Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen: Weniger Zugkraft?

Screenshot Video RT zur Menschenkette am Bodensee/YouTube

Erwartungen der Organisatoren in Konstanz wurden nicht eingelöst. Statt 250.000 machten laut Veranstalter 25.000 bei der Menschenkette am Bodensee mit. Die Kritik an den Maßnahmen hat sich verlagert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die internationale Aufmerksamkeit für die Proteste in Deutschland gegen die Corona-Maßnahmen ist da; AFP berichtete, über die Menschenkette am Samstag am Bodensee, ebenso Reuters; Le Monde bezeichnete die Menschenkette sogar als "immens".

Große Mobilisierungen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierungen sind international noch die Ausnahme, so ist international das Interesse an den Demonstrationen in Deutschland geweckt, was auch an der politischen Öffnung nach rechts und den spektakulären Aktionen wie Ende August am Reichstag liegt (German Angst reloaded). Mobilisiert wird das Interesse auch durch beeindruckende Zahlen.

So kursierte für das Projekt einer Menschenkette um den Bodensee die Zahl von 220.000 bis 250.000 Teilnehmer, die dafür nötig seien und vom Organisatoren Gerry Mayr ("Extremsportler und Abenteurer", BZ) zunächst erwartet wurden. Die Organisatoren Friedenskette Bodensee schraubten die Teilnehmerzahl dann deutlich herunter: "Mit 25.000 Menschen im Abstand von 3 Meter ist uns es vermutlich gelungen, eine Friedenskette von ca. 75 Kilometer Länge zu realisieren."

Schon am Donnerstag kamen Zweifel auf, ob die spektakulären Zahlen, die an die Öffentlichkeit gegeben wurden, erfüllt würden. Die Badische Zeitung berichtete am Freitagabend von "Gegenwind für Querdenken-Kundgebungen". Erwähnt werden in diesem Zusammenhang der Rückzug von Schweizer Organisatoren, ein schwer realisierbares Großprogramm, angemeldete Gegendemonstrationen sowie Auflagen der Behörden.

Der Konstanzer Oberbürgermeister Ulrich Burchardt (CDU) verkündete "vier Ordner pro 50 Teilnehmer. Wir haben Maskenpflicht bei allen sich bewegenden Demonstrationszügen, Maskenpflicht bei ruhenden Demonstrationen in dem Moment, wo der Mindestabstand nicht eingehalten wird". Dazu wurden Reichs- wie auch Reichskriegsflaggen im gesamten Stadtgebiet verboten.

Friedliche Veranstaltung

Gezählt wurden dann von der Polizei am Samstag etwa 10.000 bis 11.000 Menschen am deutschen Ufer des Bodensees bei der "Friedenskette zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit". Begleitet wurde die Kette von an ihr vorbeilaufenden Gegendemonstranten. Herausragende Vorkommnisse wurden laut Polizeibericht nicht gemeldet. Die Veranstaltung verlief friedlich.

Die Friedensketten-Veranstalter machten deutlich, dass sie "keinesfalls eine Querdenken-Veranstaltung" seien. Die logistische Koordination habe der Busverband #honkforhope übernommen, der weder politisch noch religiös sei, sondern sich für das Überleben des Busreisegewerbes in Zeiten der Corona-Pandemie einsetze.

Laut SWR mobilisierte die Initiative "Querdenken" mehr als 10.000 Menschen zu einer "Friedenskette" entlang des deutschen Bodenseeufers. Auf der Webseite von querdenken-711 wird darauf verwiesen, dass die Friedenskette ein Projekt "verschiedener Initiativen rund um den Bodensee" sei.

Dass es Sympathien und engere Verbindungen zwischen den Veranstaltern und den Querdenkern in Konstanz gibt, wird auf der Webseite der Konstanzer Querdenker offenkundig. Auch am heutigen Sonntag waren mehrere Veranstaltungen angesetzt - und einige abgesagt. Der Veranstalter Gerry Mayr sprach gegenüber dem SWR von rund 3.000 Teilnehmern. Erwartet wird der Auftritt des Querdenkers Michael Ballweg, der seine Kandidatur bei der OB-Wahl in Stuttgart Anfang November ins Spiel gebracht hat für den Abend.

Ob die groß angekündigten Mobilisierungen am Bodensee, die sich trotz besseren Wetters am Sonntag nicht realisieren ließen, als Indiz dafür taugen, dass die Erregung über die weitgehenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus nicht mehr stark genug ist, um spektakulär viele Menschen zu versammeln?

Sachliche, auf Erfahrungen gründende Kritik

Das ist schwer einzuschätzen, der Eindruck ist, dass Annahmen der lauten Corona-Gegner, Stichwort "Massenpsychose oder Diktatur", mehrheitlich auf keine Resonanz stoßen, da sie überzogen sind und im Grunde Eigen-PR sind. Indessen wächst, besonders auf lokaler Ebene, eine sachlich begründete, differenzierte Kritik an Maßnahmen, die als nicht verhältnismäßig eingeschätzt werden.

Hier spielen Erfahrungen eine größere Rolle als abgefahrene politische Hypothesen. Dazu kommt, dass der fixierte Blick auf Infektionszahlen allmählich einer anderen Einschätzung weicht, die andere Zahlen in den Blick nimmt. Zu beobachten ist das in den regionalen Medien-Seiten wie auch in zahlreichen Gesprächen. Als Referenz wird dazu öfter die Position des Infektiologen Hendrik Streeck herangezogen.

Eine Pandemie ist ein Marathon, das gilt auch für die SARS-CoV-2-Pandemie. Wir sollten darum nicht an erster Stelle mit Verboten und Verordnungen arbeiten, sondern mehr auf die Eigenverantwortung setzen. Man muss begreifen, dass Masken und Abstand nicht nur die Infektionszahlen kontrollieren, sondern auch die Schwere der Infektionen.

Verbote und der erhobene Zeigefinger helfen ein paar Wochen, aber irgendwann kommt der Überdruss und es wird in Frage gestellt, wie sinnvoll bestimmte Regelungen sind. Es muss aber deutlich werden, warum eine Maßnahme genau vorgeschlagen und umgesetzt wird.

Ausgangssperren und Alkoholverbote sind daher schwieriges Terrain. Das Virus kommt ja nicht erst um 22 Uhr raus. Solche Verordnungen können daher leicht kontraproduktive Wirkung entfalten, wenn dahinter keine konkreten Erkenntnisse stecken.

Hendrik Streeck

Streeck rückt das Kommunikationsproblem in den Vordergrund. Ansonst rät er dazu, mehr auszuprobieren statt einem kompletten Verbieten bestimmter Dinge mit gesellschaftlich negativen Sogwirkungen und bitteren wirtschaftlichen Folgen. "Natürlich müssen neue Konzepte komplett durchdacht sein, aber wir müssen ausprobieren dürfen."