rollen gekommen. "Dieses Plakat hängt nur rum! Aber du kannst mehr", heißt es auf Großplakaten. Oder auf Litfaßsäulen: "Dies ist keine Säule der Gesellschaft! Aber du kannst eine sein." Merke: Der "demokratische Frühling" (Scholz & Friends) ist gekommen.

Demokratie-Modell: Alle Menschen sollen sich gut verstehen

Das Programm fährt mehrgleisig. Es nennt Anlaufstellen, will Einzelne aktivieren, aber sicher auch volkspädagogisch wirken, indem es demonstriert, was "Demokratie leben!" heißt. Insofern dürften die Verantwortlichen auch ein bestimmtes Demokratiemodell im Hinterkopf haben.

Weil Demokratie "schwere Sprache" ist, bietet die Website eine Erklärung von Demokratie vom Kölner Büro für Leichte Sprache für "Menschen, denen das Lesen und Verstehen von Texten schwerfällt", etwa betroffenen Migranten und Senioren: "Alle Menschen in Deutschland dürfen mit-entscheiden. Und alle Menschen haben die gleichen Rechte. Und alle Menschen auf der Welt sind gleich ... Politiker arbeiten im Bundestag von Deutschland. Die Politiker entscheiden zusammen wichtige Sachen."

ABER: "Manche Menschen sind gegen Demokratie. Oder gegen bestimmte Menschen. Die Menschen sind fremden-feindlich. Oder sie sind gegen Muslime. ... Die Menschen sollen mit dem Programm lernen: ... Demokratie ist gut. Und alle Menschen sollen sich gut verstehen." Die leichte Erklärung klingt schwer nach einem Idealbild gesellschaftlicher Zustände.

Selbstverständlich ist es ein hehres Unterfangen, in der Demokratie "Menschenfeindlichkeit" zu verhindern. Das Kunststück besteht aber grundsätzlich darin (in jedem einzelnen Projekt), das abstrakte Bekenntnis zur "Vielfalt" und "Gleichwertigkeit" der Menschen auf den konkreten Alltag und konkrete Politik herunter zu brechen. Wann ist jemand "alltagsrassistisch", welche Art von gesellschaftlicher "Vielfalt" ist erwünscht bzw. im wahren Leben ohne Konflikte umsetzbar, wo beginnt Diskriminierung? Das sind die Schlüsselfragen.