"Der BND könnte gerade bei den hochprofessionellen Russen zunächst einmal Lehrgeld zahlen"
Interview mit dem Geheimdienstkritiker Erich Schmidt-Eenboom über die geplante Gegenspionageeinheit des BND
Nach Informationen des Spiegel soll der BND eine "schlagkräftige Truppe" ausbauen, "um ausländische Geheimdienste auszuspionieren". Dabei ist ausdrücklich von "Gegenspionageaktivitäten" die Rede, die man nach Ende des Kalten Kriegs eingestellt habe. Hauptgegner sind wieder die Russen. Im Spiel gegen den "Hauptfeind", wie es damals im Jargon hieß, blieben die westlichen Dienste damals immer nur "zweiter Sieger". Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom beobachtet den BND seit Jahrzehnten (und umgekehrt).
Wie definiert der BND "Gegenspionage"?
Erich Schmidt-Eenboom: Gegenspionage definiert der BND als "offensive und defensive Geheimdienstoperation zur Spionagebekämpfung z.B. in Form von Gegenspielen". Gegenspiele wiederum sind Operationen "mit einem überworbenen Agenten, unter Verwendung von Spielmaterial". Die Gegenspionage gilt als die Königsdisziplin nachrichtendienstlichen Handelns.
Welche Gegenspionage-Operationen hatte der BND im Kalten Krieg gegen östliche Geheimdienste geführt und wie erfolgreich waren diese?
Erich Schmidt-Eenboom: Schon Reinhard Gehlen scheute die Gefahr, bei der Arbeit mit Doppelagenten gegen östliche Nachrichtendienste in eine Falle zu tappen. Erst BND-Präsident Klaus Kinkel (1979 - 1982) setzte auf die so genannte "Umweganbahnung" bei der Auslandskader der Warschauer Vertragsstaaten - darunter auch Nachrichtendienstler - im westlichen oder neutralen Ausland zum Überlaufen oder für eine Doppelagententätigkeit angeworben werden sollten.
Es gab einige gescheiterte Versuche, beispielsweise einen "cold approach", bei dem ein sowjetischer Geheimdienstoffizier in Wien in einen Unfall verwickelt wurde, um ihn zu einem spontanen Übertritt in die Bundesrepublik zu verleiten. Der größte Erfolg der GS gegen den KGB war die Quelle "Viktor", ein KGB-Oberst, der jedoch 1985 wegen drohender Enttarnung aus Moskau fliehen musste. Doch "Viktor" war ein Selbstanbieter und nicht Erfolg einer aktiven Maßnahme des BND.
Der BND war selbst im Kalten Krieg mit Doppelagenten durchsetzt. Ist angesichts der Tatsache, dass die Existenz einer Gegenspionage-Einheit nun bereits im embryonalen Zustand durchgesickert ist, mit ausreichender Operationssicherheit zu rechnen?
Erich Schmidt-Eenboom: Ob es durchgesickert ist oder als Warnschuss durchgestochen wurde, möchte ich offen lassen. Das neue Referat soll laut Spiegel von einer erfahrenen Beamtin aus der Sicherheitsabteilung geleitet werden. Nun gibt es im Personalplafond des BND nur so wenige weibliche Spitzenkräfte in der Sicherheitsabteilung des Dienstes, dass ihre Identität dem nachrichtendienstlichen Gegner nicht lange verborgen bleibt, so dass sie bald in deren Visier geraten wird. Auf jeden Fall ruft diese Veröffentlichung gegnerische Dienste auf den Plan.
Gab es in den letzten Jahren strategische Maßnahmen östlicher Dienste, den BND zu infiltrieren?
Erich Schmidt-Eenboom: Es bedarf keiner großen Strategie, denn die östlichen Nachrichtendienste betrachten es als integralen Bestandteil ihrer Arbeit, westliche Geheimdienste zu infiltrieren. 2003 wurde ein solcher erfolgreicher Angriff öffentlich: Der Leitende Regierungsdirektor mit dem Decknamen Humbach war als Resident des BND in Sofia in eine Honigfalle gelockt worden. Als er nach seiner Rückkehr nach Pullach zum Leiter des Beschaffungsreferats Donauraum aufstieg, reiste ihm seine Agentenführerin Mariana Dimowa nach und wurde als stellvertretende Generalkonsulin in München abgetarnt. Im Oktober 2003 wurde Humbach nach Ermittlungen des GBA wegen Spionage für den bulgarischen Nachrichtendienst festgenommen.
Die hohe Kunst, zwischen herangespielten Doppelagenten und echten Überläufern zu unterscheiden
Wie werden die Russen auf die Einrichtung einer solchen Einheit politisch und geheimdienstlich reagieren?
Erich Schmidt-Eenboom: Politisch ist das eine Marginalie, die im Kreml allenfalls zur Kenntnis genommen wird. Bei der defensiven Gegenspionage wird es keine Verschärfung der Abwehrmethoden geben, da die russischen Dienste sich schon seit langem vornehmlich britischen Angriffen ausgesetzt sehen, die vielfach erfolgreich waren. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz haben die Leiter der Auslandsnachrichtendienste Frankreichs, der Bundesrepublik und Großbritanniens betont, dass es trotz des Brexits einer engen Geheimdienstkooperation bedarf. Es ist daher möglich, dass der BND bei seiner neuen Aufgabe Partnerdiensthilfe vom darin erfahrenen MI 6 genießt.
James Jesus Angleton, Spionageabwehrchef der CIA von 1949 bis 1974, ging davon aus, dass es sich bei nahezu allen sowjetischen Überläufern nicht um echte Verräter handelte, sondern dass diese von Moskau geschickt worden waren, um Desinformationen zu verbreiten und Verwirrung zu stiften. Bei der offensiven Gegenspionage könnten die russischen Dienste auch heute versucht sein, mit einer so genannten Blickfeldmaßnahme einen vorgeblich absprungwilligen Geheimdienstoffizier an den BND heranzuspielen, um dem neuen Gegner einmal auf den Zahn zu fühlen. Die hohe Kunst wird es sein, zwischen herangespielten Doppelagenten und echten Überläufern zu unterscheiden. Da könnte der BND gerade bei den hochprofessionellen Russen zunächst einmal Lehrgeld zahlen. Wie sagte der ehemalige BND-Präsident Gerhard Schindler: "no risk, no fun."
Die entsprechende Einheit soll eng mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz verzahnt werden, das im Gegensatz zum BND innerhalb Deutschlands operativ tätig werden darf. Welche Risiken birgt eine solche Verzahnung von Inlands- und Auslandsnachrichtendienst?
Erich Schmidt-Eenboom: Es geht nicht um Verzahnung, sondern um Aufgabenteiligkeit. Das BfV muss mit seinen Kapazitäten Nachrichtendienstler gegnerischer Staaten nicht nur aufklären, sondern auch auf ihre Absprungbereitschaft abklären, den BND mithin auf Zielpersonen aufmerksam machen. Ob der Mut zum Risiko dann so groß ist, dass der BND potentielle Überläufer aus den russischen, chinesischen, iranischen oder gar nordkoreanischen Diensten auf deutschem Boden anspricht, möchte ich bezweifeln. Eher wird er es in westlichen oder neutralen Staaten tun, schon um den Gegner über die Nationalität des abwerbenden Dienstes im Unklaren zu lassen. Obwohl Deutschland nicht mehr Frontstaat ist, wird der Dienst nach dem Abschöpfen eines Überläufers die Zusammenarbeit mit westlichen Partnern suchen, um die durch Racheattentate gefährdeten Überläufer mit neuer Identität sicher unterzubringen, vorzugsweise wohl in den weitläufigen USA.
Während ausländische Geheimdienste in der jeweils heimischen Bevölkerung patriotischen Rückhalt genießen und romantisiert werden, blieb dem BND bislang die Akzeptanz weitgehend versagt. Könnte diese neue Einheit das Image des BND aufpolieren?
Erich Schmidt-Eenboom: Das neue, bald 50köpfige Gegenspionage-Referat wird den Teufel tun, erfolgreiche Gegenspionageoperationen an die große Glocke zu hängen. Es muss methodisch neue, einfallsreiche Wege gehen und über Jahrzehnte gewährleisten, dass seine Methoden geheim bleiben, um weiterhin wirksam zu sein. Insofern ist es völlig ungeeignet, um das Image des BND zu verbessern. Allenfalls seine bloße Existenz könnte als ein Aufbruchssignal wirken, dass der BND seine traditionelle Risikoscheu zu überwinden sucht.