Den Rechtsruck in der AfD hat es nicht gegeben

Alice Weidel auf dem Parteitag. Bild: Screenshot von AfD-YouTube-Video

Auf dem 8. Bundesparteitag der Rechtspopulisten hat der völkisch-nationalistische Flügel aber seine Muskeln spielen lassen

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Hat auf dem Bundesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) in Hannover am Wochenende ein weiterer Rechtsruck stattgefunden? Die neu gewählten Bundeschefs Meuthen und Gauland sowie viele Parteifreunde bestreiten das, ein solcher Vorwurf gerade in den Medien sei falsch. Tatsächlich haben sie Recht und Unrecht. Der Ruck nach Rechts in Hannover fand nicht mehr ideologisch statt. Das völkisch-nationalistische Höcke-Lager hat am Wochenende aber deutlich gemacht, wie mächtig es schon ist und dass es einen als moderat geltenden Parteichef verhindern kann.

Genau das ist das Problem mit dem (Nicht-)Rechtsruck. Auf dem Parteitag waren nicht wirklich radikalere Töne zu hören als zuvor schon bei der AfD. Auffällig war, dass einige zuvor als bürgerlich und moderat geltende Vertreter nun aber deutlich machten, dass sie rechtspopulistisch bis rechtsradikal lospoltern können.

Das neu gewählte Führungsduo Meuthen und Gauland hatte zudem in der Vergangenheit immer ein Herz für Höcke und stellten sich schützend vor ihn. In dem Antrag des alten AfD-Bundesvorstands, Höcke aus der Partei auszuschließen, heißt es, dieser weise "eine übergroße Nähe zum Nationalsozialismus" auf und habe die NPD unterstützt. Entschieden ist darüber noch nicht.

Das Parteiausschlussverfahren gegen den "kleinen Höcke", den Richter Jens Maier aus Dresden, war kurz vor dem Parteitag gestoppt worden. Ein weitere Schritt hin zum Rechtsradikalismus, also ein weiterer Rechtsruck? Immerhin zeigte die AfD damit endlich Mut zur Wahrheit. Sie stoppte den Rauswurf eines Mannes, der Vertreter der verfassungsfeindlichen und rechtsextremistischen NPD "Kameraden" nannte, im NPD-Duktus den "Schuldkult [nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Massenmord an den Juden; mik] für beendet, für endgültig beendet" erklärte. Maier sieht die Gefahr der "Herstellung von Mischvölkern, um die nationalen Identitäten auszulöschen".

Solche nunmehr geduldeten Aussagen illustrieren, wie sich die AfD seit längerem schon verändert oder gehäutet hat. Was in Hannover demgegenüber deutlich wurde, war dann kein ideologischer Rechtsruck. Nachdem Lucke und Petry die AfD verlassen haben und manch einer schon die Machtkämpfe für beendet wissen wollte, droht nun das noch moderatere Parteilager weiter in eine Defensive zu geraten.

Tiefer Riss durch die AfD

Am Wochenende gab es Abstimmungen, die exemplarisch für eine Konkurrenz zwischen dem völkisch-nationalistischen Flügel und den noch moderateren Kräften standen. Der rechte Parteirand, vor Jahren als "Flügel" und "Patriotische Plattform" eher als Phänomen gestartet, trumpfte dabei in Hannover auf. Bei einigen Abstimmungen votierten zwischen 40 bis fast 50 Prozent der Delegierten im Sinne des Höcke-Flügels. Eigentlich kein Rechtsruck. Nur eine Machtdemonstration.

Denn ohne die äußerst rechte AfD-Flanke geht bald nichts mehr und das zeigt deutlich, was für ein tiefer Riss durch die AfD geht. Eine Partei, die bei der letzten Bundestagswahl fast 13 Prozent der Stimmen erhielt und selbst glaubt, sie spreche für "das Volk". Dass der Parteitag teilweise turbulenter, chaotischer und entscheidungsunfreudiger ablief als manch ein linksextremer Debattenzirkel oder ein Plenum in einem linken "Autonomen Zentrum" - wo man bekanntlich alles ewig zerredet -, verkauft die AfD indes als gelebte Basisdemokratie. Und neigt dann doch zugleich zum Autoritären.

Über Inhalte wurde auf dem Parteitag, der vorrangig dazu diente, einen neuen Parteivorstand zu wählen, nicht wirklich gesprochen. Redner, die auf eine Frontalopposition setzten, erhielten dennoch mehr Applaus als solche, die koalieren und so eigene Politvorstellungen umsetzen wollen. Koalieren wolle man nur, wenn man wie die FPÖ stark genug sei, eigene Themen umsetzen zu können (Gauland) oder wenn die anderen Parteien darum "betteln" würden (von Sayn-Wittgenstein). Das ist Kniefall- und Kriegsrhetorik, am Boden liegende Besiegte sollen um Gnade winseln und um Hilfe betteln vor der siegreichen AfD …

Die Frau, die das sagte, Doris von Sayn-Wittgenstein, ist selbst im schleswig-holsteinischen Landesverband als dessen Chefin nicht unumstritten. Glaubt man "Spiegel-Online", zauberte der völkische Flügel sie am Samstag aus dem Hut, um dem zuvor von Meuthen und Gauland vorgeschlagenen Favoriten für das Amt des zweiten Bundeschefs, Georg Pazderski, zu verhindern (Gauland ersetzt Petry in der AfD). Dessen Makel: Höcke-kritisch und zu gemäßigt, wahrscheinlich also ein zu Petry-naher Ersatz für Petry.

Doris von Sayn-Wittgenstein ist auf Bundesebene eine Newcomerin und eher unbekannt, sie gehört der AfD erst seit 2016 an. Dank ihrer kämpferischen, nationalistischen Rede holte sie im ersten Wahlgang fast 50 Prozent. Einige wenige Stimmen mehr und sie wäre neben Meuthen zu dessen Co-Sprecherin gewählt worden. Auch wenn Gauland später sagen wird, ihre Rede habe die Delegierten mitgerissen. Den alten Parteisoldaten Pazderski hat die zu radikalen Tönen und aggressiver Rhetorik neigende von Sayn-Wittgenstein prompt abserviert. Bei den weiteren Vorstandswahlen spielte sie dann keine Rolle mehr.