Der Angriff des Öko-Renegaten

Zum Bestsellerautoren scheint berufen, wer a) Däne ist und b) sich etwas richtig Abstruses einfallen lässt. Z. B., dass es der Natur besser als je zuvor geht

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Wer heute ein Buch verkaufen will, muss entweder Skandinavier sein und Krimis schreiben können oder irgendetwas Bizarres behaupten, à la "Hitler war schwul" oder "alle Deutschen fanden den Holocaust toll" oder "eine Geheimgesellschaft bewacht den Heiligen Gral"

Bjørn Lomborg - Professor, jung, gutaussehend und Bestsellerautor. Leider gibt es laut Telegraph dennoch keine Hoffnung für die Frauenwelt - s. Haupttext)

Gemeint ist Bjørn Lomborg, der mit seinem Buch The Skeptical Environmentalist: Measuring the Real State of the World nicht nur viel Furore machte, sondern auch den Platz Nr. 34 in den Amazon.com-Verkaufsrängen (Stand: 5.2.2002). Lomborg lässt wenig Themen aus: Bevölkerungsentwicklung, Klimaveränderung, Artenausrottung, Brustkrebs etc. p. p. Überall erfährt der besorgte Leser, das alles halb so wild sei, nein vielmehr, dass es noch nie so toll war. Es gibt kompetentere Leute als den Autor dieses Beitrags, um Lomborgs Thesen wissenschaftlich zu verifizieren bzw. falsifizieren. Es ist zwar erfreulich, dass viele Axiome der Global-Kassandren einer Prüfung unterzogen werden (schon die Generation unserer Eltern lernte wie wir in der Schule, dass in 40 Jahren das Eröl aus sein werde), aber dass bei Lomborg wirklich alles "gut" wird, muss zu großer apriorischer Skepsis mahnen. Seine Kritiker werfen ihm vor allem vor, dass er sehr viele seiner Thesen auf Zeitungsartikel und sekundäre Darstellungen stützt und dass er bei allzu vielen Problemen sagt, dass sie harmlos seien, man müsse sie nur "managen". Genau das ist der Knackpunkt: Kaum jemand will behaupten, dass die Welt verloren sei - alle streiten nur darüber, was man wie "managen" muss, um die Sache nicht aus dem Ruder laufen zu lassen.

Prima facie scheint es sich eben um eines dieser Hype-Bücher zu handeln, die keine weitere Aufmerksamkeit verdienen, denn jeder Artikel darüber füllt nur den Geldbeutel des Schreiberlings. In der Tat ist die Sache PR-mäßig gut vorbereitet: Lomborg war Greenpeace-Mitglied und angeblich Umweltaktivist. Das freut den Klappentextschreiber.

Und der Pressehype ist das eigentlich Lustige. Öko oder nicht Öko - darüber können anscheinend selbst Journalisten wichtiger Organe ausflippen, als ginge es um die Zugehörigkeit zu einem Fußballverein.

telegraph.co.uk, die Internet-Site des Daily-Telegraph-Verlags, gehört zu den Paladinen, die sich der Lomborg-Apologie angenommen haben. Unter dem Titel "Anti-Christ der grünen Religion" (wollen wir hoffen, dass keinen militanten Moslems telegraph.co.uk lesen, ansonsten könnte Lomborg Probleme kriegen) wird dort Lomborg zum Märtyrer hochstilisiert, der die Wahrheit sagt, auch wenn man ihm einen Alaska Pie ins Gesicht wirft, der es erdulden muss, von "Nature" mit Leute verglichen zu werden, die behaupten, dass Schwule nicht an AIDS sterben, obwohl er selbst schwul ist.

"Wenigstens schmeckt er gut!" - Schlagfertig, wer auch mit Pie im Gesicht die Fassung nicht verliert

Genauso wenig vornehm britisch zurückhaltend geriert sich die BBC, die jedoch ins Lager der Lomborg-Gegner gehört. Es ist durchaus eine Kunst, einen Artikel dieser Länge über ein Buch mit vielen angreifbaren Thesen zu schreiben, ohne auch nur den Hauch brauchbarer Kritik an Lomborg zu üben.

Die direkte Gegner-Fraktion inklusive Pie-Werfer haben die Site www.anti-lomborg.com geschaffen, mit vielen Links auf Artikel - die aber auch kaum ein substantielle Widerlegung dessen bieten, was Lomborg behauptet hat.

Symptomatisch sind die Erwiderungen einiger dänischer Wissenschaftler, die sich weitgehend auf ein "der hat aber nicht recht" beschränken. Noch dazu sind die Antworten sämtlich als PDF im Netz - wollen wir hoffen, dass diese Leute von ihren Fachgebieten mehr verstehen als von Usability.

Auf urban75.com, einer professionellen Untergroundsite mit einem Faibel für bewusstseinserweiternde Medikamente, beschreibt man Lomborg so:

Lomborgs Ausbildung als Statistiker ihm das Rüstzeug, um durch die Manipulation von Zahlen zu lügen und sich so an die Anti-Umweltschutzbewegung dranzuhängen.

Diese Argumentation - seine wissenschaftliche Ausbildung als Statistiker macht ihn zum besseren Lügner - zeugt von ungefähr so viel Weltoffenheit, wie sie der alte Mönch beim "Namen der Rose" besaß, der Angst vor dem Einfluss böser Schriften hatte.

Fazit: Wer auf 350 Seiten und mit mehr als 3.000 Fußnoten behauptet, alles sei gut, hat bessere Erwiderungen als ein paar Beschimpfungen und einen "Alaska Pie" verdient. In vielen Dingen übertreibt Lomborg offensichtlich, in mancher Einzelheit wird er dagegen auch Recht haben. Eine 1. fundierte und 2. unvereingenommene Rezension, die nicht nur Einzelpunkte aufgreift und damit ein Urteil über das ganze Buch fällt, täte Not. Aber derzeit scheint die journalistische wie die wissenschaftliche Welt in Lomborg-Jünger und -Hasser zu zerfallen.