Demonstrationen als Wehrkraftzersetzung

Spanien will Zivilisten, die gegen einen Krieg protestieren, vor ein Militärgericht stellen

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Mit Gefängnis zwischen "einem Jahr und sechs Jahren" soll bestraft werden, wer "in einem internationalen bewaffneten Konflikt, an dem sich Spanien beteiligt, öffentlich Handlungen vornimmt, um diese Beteiligung in Misskredit zu bringen". Das ist ein Auszug aus dem Artikel 49 eines Gesetzesentwurfs des spanischen Verteidigungsministeriums zur Reform des Militärgesetzes. Auszüge aus dem Gesetzesentwurf hat am Dienstag die spanische Tageszeitung El Pais veröffentlicht. Mit der Vorlage soll das Delikt der Wehrkraftzersetzung wieder eingeführt und die Militärgerichtsbarkeit ausgeweitet werden. Zivilpersonen, die gegen Kriege protestieren, wie im Fall des Irak, sollen dann vor Militärgerichte gestellt werden.

Die Veröffentlichung der Vorlage hat zu einem Entrüstungsturm geführt. So erklärte der Sprecher der Vereinten Linken (IU) Felipe Alcaraz, dieser Text könne von "jedem Diktator einer Bananenrepublik unterzeichnet werden". Josep Lluís Carod Rovira, der Generalsekretär der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC), nannte Spaniens Ministerpräsident José María Aznar eine "Gefahr für die Demokratie". Wenn der in dieser Geschwindigkeit weiter demokratischen Rechte abbaue, "werden wir bald im Gleichschritt in der Jugendfront marschieren".

Seitdem die Vorlage aus Verteidigungsministerium bekannt ist, rudert die wegen der Kriegsunterstützung schwer angeschlagene Regierung Aznar heftig zurück. Sie bestätigte, ein neues Militärstrafgesetzbuch sei geplant, welches das aus dem Jahr 1985 stammendes Gesetz ablösen und die Kompetenzen der Militärgerichtsbarkeit erweitern soll. Begründet wird die Reform unter anderem mit "von Spanien eingegangenen internationalen Verpflichtungen".

Kafkaesk trat am Dienstag der Verteidigungsminister Federico Trillo vor die Presse. Er bestätigte dabei die Existenz des Vorschlags, meinte allerdings, er habe von dessen Inhalt selbst erst aus der Zeitung erfahren. Den Fragen danach, wer den Vorschlag, auf Grund welcher Vorgaben und Anforderungen angefertigt hat, entzog er sich. Dafür klärt El Pais den Minister heute über die Zuständigkeiten in seinem Haus auf. Wie alle Vorhaben sei auch dieser Vorschlag in einem Sekretariat des Verteidigungsministeriums ausgearbeitet worden.

Ohnehin entpuppen sich die scheinbaren Distanzierungen der Regierung von der Reform beim genaueren Hinsehen zwischen den Zeilen als Bestätigung des Vorhabens. Der Verteidigungsminister erklärte, "es macht keinen Sinn" Strafen noch in dieser Legislaturperspektive einzuführen. Ähnlich äußerte sich auch der Vizepräsident Mariano Rajoy. Er erklärte, die Reform habe "keine Priorität der Regierung" und sie werde "in dieser Legislaturperiode nicht verabschiedet". Nach einer wirklichen Distanzierung von einer weiteren Beschneidung fundamentaler Rechte klingt das nicht. Schon eher danach, dass der Vorschlag ausgearbeitet wurde, als noch nicht bekannt war, wie stark Aznar wegen seines Kriegskurses im Fall Irak an Vertrauen verlieren wird (Die Proteste in Spanien gegen den Krieg und die eigene Regierung werden stärker). So spricht alles dafür, dass die Volkspartei (PP) das Vorhaben nur zurückstellt und, falls sie die Wahlen im Frühjahr 2004, entgegen aller derzeitigen Umfragen, doch noch gewinnt, wieder ausgräbt.