Den Wandel mit aller Entschlossenheit ergreifen
Seite 6: Genangst
1. Faschistische Anwendungen
Ein anderer Einwand vieler Kritiker der Gentechnologie bezieht sich auf die schrecklichen Folgen eines Wiedererstarkens von faschistischen, rassistischen und autoritären Regimen und ihrem Einsatz der Gentechnologie, um willfährige, genetisch konforme Untertanen herzustellen. Aber erstens wird ein Verbot der Gentechnologie demokratischer Gesellschaften keinerlei Einfluß auf künftige oder gegenwärtige faschistische Regime haben. Wenn es ein "nationales Sicherheitsinteresse" hinsichtlich der Gentechnologie geben sollte, dann sollten liberale Demokratien dieses realisieren. Beispielsweise könnten Kampagnen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, die genetische Anlagen für Alkoholismus oder zur Vergrößerung der Intelligenz von Kindern entdecken und korrigieren, Staaten mächtiger und produktiver als ihre konservativeren Nachbarn werden lassen. Würde es nicht im Interesse der Demokratie für Demokratien liegen, diese Maßnahmen zu verfolgen?
Aber was wäre, wenn faschistische Regime durch die Aufzucht verschiedener Kasten à la "Schöne, neue Welt" mächtiger werden und Demokratien darauf nur reagieren könnten, indem sie auf gleiche Weise sich zur Wehr setzen? Das ist eine Möglichkeit, die einen wichtigen Punkt aufwirft. Man verhindert den faschistischen Gebrauch der Gentechnologie, indem man dem Aufleben des Faschismus entgegentritt, aber nicht durch die Behinderung der Gentechnologie. Irak und Nord-Korea sind Beispiele dafür, daß strenge Beschlüsse seitens korrekt denkender Staaten, die einzig den USA den Besitz von nuklearen und chemischen Waffen gestatten, weil sie als hinreichend moralisch eingestuft werden, nur einen geringen einfluß auf aufsässige Staaten haben. Wenn wir die Verbreitung der Nukleartechnologie mit ihren von Satelliten aus sichtbaren Produktionsstätten nicht wirksam verhindern können, werden wir mit Genlaboratorien noch größere Schwierigkeiten haben. Ich befürworte die Ausdehnung der gesetzgeberischen, gerichtlichen und militärischen Macht der UN, um einem globalen Rechtssystem näherzukommen, doch glaube ich, daß die eigentliche Aufgabe einer solchen neuen Weltordnung die Verhinderung faschistischer Regime ist, die die Genetik vermutlich für üble Zwecke einsetzen, und nicht die Überwachung und Verhinderung von verbotenen Gentechnologien.
Genforschung fördert nicht direkt Rassismus oder autoritäre Regime. Der Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis könnte auch die pseudowissenschaftliche Basis zerstören, auf die sich die meisten eugenischen Maßnahmen berufen haben. Vermutlich wird der Fortschritt der Genforschung uns erkennen lassen, ob es ein genetisches Fundament für Unterschiede der geschlechtlichen oder rassischen Eigenschaften gibt und wie wichtig diese sind. Wenn es solche Unterschiede geben sollte, dann wird man sie gegenüber gesellschaftlichen Faktoren als geringfügiger einschätzen, und die genetischen Faktoren werden durch eine technische Bestimmung verbessert werden. Manche bestehen darauf, daß Erkenntnis selbst oder das Wissen über verbotene Themen zum Faschismus führe. Ich vertrete hingegen den modernen Optimismus, daß sich Wissen gegenüber dem Obskurantismus neutral verhält oder sogar dessen Geißel ist.
2. Der Wert genetischer Diversitität
Oft kritisiert man die Gentechnologie auch aus der Position, die eine Ästhetik oder den biologischen Wert der genetischen Vielheit vertritt. Viele beziehen sich auf die Tatsache, daß Ökosysteme stabiler sind, wenn sie eine größere Vielheit von genetischen Abstammungslinien besitzen. Manche behaupten, daß unser eigenes Überleben als Gattung von der genetischen Diversität abhängt, wenn wir mit einer Krankheit konfrontiert wären, gegen die nur einige Arten resistent sind.
Erstens ist Diversität kein hinreichend zwingender ethischer oder ästhetischer Wert, der die Prävention einer Krankheit oder die Verbesserung unserer Lebensqualität übersteigt. Wir haben die Diversität ohne Bedauern reduziert, als wir Pocken und Polio bekämpften. Wir reduzieren Diversität, wenn wir auf der Schulpflicht bestehen, weil wir den Wert einer Diversität extremer Klassenungleichheit nicht befürworten.
Zweitens wird jeder Verlust der Anpassungsfähigkeit durch biologische Diversität durch eine Vermehrung des biologischen Wissens und der Eingriffsmöglichkeiten kompensiert. Es ist unwahrscheinlich, daß eine künftige Gesellschaft "überlegene Gene" erzeugen kann und doch unfähig sein sollte, der Herausforderung einer Infektionskrankheit nicht gewachsen zu sein.
Drittens sollte die Genetik, die ich in ihrer liberalen Form ausgeführt habe, in dem Maße Diversität schaffen, in dem sie diese zerstört. Während ich die Durchführung von Genuntersuchungen für Krankheiten befürworte, wende ich mich gegen jeden eugenischen Zwang. Menschen wollen unterschiedliche Eigenschaften und Fähigkeiten für sich selbst und ihre Kinder. Für jedes arisches Elternpaar, das einen blonden, blauäugigen Barbie-Phänotypus wählt, wird es vermutlich ein chinesisches Elternpaar geben, das sich einen klassischen chinesischen Schönheitstyp entscheidet. Das kann tatsächlich zur Auswahl weniger körperlicher und geistiger Ideale führen, aber ich vermute, daß die Phänotyenmoden sich schnell verändern werden. Ich sehe keinen ethischen Unterschied zwischen der Erlaubnis, daß Menschen ihre Gene in Übereinstimmung mit gesellschaftlichen Moden verändern, und der Erlaubnis, ihre Kleidung, ihr Aussehen und ihre Glaubensvorstellungen zu verändern.
Vielleicht gibt es aber doch irgendeinen ästhetischen oder sogar politischen Wert der Diversität. Wenn die Bürger sie schätzen, dann kann man Anreize zur Realisierung oder Bewahrung von Diversität schaffen. Wenn die Zahl der Eltern, die sich für blonde Jungen entscheiden, der öffentlichen Meinung zuwiderläuft, dann könnten wir steuerliche Anreize für Eltern schaffen, die dunkelhaarige Mädchen haben wollen. Auf jeden Fall werden wir schnell wissen, ob es große Strömungen gibt, die wir abstoßend finden. Ich vertraue auf unsere Fähigkeit, zwanglose politische Reaktionen zu finden, um jede wertvolle Diversität wieder zu stärken, die wir als bedroht sehen.
Die "Genetisierung" des Lebens
Ein diffuseres "kulturelles" Bedenken gegenüber der Gentechnologie geht dahin, daß Menschen die Genetik für das Leben als zentraler und einflußreicher ansehen könnten, als sie dies sollten. Beispielsweise glaubt Richard Shweder , daß Eugenik und genetischer Determinismus auf Kosten von Versuchen, gesellschaftliche Leiden zu verbessern, durch die gegenwärtige Gentechnologie und Genforschung gestärkt werden. Andere Kritiker wie Barbara Katz Rothman glauben, daß die Gentechnologie zur Verdinglichung der genetischen Bande zwischen Menschen auf Kosten der Wertschätzung ihrer sozialen Beziehungen führt.
Beide Bedenken haben ein gewisses Recht. Zweifellos wird die öffentliche Hand die Bedeutung der Genetik höher veranschlagen, wenn es um Krankheitsursachen, die Intelligenz und andere Eigenschaften geht, als dies aus einer ausbalancierteren wissenschaftlichen Perspektive geschehen würde. Und wie der Markt für In-Vitro-Fertilisation heute zeigt, werden Menschen astronomische Summen für die Chance einer genetischen Verbindung mit ihren Kindern zahlen, während sie früher auf eine Adoption angewiesen waren.
Wird das Mißverständnis des Geneinflusses und die unverhältnismäßig große Bedeutung der genetischen Bande durch den Fortschritt der Gentechnologie zunehmen? Wenn wir die Gene analysieren, die Lungenkrebs wahrscheinlicher werden lassen, werden die "negativ Eingestellten" nicht lange brauchen, daß sie noch immer durch Rauchen oder Asbest gefährdet sind. Wenn die Gendiagnose und -behandlung wichtiger wird, werden die Menschen genauso klug mit ihrer Gendiagnose umgehen, wie sie dies jetzt mit den Risiken des Rauchens oder des Cholesterin machen. Risikoscheue Menschen werden ihre genetischen Neigungen sehr ernst nehmen und dem Risiko zugeneigte Menschen werden dies nicht tun. Wenn ihnen ein OB-Gen fehlt und sie dennoch dick werden, werden sie ihre Diät verdoppeln.
Eltern werden weniger von den Genen besessen sein, wenn sie entweder ein Kind mit allen von ihnen stammenden Mängeln oder eines haben können, das ihrem Gesicht ähnelt, als wenn es mit den guten Zähnen, den Plattfüßen, der Größe und Intelligenz eines anderen ausgestattet ist. Man wird es für zwanghaft oder dumm halten, wenn man seinen Kindern nur die Gene der Eltern gibt, und Elternschaft wird aus der Bestimmung der Verbindung mit den Eltern und nicht aus der Abstammung abgeleitet werden.
Was Rothmans Kritik der Vorrangstellung sozialer Bande angeht, so verdinglichen Fruchbarkeitsbehandlungen, Ersatzschwangerschaften und Gentechnologie nicht die genetische Bindung, sondern sie führen zu deren allmählichen Dekonstruktion. Genauso wie uns Herz-Lungen-Maschinen dazu gezwungen haben, uns dem Unterschied zwischen dem Herz- und Gehirntod stellen, werden genetische Eingriffe uns dazu zwingen, das Verhältnis zwischen sozialen und genetischen Banden klarer zu sehen. Wenn man die meisten Gene seines Kindes aus einem Katalog zusammengestellt hat, wird die Bedeutung der sozialen eleterlichen Bande mit dem eigenen Kind vermutlich zunehmen.
Unsere Fähigkeit zur Kontrolle der Gene wird uns dabei helfen, der Genetik das angemessene Gewicht in der Kultur und der Gesellschaft zu geben. Wenn das Verhältnis zwischen Natur und Erziehung deutlicher wird, werden die Menschen nicht weniger, sondern wahrscheinlich mwhe dazu geneigt sein, die Erziehungsseite ihrer Probleme zu sehen. Aber was geschieht, wenn eine künftige Politik beschließen sollte, daß es einfacher wäre, die Resistenz gegenüber Rauch gentechnisch herabzusetzen, als die industrielle Luftverschmutzung zu mindern? Das wäre eine Tragödie, aber das würde sich nicht gänzlich von unseren gegenwärtigen Kämpfen gegen Gifte unterscheiden, die wir durch Gesundheitsausgaben kompensieren. Gentechnologie wird es nicht wahrscheinlicher werden lassen, daß wir eine ökologisch saubere, gesunde und auf der Gleichheit basierende Gesellschaft haben werden, nur die Möglichkeiten des Zurückfallens werden größer.
Genetische Diskriminierung und Vertraulichkeit
Viele Gegner genetischer Untersuchungen fürchten, daß Erkenntnisse über Gene zu einer Diskriminierung der "genetisch Kranken und Behinderten" führen werden. Manche behaupten, daß die Gentherapie selbst diese Diskriminierung verstärken wird, indem sie einen großen Druck auf die Menschen mit genetischen Krankheiten ausübt, diese zu korrigieren, damit sie nicht die Gesellschaft und die Zukunft mit ihren Krankheiten belasten.
Es ist sicherlich richtig, daß Arbeitgeber bereist versuchen, die genetischen Risiken ihrer Angestellten herauszubekommen und eine Anstellung oder eine Versicherung auf der Basis des Gefährdungsprofils ablehnen. Im amerikanischen Kongreß wurde ein Gesetzesvorschlag eingebracht, der die Vertraulichkeit genetischer Informationen garantiert. Obwohl es noch nicht verabschiedet wurde, ist es sicher, daß die Vertraulichkeit bis zum Ende des Jahrtausends bis zu einer gewissen Grenze garantiert wird. Zusätzlich werden die Amerikaner mit dem Disabilities Act und anderen Gesetzgebungen ganz klar dazu kommen, die Angestellten gegenüber genetischer Diskriminierung zu verteidigen.
Schwieriger ist es, genetische Informationen gegenüber Krankenkassen und anderen nicht-medizinischen Angestellten der Gesundheitssysteme vertraulich zu halten, da sie jede einzelne Untersuchung oder Behandlung bezahlen müßten, die durch genetische Risiken erforderlich werden. Ohne gesetzliche Regelung könnte der Gebrauch von Informationen über genetische Risiken die Möglichkeit der Versicherer vergrößern, die zu einer Krankheit Veranlagten auszuschließen oder ihnen Gebühren aufzuerlegen, die den Kosten ihrer möglichen Behandlungen entsprechen. Wiederum wird das bereits im Kongreß vorliegende Gesetz über eine Reform des Versicherungswesen die "Risikoeinstufung" und den Ausschluß von Kunden mit "Veranlagungen" verbieten. Diese beiden Reformvorhaben werden vermutlich die Zahl der Versicherungsgesellschaften in den USA halbieren und genetische Diskriminierung in der Krankenversicherung zu einer mehr oder weniger fragwürdigen Angelegenheit machen. Manche haben vorgeschlagen, daß Charakter genetischer Informationen eine private Krankenversicherung unmöglich mache. Darauf kann ich nur sagen, daß das eine Einlösung wäre.
Das Wissen über die genetische Ausstattung eröffnet zweifellos viele Möglichkeiten des Mißbrauchs. Aber genetische Informationen sind nur ein kleiner Teil der Informationen über unser Leben, die in der Öffentlichkeit zirkulieren uns einem schaden können. Die gesetzliche Regelung der Gentechnologie hat in Wirklichkeit wenig damit zu tun, ob wir die Geheimhaltung von Daten im 21. Jahrhundert sicherstellen.
Systematisch schlechte Entscheidungen von Eltern
Das Recht auf ein "maßgefertigtes Kind" ist lediglich eine natürliche Erweiterung unserer gegenwärtigen Diskussion über Reproduktionsrechte. Ich kann dem Zufall in der Produktion keinen Wert zumessen, aber ich sehe in der Erweiterung der Wahlmöglichkeiten einen großen Wert. Embryos und Föten sind, wie schon gesagt, biologisches Eigentum, und Eltern sollte es erlaubt sein, sie nach ihren Willen innerhalb eines Rahmens von geringen gesellschaftlichen Beschränkungen zu verändern oder abzutreiben. Wenn Frauen das "Reproduktionsrecht" oder die "Wahl" des Vaters ihres Kindes mit dessen erwünschten Eigenschaften eingeräumt wird, dann sollte ihnen auch das Recht gewährt werden, die Eigenschaften aus einem Katalog auszuwählen.
Welche gesellschaftlichen Beschränkungen sollten Eltern bei ihren genetischen Entscheidungen unterliegen? Es ist offensichtlich, daß die Politik solche Beschränkungen erlassen kann und sollte. Glover stellt beispielsweise die Frage, was man machen soll, wenn eine religiöse Minderheit ein Zeichen ihres Glaubens auf der Stirn ihrer Kinder anbringen und ihre Gehirne so gestalten würde, daß sie nicht lesen können, um eine Bekehrung zu vermeiden? Natürlich würde ich Maßnahmen gegen Eltern akzeptieren, die ihren Kinder systematisch Kapazitäten entziehen, auch wenn ich hinsichtlich des religiösen Symbols nicht so sicher bin.
Ein anderes Beispiel wäre die Geschlechtsselektion. Auch wenn wir auf ein Geschlecht fixierte Eltern verabscheuungswürdig finden, so ist es dennoch natürlich vorzuziehen, daß Eltern eher gewünschte als unerwünschte Kinder haben sollen, und es ist ihr Recht, darüber zu entscheiden, welche gewünscht und welche unerwünscht sind. Das wird zu einer Angelegenheit öffentlichen Interesses, wenn die Entscheidungen von Eltern sich zu unerwünschten Ergebnissen wie eine hinsichtlich der Geschlechtsverteilung nicht ausgewogene Bevölkerung kumulieren. Mit großer Sicherheit führt die pränatale Diagnose in China und Indien zu einer fast ausschließlichen Abtreibung von weiblichen Föten. Die Geschlechtsvorlieben der Amerikaner sind ausgewogener, aber wenn dies nicht so wäre, so hätten wir noch einige Jahre Zeit, über politische Reaktionen nachzudenken. Wie ich bereits weiter oben gesagt habe, würde ich finanzielle Anreize für andere Entscheidungen jedem Zwang vorziehen. Das Hauptargument ist, daß wir ein breites Spektrum an Möglichkeiten besitzen, auf solche Herausforderungen zu reagieren, während wir voranschreiten, und nicht eilig antizipierende Verbote aussprechen müssen.
Diskriminierung von Behinderten
Gegner der Geschlechtswahl und eugenischer Maßnahmen gegen genetisch bedingte Behinderungen behaupten, daß derartige Entscheidungen Akte des Vorurteils gegenüber Frauen und Behinderten darstellen und die sekundäre Stellung von diesen perpetuiert, weil man dadurch eher auf genetische als auf gesellschaftliche Verbesserung setzt. Zunächst sind Embryos und Föten keine Personen und deswegen können ihre Rechte nicht als Personen oder als Mitglieder von unterdrückten gesellschaftlichen Gruppen verletzt werden. Auch wenn Eltern Entscheidungen hinsichtlich der Reproduktion aus vielen Gründen treffen sollten, die wir ablehnen, beispielsweise wenn ein Fötus abgetrieben wird, weil der Vater zufällig der "falschen" Rasse angehört, ist das noch kein Grund, hier einzugreifen.
Die mutmaßliche Verbindung zwischen der Entscheidung, ein behindertes Kind abzutreiben oder dessen Behinderung zu korrigieren, und der fortgesetzten Unterdrückung der Behinderten scheint zumindest sehr schwach zu sein. Vielleicht reduzieren wir die Macht der Behinderten an der Wahlurne, wenn wir ihren Anteil an der Bevölkerung verkleinern. Doch die moralische Verpflichtung der Eltern, ihren Kindern die größtmögliche Lebensqualität und das größtmögliche Spektrum an Fähigkeiten zu bieten, schließt nicht nur die Verpflichtung ein, ein behindertes Kind mit Achtung und Liebe zu erziehen, sondern auch die, sie zuallererst vor Behinderungen zu bewahren. Es scheint auch so zu sein, daß eine Gesellschaft mit weniger Behinderten eher die Ausgaben für diese erhöhen würde, anstatt sie zu senken.
Ungleicher Zugang, Priorität und der Markt
Als Sozialdemokrat ist meine größte Sorge, wie gesellschaftliche Ungleichheit den Zugang zur Gentechnologie erschweren und wie Gentechnologie gesellschaftliche Ungleichheit verstärken könnte. Wenn man ein angemessenes Gleichgewicht von Staat und Markt bei der Genetik etabliert, dann sollte man mit der Schaffung eines nationalen Gesundheitsbudgets beginnen, wahrscheinlich durch die Schaffung eines nationalen Gesundheitssystems, wie es der Clintonplan oder andere Formen einer nationalen Krankenversicherung vorsieht. Ein derartiges System würde die ethische Begrenzung des Einsatzes erlauben - angefangen damit, wie hoch die Gesundheitsausgaben sein sollen, bis dahin, welche medizinischen Grundleistungen garantiert und was dem privaten medizinischen Markt überlasen werden sollte.
Wenn wir ein solches System hätten, würden die meisten Fruchtbarkeitsbehandlungen und die künftigen positiven "Genverbesserungen" nicht durchgeführt werden. Andererseits würden Genuntersuchungen und korrigierende Gentherapien ganz sicher gesellschaftlich anerkannt werden, kostengünstig und deshalb ein verständliches positives Recht sein. Das führt mich in ein Dilemma. Ich befürworte, daß Fruchtbarkeitsbehandlungen und positive Genverbesserungen legal und verfügbar sein sollen, aber ich kann keinen Grund angeben, daß sie ein positives Recht darstellen, das durch Steuergelder finanziert werden sollte. Wenn jedoch Genprodukte nur am Markt verfügbar sind, dann werden sie nur die Reichen erwerben können, wodurch sie bessere Lebenschancen erhalten und vielleicht gesünder und intelligenter werden als die Armen. Das wäre für eine auf gleiche Lebenschancen basierende Gesellschaft moralisch nicht rechtfertigbar.
Diese Probleme sind in der Tat eine Subkategorie der größeren Aufgabe, bei der es um die Festlegung geht, welche medizinischen Tests, Produkte und Techniken
* vom Recht, wie z.B. Impfungen vorgeschrieben werden;
* mit Steuergeldern unterstützt werden, wie z.B. die Abtreibung in fortschrittlichen Ländern, ohne obligatorisch zu sein;
* gefördert, aber nicht finanziell unterstützt werden, wie z.B. Gymnastik;
* unerwünscht, aber nicht verboten sind, wie z.B. Rauchen;
* verboten sind, wie z.B. Heroin.
Jede Einordnung der Gentechnologien in eine dieser Kategorien zwischen obligatorisch und verboten ermöglicht Ungleichheit. Die meisten Gegner der Gentechnologie würde, wenn es hart auf hart geht, vor dem gänzlichen Verbot der Gentechnologien zurückschrecken und diese so der ungleichen Verteilung auf dem Markt überlassen. Auf der anderen Seite hört man niemand öffentlich fordern, daß es ein Programm einer obligatorischen und universellen genetischen Neugestaltung geben soll. Daher bleibe ich mit Glover in der üblichen demokratischen Mitte eines gemischten Marktes - hier ein bißchen Staat, dort ein bißchen Privatwirtschaft, den Rest basteln wir uns beim Weitermachen zurecht.
Eine parallele und sehr faszinierende Frage ist, ob, wann und wem Genprodukte als Eigentum gehören sollen, ob sie als Patent gesichert und als Ware vermarktet werden können. Genmanipulierte Tiere werden seit 1987 patentiert. Der Kongreß hat die Patentierbarkeit von Menschen nicht erlaubt, aber das Patentamt hat das Prinzip akzeptiert, daß Teile des menschlichen Genoms patentiert werden können, wenn deren Funktion bestimmt worden ist. Das NIH (National Institute of Health) hat während der Regierungszeit von Bush versucht, die künftige kommerzielle und wissenschaftliche Forschung durch die Patentierung von entschlüsselten Gensequenzen zu schützen, deren Funktion aber noch nicht bekannt ist, was die zusätzliche Frage entstehen läßt, welche Rolle öffentliches Eigentum im Kontext der Genetik einnehmen soll. Wissenschaftler, die am Human Genome Project mitarbeiten, sind in lukrative biotechnologische Unternehmen eingetreten und profitieren von der mit Steuergeldern unterstützten Forschung.
Wieder besteht die sozialdemokratische Lösung darin, daß es einen hinreichenden Schutz von Genprodukten geben muß, um die Forschung zu stärken, während man gleichzeitig vom öffentlichen Besitz des Gencodes und medizinischen Wissens als einem gemeinsamen Eigentum der Menschheit ausgehen muß.
Der Niedergang der gesellschaftlichen Solidarität
Schließlich glauben einige Kritiker, daß sich Eltern von ihren gentechnisch erzeugten Kindern entfremden würden. Dator und andere Posthumanisten sind der Meinung, daß Gentechnologie und andere Technologien einen Konflikt zwischen Menschen und Postmenschen schaffen können und so die gesellschaftliche Solidarität bedrohen. Ich glaube, daß dies ein ernstzunehmendes Problem ist. Ein Ziel der gesellschaftlichen Steuerung der Gentechnologie würde in der Herabsetzung der Geschwindigkeit liegen, in der die Gesellschaft genetisch voranschreitet und sich diversifiziert. Der Graben zwischen den Körpern und den Fähigkeiten von Eltern und Kindern sollte nicht so groß werden, daß Elternschaft unmöglich wird. Auch die Ängste der gentechnisch nicht behandelten Menschen werden zweifellos ein Faktor in der Kontrolle der gentechnisch verbesserten Minderheit spielen. Auch wenn einige dieser konservativen Bedenken gerechtfertigt sind, wenn die gentechnisch verbesserten Menschen keine Verantwortung für die anderen übernehmen und sie zu beherrschen oder auszubeuten versuchen sollten, so sollten wir auch keinem zu einfachen Chauvinismus und die Angst derjenigen, die nichts von der Gentechnologie wissen, folgen, so daß die genetische Verbesserung ganz beendet wird.
Obwohl man sich gewaltige gesellschaftliche Konflikte vorstellen kann, so unterschieden sie sich nicht gänzlich von denen zwischen ethnischen Minderheit und der Bevölkerungsmehrheit, zwischen der Ersten und der Dritten Welt oder zwischen gesellschaftlichen Klassen. Wie andere Ursachen der gesellschaftlichen Teilung werden die Beziehungen zwischen neuen genetischen Gemeinschaften durch die herkömmmlichen Institutionen, Gerichtshöfe und Rechtssprechungen, durch die Rechte von Minderheiten und den Mehrheitsentscheid geregelt. Die wirkliche Herausforderung für eine posthumane Ethik liegt in der Definition neuer Parameter für die Lebensformen, die als Eigentum, als unter Vormundschaft stehend (also die weder Besitz noch voll entscheidungsfähig sind, wie z.B. Kinder) und als Personen mit vollen Bürgerrechten gelten sollen.