Den Armen die Freiheit!
Ergonomische Keyboards sind auch keine Hilfe
Wer sind die wahren Herrscher über die lohnabhängigen IT-Sklaven? Die dafür sorgen, dass sich immer mehr Menschen mit dem Computerarm, dem sogennanten RSI-Syndrom herumplagen müssen? Es sind die finsteren Hintermänner, die sogenannte ergonometrische Tastaturen designen, die nix taugen und nur als Placebo zur Profitmaximierung dienen!
Viele können inzwischen weltweit ein Lied davon singen, und der Chor der Gefangenen wird immer größer und lauter. Das Lied handelt von den diversen Krankheiten bzw. Beschwerden, die sich der tagaus tagein am Computer festgenagelte Angestellte im Laufe seiner unspektakulären Karriere bei seiner einseitigen, bewegungsarmen Arbeit einfängt. Und er tut dies um so mehr, je fleißiger er die vom Management die gerne verlangten Überstunden schiebt. Aber auch die emsigste Mensch-Maschine muss auf Dauer doch gewisse Verschleißerscheinungen hinnehmen.
Die Folge sind schmerzhafte Verspannungen im Hals-Nacken-Bereich, Rückenschmerzen, Sehnenscheidenentzündungen an den Handgelenken, Kurzsichtigkeit der Augen usw., Zusammenfassend bezeichnet man in der angelsächsischen Forschung diese Symptome als "Work-related Neck and Upper Limb Musculoskeletal Disorders (WRULDs)". An Armen und Händen haben Arbeitnehmer dabei häufig unter der sogenannten RSI-Krankheit zu leiden. RSI (Repetetive Strain Injury), quasi der Tennisarm des unsportlichen Angestellten, bezeichnet Verletzungen oder Entzündungen von Sehnen, Gelenken und Muskeln der Hand, die durch falsche Handhaltung bei hoher Schreibleistung auftreten können. Diese Beschwerden bedeuten viel Arbeit für die Ärzteschaft und die angeschlossenen Kur-Institutionen, jedoch nur, falls die Krankenkasse gerade mal die Spendierhosen anhaben sollte.
Auf Kur gefahren wird aber auch nicht mehr so oft. Wen wunderts, angesichts der explodierenden Kosten im Gesundheitswesen, die gerade mal wieder zu einer Anhebung der Kassenbeiträge führen. Die Folgeschäden der intensiven PC-Arbeit machen in der postindustriellen Wissensgesellschaft inzwischen einen relevanten Kostenfaktor am Bruttosozialprodukt aus. Gemäß einer aktuellen Studie klagen bereits 40 Prozent der niederländischen Arbeitnehmer über Schmerzen im Hals-Nacken-Bereich, im Rücken und den Armen, die auf ihre Arbeitsbedingungen am Computer zurückzuführen seien. In Großbritannien sind es im Vergleich dazu etwas weniger, aber immerhin noch 17 Prozent. Der Unterschied erklärt sich vielleicht damit, dass der Engländer von Natur aus schon steifer, also weniger empfindlich als der betont lockere Wohnwagenkiffer ist. In Deutschland gibt es noch kaum aussagekräftigen Statistiken (Vgl.Computerarm oder RSI auch psychisch bedingt) zum RSI-Syndrom.
Das neoliberale System, das seinen Abhängigen diese Zipperlein beschert hat, weiß jedoch natürlich auch, wie es (neben im Betrieb installierten, natürlich nicht kostenlosen Massage-Angeboten z.B.) aus den dadurch geweckten Bedürfnissen Profit ziehen kann. So darf der schmerzgeplagte User heute zwischen verschiedenen coolen Modellen ergonomischer Tastaturen wählen, die ihm das Leben vor dem Bildschirm angenehmer und individueller machen sollen. Da gibt es für das gesunde Tippen die halbierten Keyboards, damit man leichter an die Tasten rankommt und welche, bei denen die Haltung der Handgelenke mit einem weichen Stab fixiert wird. Es gibt seltsam verformte "Natural Keyboards", die sich der Anatomie des Menschen auf natürliche Weise besser anpassen sollen. Es sind Tastaturen erhältlich, bei denen sogar die Anordnung der Buchstaben geändert ist. Und man kann mittlerweile neben solcher Spezial-Hardware auch Software kaufen , die dem Power-User auf dem Monitor anzeigt, wenn es höchste Zeit wird, ein Päuschen zu machen bzw. eine Runde Ausgleichssport mit Stretching, bis die Boss-Hose platzt. Nur das Umhänge-Keyboard, seinerzeit von den Computerpionieren Modern Talking eingeführt, hat sich nicht so recht durchsetzen können. Obwohl das Internet ja auch mobil wird.
Warum aber retten uns diese Wunderwaffen der Computerindustrie nicht? Professor Peter Buckle, der an der Universität von Surrey das Robens Centre for Health Ergonomics leitet und im Auftrag der Europäischen Union eine Untersuchung zu Gesundheitsproblemen durch Arbeit mit dem Computer verfasst hat, hat ein paar Erklärungen. Die Crux mit den ergonometrischen Tastaturen besteht nach Buckles Worten gerade darin, dass sie in erster Linie für die Personen konzipiert seien, die sie entworfen hätten, nicht für eine breite Masse von Anwendern. Schlimmer noch: die ungewohnten Tastaturen zwängen die Arbeitnehmer, sich in ihren eingespielten Abläufen bei der Erledigung der Arbeit umzustellen. Erhöhter Stress sei die Folge, verbunden mit den realen Arbeitsbedingungen, heutzutage immer mehr Pensum in immer kürzerer Zeit schaffen zu sollen.
Das schmerzt und trägt nach Meinung vieler Forscher mit zum Entstehen der WRULDS-Symptome bei. Die dauernde Betätigung von Keyboardtasten sei rein mechanisch für sich betrachtet noch keine zwingende Ursache für Nervenentzündungen oder Schäden an der Halswirbelsäule, so Buckle. Computerspieler seien trotz teilweise stundenlanger exzessiver Bedienung von Keyboard, Joystick oder Maus weniger gefährdet als Menschen, die beruflich und freudlos den ganzen Tag am PC arbeiten müssten. Der Spaß ist also der Clou des Ganzen. Dann haben wir also trotz nicht-ergonomischer Tastatur jetzt gerade noch einmal Glück gehabt. Sonst bleibt nur noch die Umschulung zum Gärtner.