Der Dino mit den Sichelkrallen wird zahm
Momentaufnahme der Evolution: ein Fleischfresser auf dem Weg zum Vegetarier.
Paläontologen des Utah Geological Survey, Salt Lake City, und des Utah Museum of Natural History an der Universität von Utah haben ein neues Mitglied der Therizinosaurier-Familie entdeckt. Seine fossilen Überreste dokumentieren die Entwicklung einer fleischfressenden Saurierart hin zur vegetarischen Ernährung. Sie berichten in der aktuellen Ausgabe von Nature.
Rätselhaft und bizarr
Die Therizinosaurier sind eine immer noch ziemlich rätselhafte Dinosaurierart. Man hat ihre Überreste überwiegend in Asien gefunden, jedoch immer in äußerst fragmentarischer Form. Ihre Anatomie unterscheidet sich so stark von denen der anderen Dinosaurier, dass man lange nicht wusste, wie man sie einordnen sollte. Mittlerweile schlägt man sie den Theropoden zu.
Die Therizinosaurier besaßen lange Hälse und extrem lange Arme mit ausgeprägten Klauen, sie sehen damit so merkwürdig aus, dass man sie als frühzeitliche Wolpertinger bezeichnen könnte. Lindsay E. Zanno vom Utah Museum of Natural History bezeichnet sie als
das Äußerste an Bizarrheit, eine Kreuzung zwischen einem Vogelstrauß, einem Gorilla und Edward mit den Scherenhänden.
Killer Dinosaurs Turned Vegetarian
Der Glücksfund
Zanno und ihr Kollege James I. Kirkland vom Utah Geological Survey haben nun ein neues Exemplar dieser Dinosaurierfamilie ans Tageslicht gehoben. Falcarius utahensis, wie ihn die Forscher aufgrund seiner sichelförmigen Krallen und des Fundortes in der Cedar Mountain Formation in Utah tauften, ist ungewöhnlich vollständig erhalten: 1.700 Knochenstücke wurden von ihm geborgen, damit ist er zu 90 Prozent erhalten, lediglich vom Kopf fehlen einige Teile.
Die beiden Paläontologen schätzen ihn auf ein Alter von 125 Millionen Jahren und beschreiben ihn als ein zierliches Tier, das auf zwei Beinen ging, eine Hüfthöhe von ungefähr anderthalb Meter erreichte und eine Länge von vier Metern. Im Stammbau der Therizinosaurier siedeln sie ihn ganz unten an, als den anatomisch primitivsten seiner Familie. Trotzdem ist seine Entdeckung ein wahrer Glücksgriff: denn Falcarius hat zwar noch viele Gemeinsamkeiten mit seinen fleischfressenden Verwandten, er weist aber bereits Merkmale auf, die ihn auf einem guten Weg hin zu einer weiter entwickelten vegetarisch lebenden Art zeigen.
Viel Volumen im Bauch
„Das Tier ist das Missing Link zwischen den kleinen Jagddinosauriern und den hoch spezialisierten und bizarren pflanzenfressenden Therizinosauriern“, kommentiert Kirkland den Fund. Zu den Indizien für den evolutionären Wandel gehören die blattförmigen Zähne, die sich besser zum Zerkauen von Blättern eignen. Das Becken ist breiter, es enthält also mehr Platz für einen voluminösen Verdauungstrakt, wie er zur Verdauung pflanzlicher Nahrung erforderlich ist. Seine Beine waren offenbar eher kurz und stummelig, ein Hinweis darauf, dass er nicht mehr hinter lebender Nahrung herflitzen musste, sondern sich eher gemächlich fortbewegte und einen schwerfälligeren Körper transportierte.
Verglichen mit seinen fleischfressenden Verwandten, war sein Hals länger, die Arme flexibler – vielleicht konnte er damit schon nach Pflanzen greifen. Wie die Forscher spekulieren, könnte der Aufstieg der Therizinosaurier auch direkt mit der Verbreitung blühender Pflanzen vor rund 125 Millionen Jahren zusammenhängen.
Eine amerikanische Dinoart?
Die ersten Therizinosaurier-Exemplare wurden in China und der Mongolei gefunden. Erst Ende der 90er-Jahre wurde in Nordamerika 90 Millionen Jahre alte Nothronychus ausgegraben. Ursprünglich hielt man die Therizinosaurier daher für asiatische Urgewächse, die über eine Landbrücke von Asien über Alaska in den amerikanischen Südwesten wanderten. Da sich Falcarius nun aber bereits vor 125 Millionen Jahren in Nordamerika herumtrieb, könnte es womöglich auch genau anders herum gewesen sein. Da es Alaska zu dieser Zeit noch nicht gab, fragen sich die Wissenschaftler, ob diese Saurierart nicht vielleicht in Nordamerika entstand und über Europa nach Asien wanderte.
Ein schlechtes Gewissen
So bemerkenswert die neue Dinosaurierart ist, so ungewöhnlich ist auch die Geschichte ihres Fundes. Sie zeigt wieder einmal, von welchen kuriosen Zufällen wissenschaftlicher Fortschritt manchmal abhängt: Im Jahr 2001 führte der geschäftstüchtige Fossilienhändler Lawrence Walker den Paläontologen Kirkland zu einem Fundort, aus dem er sich bereits mehrfach bedient hatte. Ihn plagte sein schlechtes Gewissen, seit er glaubte, dort eine neue Dinoart entdeckt zu haben.
Seine Ehrlichkeit hat leider nur der Wissenschaft genützt. Walker selbst wurde wegen Diebstahls zu fünf Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 15.000 Dollar verurteilt. Doch ohne ihn, da ist sich Kirkland sicher, wären die Dinos der Cedar Mountain Formation in Utah vielleicht erst irgendwann in 100 Jahren entdeckt worden.