Den Vereinten Nationen geht das Geld aus
Die UN-Mitgliedsstaaten schulden den Vereinten Nationen über zwei Milliarden US-Dollar. USA und Covid-19 lähmen die Arbeit zur nuklearen Abrüstung
Die Vereinten Nationen können bald ihre Arbeit nicht mehr fortsetzen. Laut UN-Generalsekretär Antonio Guterres stehen die Vereinten Nationen vor einer Geldkrise, weil die Mitgliedsstaaten keine Beiträge entrichtet hätten. Das werde durch die Coronavirus-Pandemie noch verstärkt.
UN-Generalsekretär Guterres richtete sich am Donnerstag in einem Brief an die 193 UN-Mitgliedsstaaten, wie The Associated Press berichtet. Die nicht erfüllten Zahlungen beliefen sich mittlerweile auf 2,27 Milliarden US-Dollar. Die Vereinigten Staaten schuldeten zum Beispiel 486,7 Millionen US-Dollar. Bisher seien nur 77 Länder ihren finanziellen Verpflichtungen für das Jahr 2020 nachgekommen.
Laut der derzeit geltenden Beitragsskala für die Jahre 2019 bis 2021, die im Dezember 2019 von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde, leisten die USA mit rund 680 Millionen US-Dollar den größten Beitrag. Zweitgrößter Beitragszahler ist China mit 370 Millionen US-Dollar. Japan folgt mit 264 Millionen US-Dollar, Deutschland ist mit rund 190 Millionen US-Dollar der viertgrößte Beitragszahler. Diese vier Länder tragen zusammen rund 49 Prozent zum gesamten Haushalt der Vereinten Nationen bei. Dieser belief sich 2020 auf rund 3,08 Milliarden US-Dollar.
Für den Beitragssatz der USA wurde aus politischen Gründen eine Kappungsgrenze bei 22 Prozent Beitragsanteil am Gesamthaushalt der UN eingeführt. Der minimale Beitragssatz für die ärmsten oder kleinsten Länder liegt bei 0,001 Prozent. Präsident Donald Trump monierte seit Amtsantritt wiederholt, dass Washington eine unfaire Last der Kosten für die Vereinten Nationen trage.
Zusätzlich zum regulären Haushalt der Vereinten Nationen leisten die Mitgliedsstaaten Pflichtbeiträge zur Finanzierung der Friedensmissionen. Doch die Gelder reichten kaum aus, um sie bis Ende Juni aufrechtzuerhalten. Es fehlten nun Gelder in Höhe von 1,1 Milliarden US-Dollar für die Bezahlung von UN-Truppen und Polizeikräften in den Ländern. Guterres sagte, dass die fehlenden Gelder, "die durch die globale Krise der COVID-19-Pandemie verschärft werden, die Fähigkeit der Vereinten Nationen, ihre Arbeit zu tun, ernsthaft gefährden". Derzeit habe die UN Liquiditätsreserven von rund 1,4 Milliarden US-Dollar.
Bei den Peacekeeping-Missionen der Vereinten Nationen waren 2020 insgesamt mit über 80.000 Friedenssicherungskräfte weltweit in 14 Missionen aktiv, die Hälfte in Afrika. Nach Angaben der Vereinten Nationen kosten ihre friedenserhaltenden Operationen weniger als die Hälfte von ein Prozent der weltweiten Militärausgaben.
Vor zwei Wochen forderte Guterres angesichts der Pandemie einen weltweiten Waffenstillstand. "Unsere Welt steht vor einem gemeinsamen Feind: COVID-19", sagte Guterres. Die Pandemie veranschauliche den Irrsinn des Krieges. "Wir müssen die Krankheit des Krieges beenden und die Krankheit bekämpfen, die unsere Welt verwüstet. Es beginnt damit, dass wir die Kämpfe überall stoppen. Und zwar sofort."
Rund 30 Staaten auf der ganzen Welt sind derzeit in irgendeine Art von Krieg oder bewaffneten Konflikt verwickelt.
Visa-Politik der USA
Sorgen bereiten die UN zunehmend auch die geopolitisch motivierte Visa-Politik der US-Regierung, die ihre Macht der Visavergabe nutzen, um unbequeme Staaten wie Russland vom UN-Sitz in New York fernzuhalten. Der stellvertretende Ständige Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, Dmitrij Polyanskij, wirft den Vereinigten Staaten vor, ihr Recht auf die Ausstellung von Visa zu missbrauchen. Im September waren zum Beispiel 18 Teilnehmern der russischen Delegation, die zur UN-Vollversammlung in die USA reisen sollten, die Visa verweigert worden. Die Frist für die Bearbeitung einiger Visaanträge überschreite manchmal ein Jahr.
Russland und andere Länder argumentieren, dass die US-Administration durch die nicht rechtzeitige Erteilung von Visa gegen das UN-Hauptquartierabkommen verstößt. Darin heißt es in Artikel 11, dass den USA verboten wird, den Mitgliedern und Vertretern der UN Reisebeschränkungen aufzuerlegen. Von Seiten der UN heißt es laut dem Sprecher des Generalsekretärs, Stephane Dujarric: "Die Zahl der nicht-erteilten Visa sei zurzeit sehr hoch."
Im April letzten Jahres rief die Trump-Regierung das Visum der Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs Fatou Bensouda zurück, nachdem sie eine mögliche Untersuchung gegen die USA wegen Kriegsverbrechen in Afghanistan eingeleitet hatte.
Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif konnte dieses Jahr im Januar nicht an einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates teilnehmen, weil er kein Visum erhielt. Andere Länder wie Syrien, Venezuela und Nicaragua hatten in der Vergangenheit ähnliche Probleme.
Im Februar musste die UN-Abrüstungskommission (UNDC) den Beginn ihrer Jahrestagung zweimal verschieben. Beide mal war dem Leiter der Multilateralen Abrüstungsabteilung des russischen Außenministeriums, Konstantin Woronzow, nicht rechtzeitig ein US-Visum ausgestellt worden, so dass er einreisen konnte. Das Abrüstungsforum wurde nun wegen der Coronavirus-Pandemie auf nächstes Jahr verschoben.
Nukleare Abrüstung weiter in Gefahr
Die Coronavirus-Pandemie könnte sich daher auch als Katastrophe für die weltweite nukleare Abrüstung herausstellen. Die alle fünf Jahre stattfindende Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags ist ebenfalls auf nächstes Jahr verschoben. Sie war mit Spannung erwartet worden, da anberaumt war, die Kündigung des INF-Vertrages im letzten Jahr durch die USA und die Russische Föderation zu besprechen. Fraglich, ob überhaupt die russischen Delegierten eine Einreiseerlaubnis erhalten hätten, um an der Konferenz teilnehmen zu können.
Nach dem Aussetzen des INF-Abrüstungsvertrags existiert derzeit nur noch der New-Start-Vertrag. Mit dem seit 2011 geltenden Vertrag hatten Russland und die USA die Zahl der nuklearer Gefechtsköpfe und Trägersysteme verringert und Informationen über ihre Nuklearwaffen ausgetauscht. Wird der New-Start-Vertrag nun vor Februar 2021 nicht verlängert, wären beide Staaten an keine rechtlich verpflichtende Begrenzung und Überprüfung ihrer Atomwaffenarsenale mehr gebunden.
Davon wird jedoch auszugehen sein, wenn Kriegspräsident Trump wiedergewählt wird.