Der Amazonas trocknet aus

Globale Erwärmung und Raubbau gefährden den größten Regenwald der Erde, der sich als empfindlicher erweist, als bisher angenommen. Sein Verschwinden würde zudem den Treibhauseffekt verstärken

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Große Teile Europas und Nordamerikas stöhnen derzeit unter einer sommerlichen Hitzewelle, die nur drei Jahre nach dem Jahrhundertsommer 2003, der in Westeuropa 21.000 Todesopfer forderte, neue Rekorde verspricht. Während in einigen französischen Provinzen der Dürre-Notstand ausgerufen wurde und dort bereits 21 Tote zu beklagen sind, viele Atomkraftwerke nur noch mit verminderter Leistung fahren können, damit das Kühlwasser in den Flüssen nicht die Fische kocht, in England die Weinindustrie eine Renaissance erlebt und jenseits des Kanals der erste Olivenhain angelegt wird, kommen aus den Regenwäldern des Amazonas besorgniserregende Nachrichten. Im zweiten Jahr in Folge zeichnet sich dort eine schwere Dürre ab. Ein weiteres Jahr noch und der Wald könnte großflächig irreversiblen Schaden nehmen. Derweil verklagt in den USA der Bundesstaat Kalifornien die Bundesregierung in Washington, weil diese keine Maßnahmen zur Verminderung des Kohlendioxidaustoßes ergreift. Das Gas, das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe (Kohle, Öl, Erdgas) und in Folge von Entwaldung freigesetzt wird, ist mit einem Beitrag von etwa 50 Prozent das wichtigste der Treibhausgase, die uns den Klimawandel bescheren.

Parque Nacional da Serra da Bodoqueira. Foto: Ibama

Südamerikas gigantischer Regenwald im Amazonasbecken braucht zwar viel Wasser, aber Trockenheit kann ihm gewöhnlich wenig anhaben. Er ist nämlich nicht nur die Lunge des Planeten, sondern auch ein Riesenschwamm, der gewaltige Mengen Wasser speichern kann. Die jährlichen Trockenzeiten machen ihm daher nichts aus. Gewöhnlich ist diese irgendwann zwischen Juni und November. Das variiert von Jahr zu Jahr und von Region zu Region. Mal regnet es drei Monate lang kaum, mal bleibt der Regen auch für fünf Monate aus. Nur der Nordwesten des Regenwaldes kennt keine regelmäßigen Trockenzeiten, im Osten und Süden sind sie jedoch eine jährliche Erscheinung. Als Faustregel gilt, je weiter östlich oder südlich vom Zentrum des Beckens, desto länger die Trockenheit. Besonders während der sogenannten El-Niño-Ereignisse ist die Trockenheit ausgedehnt. Diese treten im äquatorialen Pazifik etwa alle sieben Jahre auf und bringen dort mancherlei durcheinander: Perus extrem regenarmen Küsten werden von Unwettern heimgesucht, während es anderenorts, wie eben auch im Amazonasbecken, an Niederschlag mangelt.

Doch 2005 war kein El-Niño-Jahr und auch 2006 gibt es noch keine Anzeichen. Und dennoch ist die Amazonasregion im vergangenen Jahr von einer der schwersten Dürren seit Menschengedenken heimgesucht worden (Mehr Trockenheit und Überschwemmungen in Europa). Um neun bis zwölf Meter fällt der Wasserspiegel für gewöhnlich während der Trockenheit im Amazonas und seinen zahllosen Nebenflüssen, doch im vergangenen Jahr waren es vielerorts vier oder fünf Meter mehr. Ganz im Westen konnte man einige der Nebenflüsse sogar durchwaten. Millionen Fische starben, und vielerorts waren Dörfer nicht mehr erreichbar, weil die Flüsse nicht mehr zu befahren waren. Hinzu kam eine Rekordzahl an Waldbränden. Auf dem Höhepunkt im September 2005 registrierten Satelliten 73.000 Brandherde gleichzeitig. Für die rund 20 Millionen Ureinwohner, die vom Wald, vom Fluss und von seinen Fischen abhängig sind, brach eine harte Zeit an.

In diesem Jahr, die Trockenperiode hat gerade erst begonnen, kündigt sich bereits eine Wiederholung an, berichtet der „Independent“. Das Wasser würde viel schneller als üblich fallen, schreibt Geoffrey Lean, der für das Blatt den Strom bereist hat. Im brasilianischen Bundesstaat Acre, ganz im Westen an der Grenze zu Peru und Bolivien gelegen, habe es schon seit über 40 Tagen nicht mehr geregnet. Für gewöhnlich ist dort die Trockenzeit geringer ausgeprägt als weiter im Osten.

Der Regenwald könnte schneller, als bislang vermutet, zusammenbrechen

Daniel Nepstad vom Woods Hole Institut im US-amerikanischen Massachusetts und Paulo Moutinho vom brasilianischen Instituto de Pesquisas Ambiental da Amazônia machen für die ungewöhnliche Trockenheit die hohen Wassertemperaturen im tropischen Nordatlantik und in der benachbarten Karibik verantwortlich, die 2006 Rekordwerte erreicht haben und auch für die schwerste Hurrikan-Saison seit Beginn der Aufzeichnungen verantwortlich waren. Schon in gewöhnlichen Jahren ist zu beobachten, dass im Sommer und Herbst der Nordhalbkugel über dem tropischen Atlantik die Luft aufgrund des warmen Wassers aufsteigt, während sie auf den benachbarten Kontinenten absinkt. Dadurch wird dort – sowohl über der Sahara als auch über dem Amazonasbecken – die Wolkenbildung verhindert und es kommt zur Trockenheit. Die ungewöhnliche Erwärmung der tropischen Ozeane 2006, die manche Wissenschaftler für eines der vielen Indizien des globalen Klimawandels halten, hat diesen Effekt nach Ansicht der beiden Wissenschaftler erheblich verstärkt.

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Die beiden weisen allerdings auch auf die Rolle der Entwaldung hin. Rund ein Fünftel des Regenwaldes ist inzwischen abgeholzt. Die Regierung der Arbeiterpartei in Brasilia rühmt sich zwar, gegen illegalen Einschlag hart vorzugehen, doch wurde die Zerstörungsrate lediglich auf jenes Tempo zurückgeschraubt, das schon zu Beginn des Jahrtausends üblich war. Unter anderem ist es derzeit ein Bombengeschäft, Urwald zu roden, um Soja für Europas Hühner und Schweine anzubauen (Naturraubbau am Amazonas). Der US-Konzern Cargill hat 2001 in Santarem am Amazonas einen Hafen gebaut, von dem die begehrten Bohnen verschifft werden können. Als Ergebnis verschwindet in der Nachbarschaft des Städtchens nun der Urwald in Rekordtempo und macht Feldern Platz, die auf dem nährstoffarmen Boden nur wenige Jahre bewirtschaftet werden können.

Zu den 20 Prozent gerodeten Wald kommen weitere 22 Prozent Wald hinzu, die durch das Fällen einzelner Bäume bereits deutlich geschädigt sind. Dort fehlen oft die großen, alten Bäume, die den Boden beschatten und vorm Austrocknen schützen. Zusammen ist damit fast die 50-Prozent-Grenze erreicht, die einige Wissenschaftler für einen Schwellenwert halten. Wird sie unterschritten, könnte der ganze Wald zusammenbrechen. Das hätte weitreichende Folgen: Durch seine enorme Ausdehnung kontrolliert er bis weit in den Atlantik hinein die atmosphärische Zirkulation. Im nordhemisphärischen Winter und Frühling steigt über dem Amazonasbecken, das größer ist als die USA, die feuchte Luft auf. Das führt zur großräumigen Konvergenz, die auch die Passatwinde vom Atlantik anzieht. Diese führen zusätzliche Feuchtigkeit von den Meeren heran, die die Flüsse speist. Als günstiger Nebeneffekt wird die Meeresoberfläche abgekühlt, da die Verdunstungswärme, die verdampfendes Wasser dem Meer entzieht, mit den Winden abtransportiert wird. Der Amazonas fungiert also zumindest während eines Teils des Jahres für die Nordatlantikregion als Thermostat. Fiele er aus, wäre die Meeresoberflächentemperatur noch höher und damit auch die Intensität und Entstehungs-Wahrscheinlichkeit der Hurrikane.

Wissenschaftler wie Antonio Nobre vom Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia (INPA) verweisen auf die kritische Wald-Größe, die notwendig ist, um diesen Thermostat-Effekt aufrecht zu erhalten. Computersimulationen lägen nahe, dass diese bei den erwähnten 50 Prozent der ursprünglichen Fläche liegen. Schrumpft der Wald weiter, so könnte die Entwicklung schnell auf die schiefe Ebene geraten: Die Zirkulation schwächt sich ab, der Amazonas bekommt zu wenig Feuchtigkeit. Dadurch trocknet er aus, was die Zirkulation weiter abschwächt. Am Ende bliebe nur noch eine trockene Buschlandschaft. Oder Schlimmeres.

Die Arbeit von Nepstad und Moutinho lässt vermuten, dass dieser Prozess deutlich schneller ablaufen könnte, als bisher angenommen. Sie haben in den letzten Jahren am Unterlauf des Amazonas in Tapajós untersucht, wie der Wald auf lange anhaltenden Feuchtigkeitsentzug reagiert. Dafür haben sie ein Waldstück von einem Hektar Größe mit Plastik abgedeckt, so dass kein Regen den Boden erreichen konnte. Heraus kam, wie der oben erwähnte Artikel im Independent berichtet, Folgendes: Im ersten Jahr hatten die Bäume keinerlei Probleme; im Boden war noch genug Wasser. Im zweiten Jahr trieben sie ihre Wurzeln tiefer und konnten sich weiter mit Wasser versorgen. Doch im dritten Jahr begannen vor allem die großen Urwaldriesen abzusterben. Das schützende Blätterdach, das den Boden beschattet und die unteren Niveaus des Waldes vorm Austrocknen schützt, verschwand und die Bäume rissen beim Umfallen große Lücken in die kleinere Vegetation.

Nun ist auf die letztjährige extreme Dürre wieder eine Regenzeit gefolgt, doch schon sind die Vorzeichen im tropischen Nordatlantik sowohl für die bald beginnende Hurrikan-Saison als auch für die neue Amazonas-Trockenzeit denkbar ungünstig. Die jüngsten Ergebnisse legen zumindest nahe, dass der Amazonasregenwald wesentlich sensibler ist, als bisher angenommen. Verschwindet er, werden nicht nur große Mengen zusätzlicher Treibhausgase freigesetzt, sondern es geht dem Planeten auch wesentlicher Kühlmechanismus verloren. Beides würde den Treibhauseffekt merklich verstärken, und zwar innerhalb kurzer Zeit.