Der Anteil der Natur an der Rechtswendung der Gesellschaft

Kreidezeitlicher Flugsaurier und neuzeitlicher Flughund im Naturkundemuseum Venedig. Bild: Ricardolovesmonuments / CC-BY-SA-4.0

Natur- und Umweltschutzrhetorik dient der Neuen Rechten als Türöffner. Was tun? Ein Interview

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Erstarken einer neuen radikalen Rechten, die Naturschutzthemen bespielt, war 2017 der Anlass zur Gründung der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN), einem gemeinschaftlichen Projekt der NaturFreunde und Naturfreundejugend Deutschlands. Die Organisationen stehen in der Tradition der Arbeiterbewegung und waren in der Nazi-Zeit verboten. FARN stellt sich der Aufgabe, mit Präventions- und Bildungsarbeit inhumanen Denkmustern im Bereich des Natur- und Umweltschutzes entgegenzuwirken. Fragen an Yannick Passeick, Bildungsreferent bei FARN.

Wie haben sich nach Ihrer Beobachtung die rechten Einflussversuche auf die Umweltschutzbewegung in der letzten Zeit entwickelt?.
Yannick Passeick: In der letzten Zeit sind rechte Einflussversuche im Kontext der starken Präsenz ökologischer Themen wie der Klimakrise, mit Fridays for Future und den Wahlerfolgen der "Grünen" deutlich stärker zu beobachten. Das Klima-Thema wurde bisher eher ignoriert oder als Mythos abgetan, aber nun primär in der Neuen Rechten verknüpft mit bevölkerungspolitischen und migrationsfeindlichen Ansätzen.
Das zeigt sich auch publizistisch: Aus dem Umfeld der Identitären und "1 Prozent" gibt es nun eine rechte Öko-Zeitschrift mit dem Namen "Die Kehre", wo der völkische Heimatschutz mit neurechter Philosophie von Heidegger und Jünger wiederbelebt werden soll. Prominenter Leser übrigens: Björn Höcke. Außerdem finden sich im Bereich des Ökolandbaus Versuche einer "rechten Landnahme" völkischer und rechtsesoterischer Kräfte.
Yannick Passeick. Bild: NaturFreunde Deutschlands
Vor einiger Zeit ist ein Schlagwort aufgekommen, das schon in der Gründungsphase des institutionellen Naturschutzes um 1900 diesen untermauern sollte: der Heimatschutz. Ändert die neuerliche Berufung auf Heimat etwas an der gesellschaftlichen Einstellung zur Natur?
Yannick Passeick: Heimatschutz kann als politischer Begriff nur als reaktionär und exkludierend verstanden werden. Wie beim Naturverständnis der entsprechenden Heimatschutzbewegung um 1900 werden Kategorien wie Heimat, Natur und Volk als deterministisch verbundene Einheiten verstanden. Daraus lässt sich dann Migrationsfeindlichkeit ökologisch erklären, und Heimatschutz steht sowohl für eine Naturschutzprogrammatik als auch für Regionalisierung und Abschottung. Nun wird "Heimat" in der breiten Gesellschaft nicht überall als Heimatschutz verstanden und ist oftmals auch lediglich ein Marketingmittel. Es bietet aber einen guten Anknüpfungspunkt für eine rechte Argumentation.
Zum Naturschutz gehört seit langem die Debatte über die Überfremdung der einheimischen Flora und Fauna durch ausländische "Invasoren". Was halten Sie von der Diagnose des Vegetationsgeographen Gerhard Hard, dass es sich gar nicht um ein ökologisches Drama, sondern um ein Psychodrama handele? Die Ängste schlummern in den Menschen selbst.
Yannick Passeick: Angst vor dem Fremden und Abschottung des Eigenen spielen in dieser Debatte sicherlich eine große Rolle. Biologismen werden für gesellschaftliche Fragen bemüht und andersherum gesellschaftliche Wünsche auf die Flora und Fauna übertragen. Ich halte beides für gefährliche Vereinfachungen.
Die Umweltschutzbewegung ist nach wie vor "links" oder "alternativ" konnotiert. Erschwert diese Etikettierung die Wahrnehmung, dass rechte Gruppen und Ideologien auf dem linken Ticket allmählich in die Naturschutz-Verbände und -vereine vordringen? Verwirrt das nicht vor allem jüngere Mitgliedern etwa der Naturfreundejugend, und werden sie dadurch anfällig für völkische oder rassistische Ideologien?
Yannick Passeick: In unserer Bildungsarbeit mit jungen Menschen erleben wir immer wieder genau diese Annahme und eine große Verwunderung darüber, dass diese Annahme nicht immer zutrifft. Im Zuge der Corona-Proteste wird in der Öffentlichkeit immer deutlicher, dass der Begriff "alternativ" nicht unbedingt "links" heißen muss. Teile der alternativen Milieus mit esoterischer Ausrichtung zeigen, wie weit sie von Rationalität und dem Einsatz für Menschenrechte entfernt sind. Die Gefahr bleibt aber bestehen, wenn sich beispielsweise Öko-Projekte der antisemitischen Anastasia-Bewegung zuordnen. Hier hilft dann vor allem Aufklärung und Sensibilisierung in den Umweltschutzverbänden, sowie eine inhaltliche Auseinandersetzung, um das eigene demokratische Selbstverständnis zu befördern.
Welche Rolle spielt "Querfront" bei dieser Amalgamierung linker und rechter Positionen? Können Sie den Begriff aus Ihrer Sicht erläutern? Haben Sie Beispiele für die Wirkungsweise des "Prinzips Querfront" heute?
Yannick Passeick: Querfront beschreibt meist die Zusammenarbeit von politischen Kräften zu einem bestimmten Thema, die sich in anderen Fragen entschieden gegenüberstehen. Ob als Argumentationsmuster oder als tatsächliche Zusammenarbeit taucht das im Kontext Natur-, Tier- und Umweltschutz immer wieder auf. Dann heißt es sinngemäß: "Hauptsache für die Tiere/Natur/Umwelt/Erde".
Aus linker Perspektive lässt sich damit nichts erreichen. Ein recht aktuelles Beispiel einer Querfrontstrategie findet sich beim "Extinction Rebellion"-Mitgründer Roger Hallam und seiner Einladung an Rassist*innen, sowie seiner Holocaustrelativierung. Subtiler verläuft es in manchen Bürgerinitiativen gegen Windräder, Mastanlagen oder Schlachthöfe. Dort docken rechte Akteur*innen an und verbreiten dann ihre Ideologie.

Echokammern und die Erreichbarkeit von Jugendlichen durch Bildungsarbeit

Welche rechten Gruppierungen haben Sie bei Ihrer Arbeit am ehesten im Fokus, welche stufen Sie - vor allem in der Wirkung auf Jugendliche - am riskantesten ein?
Yannick Passeick: Die Identitären - auch wenn sie sich gerade im Auflösungsprozess befinden - scheinen uns für die Arbeit am riskantesten, weil sie objektiv gesehen wirkungsvoll arbeiten. Umweltschutz wird mit "Heimatliebe" modern verpackt, Aktionen medial gekonnt inszeniert. Mit Martin Sellner befindet sich dort außerdem einer der größten Influencer des rechten Spektrums an der Spitze. Neonazi-Organisationen wie der Dritte Weg, der Sturmvogel oder der Freibund dürften dagegen durch ihr martialisches Auftreten eher abschreckend wirken. Auch rechte Siedlungsbestrebungen auf dem Land können potenziell harmlos wirken und daher eine Gefährdung darstellen.
Das Corona-Virus schränkt die grundgesetzlich verbürgte Freiheit ein. Dagegen artikulierte sich öffentlich Widerstand, der von Verschwörungstheoretikern über Parteigänger der Grünen, der Linken, der FDP bis zu den Reichsbürgern getragen wurde. Sind die traditionellen politischen Lager hinfällig? Weiß man überhaupt noch, wo der politische Gegner zu verorten ist?
Yannick Passeick: Ich glaube nicht, dass die traditionellen politischen Lager hinfällig sind. Aber womöglich zeigt sich eine Verschiebung von Schwerpunkt- und Konfliktlinien von solidarischen und weltoffenen Ideen auf der einen Seite und egoistischen (seltsamerweise mit der Selbstbezeichnung liberal) und abschottenden Ideen auf der anderen Seite. Bei den Protesten warben ja plötzlich dieselben Menschen für das Grundgesetz, was sie wenige Wochen zuvor noch als ungültig bezeichnet haben. Grundsätzlich gilt meiner Meinung nach, dass die Orientierung an den allgemeinen Menschenrechten inklusive globaler Solidarität ein guter Indikator ist, an dem sich politische Kräfte einteilen lassen.
Die globale Bevölkerungsexplosion führe zwangsläufig zum Raubbau an der Natur, ist eine der Argumentationslinien. Starke Zersiedelungsprobleme hat auch unser Land. Setzte bei Teilen der Umweltbewegung 2015 ein latenter Stimmungsumschwung zu Ungunsten der Flüchtlinge ein?
Yannick Passeick: Zum einen halte ich das Wort "Bevölkerungsexplosion" für entmenschlichend, zum anderen hat der Diskurs über Bevölkerungszahlen die Umweltbewegung seit Jahrzehnten mitgeprägt. 2015 gab es in der gesamten Bevölkerung viel Solidarität und wenig später viel Ablehnung gegenüber Geflüchteten. Die Umweltverbände haben sich mit ihren über 10 Millionen Mitgliedern solidarisch gezeigt, aber als Abbild der Gesamtgesellschaft wird es auch dort Abweichungen gegeben haben. Solche Stimmungen sind jedoch in den meisten Verbänden auf Landes- oder Bundesebene nicht mehrheitsfähig. Das zeigt sich auch an den zahlreichen Projekten mit Geflüchteten im Natur- und Umweltbereich.
Rechtsextremismus im Internet breitet sich flächendeckend aus, versetzt mit illiberalen spiritualistischen Ideen und mystischen Natur-Vorstellungen. Kommt Bildungs- und Präventionsarbeit überhaupt noch an die neuen Medien und deren babylonisches Sprachgewirr heran?
Yannick Passeick: Bildungs- und Präventionsarbeit muss für eine effektive Arbeit mit bewährten und innovativen Mitteln vorgehen. Viele Projekte setzen auf digitale Formate, um junge Menschen in ihrer Online-Lebenswelt zu erreichen. Damit lassen sich allerdings auch nicht diejenigen erreichen, die sich schon in rechten Echokammern befinden. Also braucht es zusätzlich den Ansatz der lokalen Arbeit über Vereine und Schulen. Die Kombination ist vielversprechend, aber letztlich muss sich die Präventionsarbeit an den Erfolgen messen lassen. Wir verfolgen mit unserem Projekt "NaturSchutzRaum" beispielsweise einen solchen zweigeteilten Ansatz, sowohl über Online-Angebote Studierende in den grünen Berufen zu sensibilisieren, als auch durch die Ausbildung von Multiplikator*innen im ländlichen Raum rechtsextrem gefährdete Jugendliche zu erreichen.
Ist es schon vorgekommen, dass jugendliche Mitglieder Ihres Vereins nichtsahnend oder vollbewusst rechtsextremes Gedankengut zum Besten geben? Wie würde dann verfahren?
Yannick Passeick: Es kann durchaus vorkommen, dass Jugendliche nichtsahnend diskriminierende Aussagen tätigen. Dann ist es wichtig, einerseits Haltung zu zeigen und solche Aussagen zu verurteilen, andererseits aber respektvoll auf die Person zuzugehen und das Gespräch zu suchen. Im Gespräch kann dann gefragt werden, woher dieser Gedanke kommt und thematisiert werden, was daran problematisch ist. Zu dieser Erkenntnis müssen junge Menschen dann selbst gelangen. Bei einer vollbewussten Äußerung extrem rechten Gedankenguts kann bei mangelnder Einsicht und Gesprächsbereitschaft letztlich mit Verweis auf die Satzung deutlich gemacht werden, dass die Person in dem Verband keine Zukunft hat.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.