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Bild "Reiterdenkmal": Adal-Honduras / CC-BY-2.0. Grafik: TP

Denkmäler, die Unmenschlichkeit und Rassismus im öffentlichen Raum feiern, gibt es hierzulande nicht. Oder?

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Die guten Deutschen sind bekanntlich die Weltmeister der Gedenkkultur, da macht ihnen niemand was vor. Deswegen sind sie auch verstört, wenn sie die Vorfälle in Charlottesville und anderswo beobachten, wo Neonazis und Ku-Klux-Klan-Anhänger gewalttätig gegen die Entfernung ihrer geliebten Rassistenstatuen vorgehen. Für Selbstgerechtigkeit gibt es allerdings keinen Anlass.

1989 berichtete der Spiegel von einem Hitlerdenkmal - nicht in einem Museum oder in einer privaten Sammlung, sondern mitten in Landstuhl (Rheinland-Pfalz). Keiner der üblichen Hitlerköpfe, kein Standbild - der größte Führer aller Zeiten war als Reiter auf einem Pferd dargestellt. Seit 1934 hatte das Denkmal da gestanden, und nach 1945 war es "in Vergessenheit" geraten, mitten in einer Stadt von mehreren Tausend Einwohnern und Einwohnerinnen. Wie so Vieles nach dem Krieg.

Als die Spiegelreporter auf das Denkmal aufmerksam machten, waren die guten Bürger Landstuhls verblüfft, ungefähr so, als hätten sie gerade eine Haifischflosse in ihrem Gartenteich entdeckt. Aber die Stadt Landstuhl oder andere Behörden reagierten nach der Entdeckung sofort, oder? Keineswegs. Hitler ritt auf dem Landstuhler Marktplatz bis 1993, als ihn linke Aktivisten herunterrissen, die von der Herrenreiterei genug hatten.

Ähnlich ging es mit einem Denkmal in Marienfels (Rheinland-Pfalz), das die SS feierte. Nachdem sich dort vielfach alte und neue Nazis zur Selbstbeweihräucherung getroffen hatten, und eine Demontage des Denkmals endlos lange diskutiert worden war, wurde es 2004 zerstört, wahrscheinlich wiederum von linken Aktivisten.

Interessanterweise hatten Sympathisanten der SS während der damals schon möglichen Internetdebatten zu den gleichen Argumenten gegriffen, die regelmäßig den Freunden der Sklaverei in den USA einfallen.

Neu zusammengesetzter Giftmüll

Das sei Geschichte, die man nicht einfach so schnöde beseitigen könne; diese Denkmäler erfüllten eine wichtige Gedenkfunktion etc. Und genau wie bei den amerikanischen Rassisten und Nazis war das Argument im Fall Marienfels von Grund auf verlogen. Der Schandfleck von Marienfels war erst lange nach dem Krieg hingeklatscht worden, nämlich 1971, in Analogie zu den "schönen Statuen" (US-Präsident Trump), die lange nach dem US-Bürgerkrieg errichtet wurden, um das Ende der Sklaverei zu beweinen.

Aber mit der Zerstörung des Denkmals war die Sache doch erledigt, oder? Ach, nicht ganz. Die Trümmer aus Marienfels wurden auf dem Privatgrundstück des Neonazis Thorsten Heise in Thüringen wieder zusammengesetzt.

Und dann gibt es ja auch noch so Fälle wie die Hakenkreuzglocke der protestantischen Kirche St. Jakob in der kleinen Gemeinde Herxheim am Berg (Rheinland-Pfalz). Unter anderem, weil die Organistin Sigrid Peters keine Lust mehr hatte, das Monstrum im Kirchturm zu beschweigen, entstand öffentliche Aufmerksamkeit.

Die Kirche und die Glocke sind städtisches Eigentum, aber Ronald Becker, der Bürgermeister der Stadt, hatte zu dem klingenden Nazifetisch in seiner Verantwortung die üblichen Ausweichargumente beizutragen:

"Die Glocke war vorher kein Problem und es wird auch in Zukunft kein Problem geben", sagte er. Der seit drei Jahren amtierende Bürgermeister fügte hinzu, die Glocke sei ein historisches Relikt, das wichtig sei, um die Geschichte, die sie umgibt, zu verstehen und zu respektieren. (…) "Die ist in dem Kirchenturm verborgen, und das wird auch so bleiben."

Ronald Becker, Bürgermeister

Ein Brief von mir an Herrn Becker aus dem Juni 2017 blieb unbeantwortet.

Nebenbei: Dass die erwähnten Beispiel alle aus Rheinland-Pfalz stammen, ist Zufall. Historischen Giftmüll dieser Art gibt es überall in Deutschland.

Deutsche Gedenkkultur

Die Nazizeit, immer die Nazizeit, nicht wahr. Gibt’s denn nichts anderes über die deutsche Gedenkkultur zu berichten? Aber sicher. Da war ja zum Beispiel auch noch der deutsche Kolonialismus. Derzeit stellt diese Sorte Vergangenheit den Anstrengungen ein Bein, mit dem sogenannten Humboldt-Forum in Berlin ein weiteres germanisches Geschichts-Disneyland in die Landschaft zu setzen.

Schon das Gebäude selbst ist ein alptraumhaftes Zwitterwesen aus einer historisierenden Fassade, die vom ehemaligen Berliner Stadtschloss abgekupfert wurde, und Gebäudebestandteilen in modernistischer Schießschartenarchitektur, wie sie bei vielen Berliner Neubauten nach 1989 Anwendung gefunden hat.

An den Rohbau ist derzeit noch eine sogenannte "Humboldt-Box" angenietet, die hauptsächlich als Werbeträger für Samsung dient, wie große Flächen der schon fast fertigen Fassade auch. Ein wahrer Kotzbrocken an Geschmacklosigkeit und geschichtspolitischer Dummheit, der schon ohne Inhalt Schwindel verursacht (Kostenpunkt: mindestens 600 Millionen Euro). Was soll in dem grandiosen Forum einmal ausgestellt werden, wenn es fertig ist? Die ethnologische Sammlung der Berliner Museen, die bis jetzt in Dahlem daheim war. Das ist eine schöne Sammlung, nur gibt es ein kleines Problem. Die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy trat aus dem internationalen Beratergremium aus, nachdem ihr klar wurde, wie im Humboldt-Forum mit der Herkunftsfrage der Ausstellungsstücke umgegangen werden sollte:

Die Architektur signalisiert, dass man Geschichte rückgängig machen kann. Doch den Leuten, die um Rückgabe gestohlener Objekte bitten, erklärt man, Geschichte lasse sich nicht rückgängig machen.

Bénédicte Savoy

Das Humboldt-Forum sollte 300 Jahre Sammeltätigkeit "mit allen den Schweinereien und Hoffnungen, die damit verbunden sind", auf den Grund gehen. "Wenn man Objekte nur ausstellt und nicht mehr intellektuell an ihnen arbeitet, sind sie tot." Die Preußenstiftung halte die Geschichte ihrer Sammlungen unter einem Bleideckel "wie Atommüll", sagte Savoy. "Das Humboldt-Forum ist wie Tschernobyl."

Mittlerweile ist die Debatte nicht mehr unter der Decke zu halten und man muss sich was einfallen lassen. Die lächerliche Idee, die Kuppel des historisch-architektonischen Pannenreaktors auch noch mit einem großen, goldfarbenen Kreuz zu verzieren, ist dann wirklich die Kirsche auf der radioaktiven Sahne

Ist das gefährlich und traurig, was da gegenwärtig in den USA stattfindet, mit einem rassistischen Präsidenten und seiner rassistischen Basis? Allemal. Allzu intensive deutsche Empörung darüber, die die Debakel der eigenen Geschichtspolitik bequem vergisst, ist nicht angebracht.