Naturraubbau am Amazonas

Die Vernichtung der Regenwälder im Amazonas-Gebiet geht in atemberaubendem Tempo weiter

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Mangelnde Kontrollen, ökonomische Interessen und verantwortungslose Volksvertreter tragen zur unverminderten Geschwindigkeit der Abholzung des Amazonas-Regenwalds bei. Der brasilianischen Regierung scheint ihre vorgebliche Hingabe zur Lösung der Umweltprobleme abhanden gekommen zu sein, stattdessen werden die größten Waldvernichter hofiert. Vorgeschobener Grund ist wieder einmal das Wachstum. Denn mittlerweile existieren Soja-Varietäten, die auch im eigentlich für sie ungünstigen Tropenklima gedeihen und nun von allen Seiten ins Kernland des Amazonas vorrücken.

Satellitenaufnahme vom 6.9. 2004, die Feuer im Mato Grosso zeigt. Bild: Terra, Nasa

Die Vernachlässigung der Überwachung des Zustands der Umwelt, die Ausdehnung der Agrar-Industrie, die exzessiven Aktivitäten der Holzindustrie und politischer Druck der Verbündeten der Regierung Lula auf Umweltschutzmaßnahmen sind die Hauptgründe für das ungebremste Fortschreiten der Tragödie. Doch auch (oftmals illegale) Ansiedlungen sowie Infrastruktur-Projekte wie Staudämme und Strassen fallen ins Gewicht.

Laut Expresso verschwanden allein zwischen August 2003 und August 2004 26.130 Quadratkilometer Regenwald, eine Fläche, die ungefähr 80% des Territoriums von Belgien entspricht. Diese Zahlen bringen Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in Verlegenheit; die brasilianische Regierung zog es deshalb vor, damit erst nach einigem Zögern an die Öffentlichkeit zu treten. Gemäß WWF beläuft sich die Gesamtfläche der bisherigen Entwaldung auf 680.000 Quadratkilometer (das übersteigt die Territorialfläche Frankreichs) – 17% des Regenwalds sind bereits verloren.

Die Schwäche der Regierung der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores – PT) in der Umweltpolitik überrascht die Brasilianer nicht zum ersten Mal, weitere Beispiele sind bekannt (Rio São Francisco - Lulas Transamazônica?). Als Oppositionspartei verteidigte sie vehement harte Maßnahmen zum Schutz der Wälder. Die gegenwärtige Umweltministerin Marina Silva verkörpert dieses Dilemma und wird für die Regierung mehr und mehr unhaltbar. Erst verlor sie die Schlacht um die Genehmigung transgener Pflanzen, die nun dank Biosicherheitsgesetz (unter Kritikern auch „Monsanto-Gesetz“ genannt) rechtmäßig“ in Brasilien verankert ist – bis hin zur von Monsanto gewünschten Rücknahme juristischer Entscheidungen betreffs des Verbots der Kommerzialisierung transgener Sojapflanzen. Und das vor einem Jahr verabschiedete Programm (Plano de Acção para a Prevenção e Controle do Desmatamento, kurz: „Desmate“), das der Zerstörungswut im Amazonas-Regenwald begegnen sollte, wurde nie umgesetzt.

Soja-König Blairo Maggi: Ein ungekrönter König der Entwaldung

Als einer der Hauptverantwortlichen der Abholzung gilt das Wachstum in der Agrarindustrie, insbesondere in der Viehzucht und auf dem Sojasektor. Im Gefolge von BSE stieg die Nachfrage nach Sojamehl enorm. Doch das ist nur eine Facette, die den Soja-Boom in Brasilien erklärt. Im letzten Jahr brach dieses Segment alle Rekorde und schloss mit einem Exportsaldo von 34,1 Milliarden US-Dollar. Da das gleichzusetzen ist mit Wachstum, sah die Regierung von den eigentlich angedachten Schutzmaßnahmen ab.

So ist es auch nicht verwunderlich, das sich 48% der abgeholzten Regenwald-Fläche im Bundesstaat Mato Grosso befinden, der vom weltgrößten Sojaproduzenten Blairo Maggi als Gouverneur regiert wird. Seit er an der Macht ist (ab Januar 2003), werden verstärkt Eingriffe in Gebieten, die als Schutzgebiete oder indigene Reservate für traditionelle Produzenten klassifiziert sind, registriert. Maggis Unternehmen verzeichneten allein im Jahr 2004 eine Erhöhung der Gewinne um 28% - damit wurde die 500 Millionen US-Dollar-Marke überschritten.

Bild: Corpwatch

Das Justizwesen von Mato Grosso vermutet unterdessen Korruption bei der Konzession von Umweltlizenzen zur Bewirtschaftung der Wälder an die Farmer der Region. Betrugsfälle bei der Ausstellung von Nutzungsgenehmigungen durch Regierungsstellen sind bekannt. Maggi selbst weist jede Verantwortung von sich und benennt vielmehr illegale Holzfäller als die wahren Schuldigen.

Soja-Anpflanzung in Mato Grosso, im Hintergrund Regenwald-Überreste. Bild: WHRC

The Independent berichtete kürzlich von Absichten des Unternehmens, die Anbaufläche in kurzer Zeit zu verdoppeln, doch Maggi streitet das ab. Obwohl er keine Bedenken hinsichtlich der fortschreitenden Entwaldung zu haben scheint:

To me, a 40 per cent increase in deforestation doesn't mean anything at all, and I don't feel the slightest guilt over what we are doing here. We are talking about an area larger than Europe that has barely been touched, so there is nothing at all to get worried about.

Eine Straße im Urwald und das Versagen der Politik

Die Regierung Lula hat nun außerdem eines der Hauptprojekte der Militärdiktatur neu aufgelegt – den Bau einer Fernverkehrsstraße durch das Amazonasgebiet, die in den 1970er Jahren als Bestandteil der Transamazônica geplant war. Unter den an diesem Megaprojekt stark interessierten Unternehmen finden sich neben Maggi auch andere große Agrarkonzerne wie Bunge und Cargill. Die im Volksmund „Straße der Zwietracht“ genannte Verkehrsader soll Cuiabá in Mato Grosso mit dem Tiefwasser-Hafen von Santarém am Amazonas in Pará verbinden.

Korn-Terminal von Cargill am Amazonas in Santarém. Bild: WHRC

(http://www.whrc.org/southamerica/agric_expans.htm ))

Von den 1.750 Kilometern sind bisher 800 Kilometer asphaltiert. Eine Studie des Instituto de Pesquisas Ambientais da Amazónia (IPAM) zu den Auswirkungen und Folgen des Straßenbauprojekts geht davon aus, dass nach Abschluss der Arbeiten 40% der ursprünglichen Bewaldung rechts und links der Straße innerhalb der nächsten 20 Jahre verschwinden und damit die Entstehung neuer Agrarflächen erleichtert wird.

Doch auch verheerende soziale Folgen werden prognostiziert: Die bereits eingesetzte unkontrollierte Migration wird unter Umständen den Kollaps der Bildungs- und Gesundheitssysteme im Westen Parás und im Norden von Mato Grosso nach sich ziehen. Das Hauptargument der Regierung für die Durchsetzung dieses Projekts ist die Kostensenkung der Sojaausfuhr hin zu den externen Märkten (der Transport erfolgt bisher auf dem Wasserweg über die Madeira-Amazonas-Route zum Hafen von Itacoatiara, die erst 1997 eröffnet wurde), und zwar um bis zu 50%. Das entspräche einer jährlichen Einsparung von 40 Millionen US-Dollar. So verkommt die Regierung zum Erfüllungsgehilfen der Großagrarier.

Der Koordinator der Amazonas-Kampagne von Greenpeace, Paulo Adario, ist der Meinung, die Zahlen zur Abholzung würden belegen, dass der Plan der Regierung „Desmate“ nach wie vor nicht greift. Adario vermisst die Unterstützung innerhalb der Regierung zum Schutz der verbliebenen Wälder - diese Unterstützung wird stattdessen an die Agrarwirtschaft weitergereicht, die mit der Ausweitung von Viehzucht und Soja-Monokulturen die Abholzung weiter vorantreibt.

Die schlechten Ergebnisse der Umweltpolitik der Regierung veranlasste die Grüne Partei (Partido Verde – PV), ihre Unterstützung für Lula zurückzuziehen. Für die Grüne Partei stellt die gegenwärtige Situation ein Zurückweichen noch hinter die Positionen der Vorgängerregierung unter Präsident Fernando Henrique Cardoso dar.