Demokratiegefährdung aus den eigenen Reihen
Seite 5: 5. Gefahren durch wachsende Einkommensunterschiede
- Demokratiegefährdung aus den eigenen Reihen
- 2. Haltung gegenüber Regimen mit Demokratiedefiziten
- 3. Konflikte innerhalb der westlichen Gemeinschaft
- 4. Angelsächsisches Schmarotzertum
- 5. Gefahren durch wachsende Einkommensunterschiede
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Die unterschiedliche Interessenlage von Staaten, die auf die Finanzwirtschaft setzen, und dem Rest der Welt erweist sich als besonders gravierend bei der Beurteilung der wachsenden Einkommensschere. Da vermögende Privathaushalte in der Lage sind, ihre Konsumbedürfnisse maximal zu befriedigen, fließen zusätzliche Geldeinnahmen zwangsläufig in den Anlagebereich. Nutznießer sind vornehmlich Volkswirtschaften mit einem starken Finanzsektor. Deren Regierungen haben daher kein Interesse, Bemühungen um eine Verminderung der Kluft zwischen Arm und Reich zu unterstützen. Vielmehr werden Staaten, die wegen der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit des produzierenden Gewerbes um ihre globale Position fürchten müssen, derartige Initiativen blockieren.
Wachsende Einkommens- und Vermögensunterschiede sind nicht nur eine Frage sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Integrität, sondern sie haben auch beträchtliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung (Nachfrageschwund durch wachsende Ungleichheit). Auf der einen Seite streben immer größere Geldbeträge in Anlageobjekte, auf der anderen bleibt die kaufkräftige Nachfrage nach Konsumgütern relativ zurück. Zunehmende Einkommensdisparitäten manifestieren sich bei vermögenden Haushalten als Anlagenotstand, während sich innerhalb der Konsumentenschaft Klagen über Wohlstandseinbußen mehren.
Die von der klassischen Ökonomie erwartete Korrektur durch ein Überangebot mit der Folge von Preiseinbrüchen, welche dann die Konsumenten begünstigen, tritt augenscheinlich nicht ein. Die Ursachen sind ein hoher Konzentrationsgrad in relevanten Wirtschaftszweigen und eine verbesserte Marktinformation, sodass gewinngefährdende Entwicklungen rechtzeitig erkannt und bereits im Vorfeld abgewendet werden können. Neuinvestitionen werden auf ein Minimum reduziert, Risiken an Zulieferer und Dienstleister outgesourct, Belegschaften und politische Entscheidungsträger unter Druck gesetzt.
Investitionstätigkeiten dienen angesichts zurückbleibender Endnachfrage vorrangig dem Zweck von Kosteneinsparungen. Dadurch wird aber das Kaufkraftniveau weiter abgesenkt, weil Lohnabhängige und Kleinunternehmer ihre Arbeit verlieren oder sich mit geringeren Einkünften begnügen müssen. Es entsteht ein Teufelskreis.
Der drohende wirtschaftliche Niedergang kann schließlich nur durch eine zunehmende Verschuldung der Konsumentenseite aufgehalten werden. Neben Privathaushalten gehören dazu kommunale und staatliche Instanzen, soweit deren Tätigkeit darin besteht, gesellschaftlich vermittelte Bedürfnisse der Bürger zu befriedigen.
Der Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt stieg OECD-weit sowohl bei öffentlichen als auch bei privaten Haushalten in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts um jeweils rund 25 Prozent. Damit wuchs der Schuldenstand deutlich schneller als die Wirtschaftsleistung. Offenbar wäre die globale Wirtschaft ohne diese Alimentation der Konsumenten bereits zu einem früheren Zeitpunkt zusammengebrochen. Da eine Rückkehr zu einem sich selbst tragenden Wachstum kaum möglich erscheint, kann angenommen werden, dass die Geldschleusen der Notenbanken weiterhin geöffnet bleiben.
Zunehmender Wettbewerb der Volkswirtschaften
Um nicht in eine Schuldenspirale zu geraten, die bei sinkender Bonität und wachsenden Verbindlichkeiten gegenüber Kreditgebern droht, bemühen sich die Regierungen um eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften. So wird bei öffentlichen Dienstleistungen gespart, um zusätzliche Finanzmittel für Infrastruktur-, Bildungs- und Forschungsprojekte verfügbar zu haben. Durch diverse Vorleistungen sollen wirtschaftliche Aktivitäten beflügelt werden. Darüber hinaus werden Unternehmen und Kapitalanleger direkt unterstützt, etwa durch Bürgschaften, Subventionen, Zuschüsse und Steuerermäßigungen. Tatsächlich hat sich die Begünstigung von potentiellen Investoren und Kapitaleignern mancherorts als erfolgreiche Strategie zur Erzielung von Wirtschaftswachstum, Beschäftigungszunahme und höherem Steueraufkommen erwiesen.
Dass ein solches Engagement auf längere Sicht zum Bumerang für die eigene wie auch für konkurrierende Volkswirtschaften wird, lässt sich durch das mathematische Modell des Gefangenendilemmas veranschaulichen. Es sei hier auf die Ausführungen in einem früheren Artikel verwiesen:
Auf Staaten angewandt soll eine Regierung betrachtet werden, die alle Hebel in Bewegung setzt, um einheimische Produzenten zu stärken und ausländische Investoren sowie Großsteuerzahler anzulocken. Die zu erbringenden Opfer sollen sich in einem überschaubaren Zeitraum auszahlen. Wenn andere Länder nicht mitziehen, dann geht die Rechnung tatsächlich auf. Aber auch für den Fall, dass anderswo vergleichbare Maßnahmen beschlossen werden, steht unsere Regierung besser da, als wenn sie untätig geblieben wäre.
Da sich aber alle Staaten in derselben Lage befinden, wird jede Regierung folgerichtig eine ähnlich gelagerte Wirtschaftspolitik betreiben. In diesem Fall kann aber kein Staat Vorteile erlangen. Alle erleiden Verluste im Umfang der gewährten Vergünstigungen.
Staaten im Gefangenendilemma
Offenbar bedarf es verbindlicher internationaler Regeln, um Alleingänge zu verhindern, die letztendlich allen zum Nachteil gereichen. Wenn jedoch der Schaden durch anderweitige Vorteile, die aus dem gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzsystem gezogen werden, mehr als kompensiert werden kann, wird ein Staat bemüht sein, entsprechende Beschlüsse zu verhindern oder zumindest zu verwässern.
Außerdem erscheint es opportun, den Druck durch eigenes Vorpreschen weiter zu erhöhen. Dies beabsichtigt aktuell die britische Regierung durch die Senkung der Steuerbelastung für Unternehmen von 20 auf 15 Prozent. Sollte die Londoner City nach erfolgtem Brexit deutlich Federn lassen, dann könnte sich diese Maßnahme als Eigentor erweisen.
Das Verlangen nach staatlichen Eingriffen
Große und finanzstarke Staaten können sich dem Konkurrenzdruck leichter entziehen. Ihre Volkswirtschaften sind für Privatinvestoren auch ohne Steuergeschenke und Vorleistungen interessant, soweit sie Rechtssicherheit garantieren und eine ausreichende Infrastruktur besitzen. Wenn sie zudem über eine starke Zentralgewalt verfügen, lässt sich die Tätigkeit privater Unternehmen auf eine Weise lenken, die Produktivität, Beschäftigung und Wohlstand erhöht.
Dies erzeugt verständlicherweise Unmut bei Regierungen, die vor dem Hintergrund eines neoliberal gefärbten Demokratieverständnisses eher eine Schwächung der Staatsmacht anstreben. Ihre Legitimationsbasis wird gegenwärtig schon dadurch ausgehöhlt, dass ein wachsender Bevölkerungsteil unter Einkommenseinbußen leidet und sich Zukunftsangst ausbreitet. Nun verliert obendrein das Postulat der Alternativlosigkeit neoliberaler Wirtschaftspolitik allmählich an Überzeugungskraft.
Aus der Sicht von Kritikern muss der Staat mehr Engagement zeigen und - falls nötig - seinen Kompetenzbereich erweitern, um negative Erscheinungen in der Wirtschaft erfolgreich bekämpfen zu können. Soll es nicht bei Flickschusterei bleiben, dann bedarf es eines dezidierten Programms für eine alternative Wirtschaftspolitik. Leider ignorieren auch die ausgereiftesten unter den gegenwärtig diskutierten Konzeptionen weitgehend globale Zwänge. Um sich diesen aber entgegenstemmen zu können, müssen notwendigerweise die staatlichen Machtbefugnisse ausgeweitet werden.
Dies scheint auch die politische Elite zu begreifen, weshalb sie sich skeptisch bis ablehnend positioniert. Wenn sich darüber hinaus noch Protestparteien der Rhetorik vom starken Staat bedienen und gleichzeitig liberale Errungenschaften in Frage stellen, wird die Bedrohung westlicher Werte beschworen und ein Zusammenrücken der Demokraten verlangt. Nun rächt sich, dass destruktives Treiben in den eigenen Reihen über Jahre kritiklos geduldet wurde.
Keine Demokratie ohne Sozialstaat
Hier schließt sich der Kreis. Durch die schrittweise Entmachtung staatlicher Instanzen, als Inbegriff von Demokratie verstanden, wurde eine Konstellation erzeugt, die über eine exzessive Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen zu Wohlstandsverlusten und schließlich zu Demokratieverdrossenheit geführt hat.
Maßnahmen, die notwendig wären, um diesen Trend zu stoppen, werden von "Freunden" verhindert, weil diese vom gegenwärtigen System erheblich profitieren. Sie finden leicht Mitstreiter, da es überall und zu jeder Zeit tatsächliche oder vermeintliche Opfer politischen Machtmissbrauchs gibt. Mit Hilfe eines festen Standbeins in den Medien interpretieren sie Machtanhäufungen als Gefährdung der Demokratie. Einschüchterungen zeigen Wirkung, weil Politiker nicht riskieren wollen, ständigen Angriffen ausgesetzt zu sein.
Gefordert ist eine Rückbesinnung auf die politischen Ideale der ersten Jahrzehnte der Nachkriegszeit, als demokratische und sozialstaatliche Leitmotive noch als gleichrangig galten. Gleichwohl sei daran erinnert, dass der Kampf für demokratische Rechte ursprünglich dem Ziel diente, Instrumente zur Durchsetzung der sozialen und materiellen Interessen der Bürger zu erhalten. Wird der Demokratiebegriff auf ein Niveau reduziert, welches der Marginalisierung eines wachsenden Bevölkerungsteils Vorschub leistet, dann werden Werte aufgegeben, die zumindest auf gleicher Höhe anzusiedeln sind wie die Verhinderung allzu großer Machtzusammenballungen.
Dies schließt keineswegs Kritik an Staaten aus, in denen politische Macht übermäßig konzentriert ist und demokratische Freiheitsrechte eingeschränkt werden. Dennoch sollte genau hingeschaut werden, wer in der eigenen Reihe der Protestierenden steht. Kräfte, die eine Kontrolle wirtschaftlicher Macht und eine gerechte Einkommensverteilung ablehnen und in ihrer politischen Praxis hintertreiben, haben in der Front der Demokraten nichts zu suchen.