"Den Kopf frei haben"

Seite 2: Beispiel Indonesien

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Viele Frauen aus der heutigen islamischen Welt, insbesondere Iranerinnen, aber auch Algerierinnen oder aktuell Türkinnen und Kurdinnen haben erlebt, wie sich mit dem Schleier die Unterwerfung der Frauen und Mädchen ausbreitete.

Die Ethnologin und Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt, Susanne Schröter, beschreibt in einem Artikel in der FAZ, wie sie anhand persönlicher Anschauung die Ausbreitung des fundamentalen Islams in Indonesien wahrnahm:

Ich habe islamische Mode vor mehr als zehn Jahren in Indonesien bei einem Spaziergang kennengelernt, als zwischen unscheinbaren Zweckbauten unversehens eine stark geschminkte Frau auf High Heels in meinem Blickfeld erschien.

Sie trug ein atemberaubendes bodenlanges Kleid mit einer kunstvollen Kopfbedeckung und posierte gerade für einen Fotografen. Ich sprach sie an, und sie lud mich zu einer Modenschau ein, von der sie gerade gekommen war. Fasziniert fand ich mich kurz darauf inmitten Dutzender von Frauen und Mädchen wieder, die sich in aufwendig gestaltete Gewänder gehüllt hatten, die ausschließlich das Gesicht und die Hände frei ließen. Es war überwältigend. Ein Rausch von Farben, glitzernden Applikationen und seidig schimmernden Stoffen.

Auf meine Nachfragen erfuhr ich, dass der Event von einer islamistischen Partei organisiert worden war, die gerade landesweit für strengere Bekleidungssitten kämpfte. Unter anderem brachte sie ein sogenanntes Antipornographie-Gesetz im Parlament ein, das alles zu Pornographie erklärte, was das Begehren eines Mannes reizen könne. Drunter fallen je nach Auslegung traditionelle Trachten, T-Shirts, kurze Röcke, enge Hosen oder Bikinis. Ein Verstoß gegen dieses Gesetz kann hart bestraft werden.

Susanne Schröter

Susanne Schröter befand sich in der Provinz Aceh, die kurz zuvor das gesamte Rechtssystem der Scharia unterworfen hatte. Inzwischen werden dort klassenweise Mädchen genitalverstümmelt. Wie bei der Schulimpfung - eine nach der anderen. Zwar nicht in der brutalsten Form, von medizinischem Personal und unter entsprechenden hygienischen Bedingungen, jedoch mit folgen für das ganze Leben.

Zwar wird es nicht problematisiert, aber mit der Verbreitung des Islams geht auch die Beschneidung von Jungen einher. Indonesien hat unterdessen die größte muslimische Population weltweit und der Islam ist weiter auf Expansionskurs.

Susanne Schröter beschreibt, was der Schau der schrillen Fummel folgte:

Doch die Verschleierungsdoktrin kam nicht allein. Sie war Teil eines Pakets von Maßnahmen, die allesamt der Eindämmung "unislamischen" Verhaltens dienen. Dazu zählten eine umfassende Geschlechtertrennung sowie das Verbot von nichtehelichem Sex und von Homosexualität. Eine Scharia-Polizei patrouilliert Tag und Nacht, um diejenigen zu verhaften, die sich nicht an die strenge Ordnung halten. Dann drohen drastische Strafen. Im Jahr 2005 begann man mit öffentlichen Auspeitschungen. (…)

Verhüllungen gelten vielen indonesischen Muslimen mittlerweile als moralisch rein, offene Haare als schandhaft. Das fängt bereits bei Kindern an. Mit unbedeckten Haaren herumrennen und mit Jungen spielen ist mancherorts gar nicht mehr möglich. Sittsam sollen sie sein, die kleinen Mädchen, und darauf achten, dass sie sich nicht entblößen. Zeitlich parallel zu dieser Verschärfung der Regeln für Mädchen und Frauen begann eine islamische Modeindustrie zu boomen. Frauenmagazine überschwemmten den Markt, auf denen den Käuferinnen verdeutlicht wurde, dass sie die Quadratur des Kreises zu leisten hätten: Auf der einen Seite erwarteten islamische Autoritäten, dass sie sich bedeckten, auf der anderen Seite erwarteten die Ehemänner eine verführerische Frau.

Die Lösung war die islamische Mode, gern auch als bescheidene Mode definiert, obgleich die Stoffe und teuren Applikationen eher das Gegenteil zeigen. Der Begriff zielt denn auch weniger auf die Kleidung als auf die Frauen, denen die Unterwerfung unter eine religiös begründete Ordnung auferlegt wird, die sie in mehrfacher Weise gegenüber Männern benachteiligt.

Susanne Schröter

Die westliche Modeindustrie hat die Kaufkraft der Frauen im arabisch/muslimischen Raum längst erkannt und die Laufstege und Hochglanz-Gazetten für die "muslimischen" Designerinnen geöffnet. Die Ausstellung in Frankfurt ist das Produkt dieser Entwicklung. Die mühsam erkämpften Rechte der Frauen werden auf dem Altar der Profitgier der Mode-Konzerne geopfert. Interessanterweise gibt es kein männliches Pendant zu der femininen "muslim Fashion".

"Was ist eigentlich mit den muslimischen Männern?", fragt die stellvertretende Vorsitzende von Terre des Femmes, Inge Bell. "Haben die kein Recht auf Repräsentanz ihres Kleidungsstils auf westlichen Catwalks?"

Genau: Freiheit für die Pluderhose, für den westlich geprägten Geschmack in bunt statt beige. Dass wir die Modemagazine auf der Suche nach entsprechenden Fotos vergeblich durchblättern, könnte laut Inge Bell einen ganz einfachen Grund haben:

Es geht nicht um einen neuen Modetrend, sondern um die Gewöhnung der westlichen Gesellschaften an die Vorgaben des islamischen Fundamentalismus. So wird die Unterwerfung der Frauen -zunächst der muslimischen -Schritt für Schritt zur Normalität in Europa, auch in Deutschland. Und unserer Kritik soll so der Wind aus den Segeln genommen werden.

Inge Bell