"Den Lebensabend auf dem Mars verbringen"

Küstlerische Darstellung einer zukünftigen Siedlung auf dem Mars. Bild: NASA

Der Kernphysiker und Systemingenieur Florian M. Nebel über die Möglichkeiten einer bemannten Marsmission, technologische und mentale Hürden sowie Elon Musk

2020 veröffentlichte der in der Raumfahrtindustrie tätige Kernphysiker und Systemingenieur Dr. Florian M. Nebel im Motorbuch Verlag sein Buch zur Berechnung einer Marsexpedition ("Die Besiedelung des Mars. Aufbruch in die Zukunft"). Er untersucht die existierenden Konzepte auf ihre Durchführbarkeit, schätzt auch die Kosten ein und bietet mit dem Buch nicht nur für interessierte Laien eine spannende Einführung.

Das Buch informiert zudem Politiker und Ingenieure in diesem Bereich, welche Größen bei dieser Art Unternehmung eine Rolle spielen könnten. Nebel sieht eine Marssiedlung in relativ greifbarer Nähe. Er meint, innerhalb von zehn oder 20 Jahren könnte es klappen. Welche technologischen und mentalen Hürden noch bestehen, ist unter anderem Inhalt des folgenden Interviews.

Florian M. Nebel
Die Besiedelung des Mars. Aufbruch in die Zukunft
Motorbuch Verlag, 2020
ISBN 978-3613042599

Im März 2021 sind neue Marssonden gelandet. Wie weit sind wir noch von einer Besiedelung des Mars entfernt?

Florian M. Nebel: Gemessen am Enthusiasmus, der Motivation und Entschlossenheit, mit der Elon Musk das Thema vorantreibt, sind die ersten Menschen meiner Meinung nach innerhalb von zehn bis 20 Jahren auf dem Mars zu erwarten. Da Herr Musk gerne seinen Lebensabend auf dem Mars verbringen möchte, ist hier auch eine Marssiedlung zu erwarten.

Wie sieht Ihr eigener Plan aus?

Florian M. Nebel: Persönlich kann ich mir verschiedene Ansätze vorstellen, zu einer Marssiedlung zu kommen. Im spartanischen Ansatz für den schlanken Geldbeutel könnte man lediglich Gruppen von zwei Personen schicken und so sehr langsam eine Siedlung aufbauen. Am anderen Ende der Skala stünde der Bau eines Raumschiffs, das die Dimensionen der ISS übertrifft und auch künstliche Schwerkraft bietet und Platz für bis zu 50 Siedler bietet.

In jedem Fall schlage ich vor, die Ressourcen des Mars so gut wie möglich zu nutzen, um das von der Erde zu verschiffende Material zu reduzieren.

Welchen Anreiz bietet eine Besiedelung des Mars? In Science-Fiction-Werken wird diese ja bereits seit Jahrzehnten farbenfroh ausgemalt.

Florian M. Nebel: Letztendlich liegt es in der menschlichen Natur, an einem Ort zu siedeln, nur weil er da ist. Wenn das nicht so wäre, würden wir immer noch in einer Höhle in Afrika leben.

Eine Siedlung auf dem Mars hat viele Vorteile für die Menschheit. Mein persönlicher Favorit liegt darin, hiermit einen weiteren Schritt zum Rand des Sonnensystems zu machen, von wo aus dann die Möglichkeit besteht, zu anderen Sonnensystemen zu kommen, wo die realistische Chance besteht, andere erdähnliche Planeten zu finden.

Welche Art von Menschen wird als Erstes den Mars besiedeln? Und wer folgt?

Florian M. Nebel: Um auf einem weitgehend lebensfeindlichen Planet eine neue Siedlung zu gründen, braucht es vermutlich einen gewissen Abenteuergeist, die Fähigkeit, wieder und wieder über seine eigenen Grenzen hinauszugehen, ein großes Maß an Innovationskraft, Improvisationstalent und Leidensfähigkeit.

Diese Menschen müssen eine große schöpferische Kraft haben, denn sie wollen etwas völlig Neues erschaffen. Wer folgt, ist schwer zu sagen, vermutlich Wissenschaftler und Touristen …

Im Vergleich zum Mond ist der Weg zum Mars länger und der Aufenthalt in einem Raumschiff und damit im Kosmos gefährlicher. Wie lassen sich diese ersten Hürden aus dem Weg räumen?

Florian M. Nebel: In der Vergangenheit wurde bereits gezeigt, dass diese Hürden zu meistern sind. Strahlenbelastung, lange Isolation und fehlende Gravitation sind drei Beispiele, die zu überwinden sind.

Man weiß, dass der Mensch die Strahlenbelastung überstehen wird, obgleich man ein erhöhtes Krebsrisiko in Kauf nehmen muss. Mehrere Experimente haben gezeigt, dass die Isolation vom Rest der Menschheit gut zu bewältigen ist und sich auch der Muskelabbau durch ein rigides Sportprogramm managen lässt.

Wäre es nicht vernünftiger, weitere unbemannte Missionen zum Mars zu senden, da kostengünstiger und für Menschen weniger gefährlich?

Florian M. Nebel: Vernunft liegt im Auge des Betrachters. Ich denke, eine Marssiedlung wird gegründet werden, weil man es will und weil man es kann, nicht weil es das Vernünftigste ist.

Sie schreiben unter anderem, dass russische Red-Topaz-Kernreaktoren für die Energieproduktion auf dem Mars erforderlich seien. Umweltschützer werden sicher nicht begeistert sein, Nuklearenergie auf einen anderen Planeten zu transportieren. Was denken Sie?

Florian M. Nebel: Kernenergie ist in Deutschland unpopulär. Andere Länder wie Japan und Frankreich sehen das anders. Der Einsatz von Kernkraft als Energiequelle für eine Marssiedlung ist erheblich unbedenklicher als auf der Erde. Auf dem Mars ist die Umwelt bereits lebensfeindlich, sodass die Nebenwirkungen der Kernkraft hier anders bewertet werden sollten.

Langfristig sollte auch auf dem Mars auf Solarstrom aus lokal produzierten Solarpanelen umgestiegen werden. Bei ausreichendem Budget kann man auch eine rein auf Solarenergie ausgelegte Siedlung errichten.

Viel Diskussion gibt es, ob man den Mars zu einer zweiten Erde umwandeln kann, Stichwort: Terraforming. Sie schlagen einige Techniken vor, wie man das bewerkstelligen könnte, auch in Hinsicht auf eine lebensfördernde Umgebung. Wollen Sie das etwas erläutern?

Florian M. Nebel: Ideen für ein Terraforming des Mars gibt es seit Langem, sind aber sehr weite Zukunftsmusik. Es ist vorstellbar, große Mengen an Gasen für den Bau einer Atmosphäre und Wasser aus geeigneten Asteroiden im Kuipergürtel zu holen und diese auf den Mars stürzen zu lassen.

Sie führen drei Siedlungsoptionen aus: Überlebensraum, einfache Marssiedlung und große Marssiedlung. Worin bestehen die Herausforderungen? Welches Szenario ist am wahrscheinlichsten?

Florian M. Nebel: Eine große Herausforderung bei Bau und Betrieb der Marssiedlung liegt in der langen Zeit, die es dauert, bis man von der Erde Nachschub bekommen kann, zusätzlich zur unwirtlichen Umwelt. Alles, was man dort braucht, muss im Vorfeld gut überlegt sein. Funktioniert es nicht auf den ersten Versuch, kann das tödliche Folgen haben.

Welche Variante es letztendlich wird, ist schwer zu sagen. SpaceX Starship wird ein mehr unter Atmosphärendruck stehendes Volumen haben als ein A380. Fliegt SpaceX damit zum Mars, spricht einiges dafür, dass es eher eine größere Siedlung werden wird.

Welche Kosten würden diese Siedlungsoptionen Ihrer Einschätzung nach verursachen?

Florian M. Nebel: Ich schätze die Kosten auf mehrere hundert Milliarden Euro. Dies könnte auch deutlich billiger passieren, wenn SpaceX mit seinen ambitionierten Plänen, eine vollständig wiederverwendbare Trägerrakete zu bauen, Erfolg hat.

Küstlerische Darstellung der Big Falcon Rakete (BFR) von Space X. Bild: Space Exploration Technologies Corp. / Public Domain

Sind Ihre Berechnungen eher optimistisch oder pessimistisch? Welche technologischen, wissenschaftlichen und sozialen Entwicklungen müssten noch verfolgt werden, um den Erfolg zu garantieren?

Florian M. Nebel: Ursprünglich war ich der Meinung, eher realistisch geschätzt zu haben. Mittlerweile hat sich die technologische Entwicklung als schneller als gedacht gezeigt, sodass ich heute sagen muss, dass meine Abschätzung eher pessimistisch war.

Ein großes Thema der bisherigen Marsmissionen war die Landung. Der Rekord an angelandetem Material liegt noch immer weit unter dem, was man für eine Marssiedlung braucht. Ich hoffe, dass wir hier einen großen Sprung sehen werden.

Welche Orte eignen sich für Landungen einer bemannten Mission?

Florian M. Nebel: Der Mars hat große Höhenunterschiede zwischen der Nord- und Südhalbkugel. Die Nordhalbkugel liegt im Mittel mehrere Kilometer tiefer als die Südhalbkugel, was den Bremsweg für jede Landung vergrößert.

Wegen der dünnen Atmosphäre ist dies dringend nötig. Ich gehe daher davon aus, dass eine Marssiedlung auf der Nordhalbkugel sein wird, möglicherweise aber sehr nahe am Äquator, um mehr Sonnenlicht zu haben.

Eine Hauptsorge ist das Gewicht der Teile einer Rückflugsfähre oder des modularen Habitats. Gewicht ins All mitzunehmen, ist immer noch ziemlich teuer. Was sind Ihre Ideen, um dieses Gewichtsproblem zu lösen?

Florian M. Nebel: Am meisten Material lässt sich sparen, wenn man so viel wie möglich auf dem Mars herstellt. Dazu bietet sich vor allem Treibstoff für die Rückreise an. SpaceX geht mit seinem Spaceship- Konzept genau diesen Weg.

Macht ein Hinflug ohne Rückkehr Sinn?

Florian M. Nebel: An dieser Frage scheiden sich die Geister natürlich gewaltig. Der Rückflug an sich ist wahnsinnig teuer, außerdem braucht ein Auswanderer typischerweise keinen Rückflug. Wären die ersten Europäer wieder aus Amerika nach Hause gekommen, gäbe es heute vermutlich keine USA. Eine Marssiedlung ist daher für mich nur dann eine Siedlung, wenn die Leute dort auch bleiben.

Das schließt natürlich nicht aus, dass man im Notfall nicht doch zur Erde zurückfliegen können sollte.

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