Der Einsatz von Uranwaffen in den jüngsten Kriegen des Westens
Seite 2: Uranwaffen – seit 2001 ein Tabu-Thema in Deutschland
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Claus Biegert, freiberuflicher Autor, Rundfunkjournalist und Filmemacher, hat in einem lesenswerten Buchbeitrag beschrieben, wie das Thema Uranwaffen aus den Medien verschwand.10
Im Januar 2001 hat der Journalist Siegesmund von Ilsemann, langjähriger Militärexperte des Spiegel, die letzte Veröffentlichung zu diesem Thema geschrieben, die zu einer großen Mediendebatte führte. Der damalige Verteidigungsminister Scharping geriet unter Druck, weil Vorwürfe erhoben wurden, dass DU-Munition auch im Krieg gegen Serbien und im Kosovo 1999 eingesetzt worden war.
Scharping rechtfertigte den Einsatz und erklärte: "Uran wird als Metall, nicht als strahlendes Material verwendet. Deshalb haben auch alle Untersuchungen ergeben, dass die Strahlung aus diesem Uran unterhalb der natürlichen Umwelteinflüsse liegt."
Claus Biegert hat diese Erklärung des Ministers trefflich kommentiert: "Uran, das nicht strahlen soll, strahlt auch nicht! Der Minister als Magier".11
Minister Scharping stellte darauf einen Arbeitsstab zusammen, der die Ungefährlichkeit der Uranmunition bestätigen sollte. Zum Leiter wurde Theo Sommer, der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der "Zeit", ernannt. Weitere Mitglieder waren ein Redakteur der FAZ, ein Vertreter der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik" und eine Reihe hoher Militärs. Auf Wissenschaftler glaubte man verzichten zu können.
Der Arbeitsstab kam zu dem gewünschten Ergebnis, das dann im Sommer 2001 in der Zeit in einem Artikel von Gero von Randow mit dem Titel "Die Blamage der Alarmisten" veröffentlicht wurde. Seitdem wird das Thema in den überregionalen Leitmedien und der Regionalpresse in Deutschland bis auf seltene Ausnahmen nicht mehr aufgegriffen.12
Eine Erklärung dafür sei, meint Claus Biegert, dass mächtige Institutionen kein Interesse an einer Diskussion des Themas haben, denn das internationale Recht sieht vor: Für die Beseitigung von Kriegsmaterial, vergifteten Böden und Wasser sind die Verursacher verantwortlich.
Für zivile Opfer müssten sie sich vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten. Und eine Ächtung der Uranwaffen schmälere nicht nur die Gewinne der Waffen- und Transportindustrie, sondern sie werfe auch Fragen der Entschädigung auf, die nicht vorgesehen waren.
Was sagt die Wissenschaft zum Thema Uranwaffen?
Journalisten, die sich mit der Tabu-Erklärung des Themas Uranwaffen nicht abfinden wollen, müssen immer wieder erleben, dass ihnen vorgeworfen wird, sie würden einer "Verschwörungstheorie" aufsitzen.
Das ist ja ein Totschlagargument und bedeutet, dass die so Beschuldigten entweder naiv sind oder keine Ahnung von der Materie haben. Dem Journalisten Claus Biegert, dem Filmemacher Frieder Wagner und auch dem Arzt Siegwart-Horst Günther ist es so ergangen. Deshalb wollen wir uns an einem Beispiel ansehen, was heute die Wissenschaft zum Thema Uranwaffen zu sagen hat.
Zu diesem Thema liegt seit 2012 ein umfangreicher Report der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) vor, der in Zusammenarbeit mit der ICBUW (International Coalition to Ban Uranium Weapons) Deutschland erarbeitet wurde.13
Dieser Report mit dem Titel "Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition. Die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe" macht deutlich, dass ein Verbot von Uranwaffen aus ärztlicher und politischer Sicht die einzige Konsequenz aus den zahlreichen vorgestellten und kritisch bewerteten wissenschaftlichen Forschungen, Feldstudien und Rechtsexpertisen über dieses Thema sein kann, um weiteres Leid von Zivilbevölkerungen und Militärpersonal zu verhindern und die Verseuchung unserer Umwelt über Millionen Jahre so gering wie möglich zu halten.
In der Zusammenfassung heißt es, dass der Report unter anderem belegt:
- Uranmunition unterscheidet in ihrer Mittel- und Langzeitwirkung nicht zwischen Kombattanten und Zivilisten.
- Inkorporiertes DU wirkt als Schwermetall chemotoxisch und als radioaktive Substanz radiotoxisch. Die chemischen und die Strahleneffekte ergeben einen Wirkungscocktail, bei dem oft nicht eindeutig zugeordnet werden kann, ob die Ursachen von der giftigen Wirkung des Schwermetalls oder von der Alpha-Strahlung des Urans herrühren. Fest steht allerdings: Die beiden Schadwirkungen- Chemo- und Radiotoxizität- verhalten sich synergistisch, das heißt, sie verstärken im menschlichen Körper gegenseitig ihre spezifischen Zerstörungs- und Veränderungskräfte.
- Uranwaffen schädigen den Körper in vielfältiger Weise und gefährden nicht nur die exponierten Personen, sondern auch ihre später gezeugten Kinder. Die häufigsten Gesundheitsschäden sind: Chromosomenschäden (Mutagenität und Karzinogenität), Schädigung der Nieren und des Nervensystems, angeborene Fehlbildungen, transgenerationelle Effekte, das heißt, schädigende Effekte können auch die Kindeskinder betreffen, und Fertilitätsstörungen. Die Gefahr, an Krebs zu erkranken, nimmt bei mit DU- exponierten Personen hoch signifikant zu.
- Abgereichertes Uran, das im Skelett gespeichert und in den Lymphknoten oder in der Lunge angesammelt wurde, verbleibt über Jahre bis Jahrzehnte im Körper. In den Körper eingedrungene DU-Splitter geben ihre giftigen Wirkstoffe und Strahlen lebenslang ab.
- Weil DU beim Aufprall teilweise zu einem Aerosol umgewandelt wird, sind die Umweltfolgen mannigfaltig. Durch Wind und Wiederaufwirbelungen, zum Beispiel beim Pflügen, verteilt sich das Aerosol auf einer größeren Fläche. Bei einer Treffergenauigkeit der uranhaltigen Waffen von ca. zehn Prozent liegen viele Geschosse unerkannt bis zu einem Meter tief unter der Erde. Je nach Bodenbeschaffenheit wird die toxische Wirkung entweder "verkapselt" oder es sind – im Gegenteil – weitere Erdschichten oder das Grundwasser von Kontamination bedroht. Wetterbedingte Erosionen sind langfristig eine zusätzliche Gefahr.
- Die Dekontamination muss großflächig erfolgen. Sie ist schwierig, aufwendig und teuer und gelingt in der Regel nicht vollständig.
Der Report stellt für die betroffenen Staaten wie Nationen auf dem Balkan oder im Irak, aber auch für die Verwenderstaaten und die Weltgemeinschaft weiter unter anderem fest:
- Die betroffenen Staaten müssen von den kriegführenden Parteien schnell umfassende Informationen über den Einsatz von DU-Munition erhalten und die betroffene Bevölkerung muss über die Risiken von DU-Munition informiert und im praktischen Umgang mit verseuchten Materialien geschult werden.
- Die Verursacherstaaten und die Weltgemeinschaft sind in der Pflicht, die Gefahren für die Zivilbevölkerung und ihre Leiden so gering wie möglich zu halten, dies schließe auch fiskalische, das heißt, die Staatkasse betreffende Verantwortung für die Verwenderstaaten nachdrücklich ein.
- Um das Ausmaß der gesundheitlichen Folgen des Einsatzes von DU-Munition einschätzen zu können, sind unabhängige epidemiologische Forschungen notwendig, die in erster Linie von den Verwenderstaaten zu finanzieren sind.
- Weiterhin ist der Aufbau eines Fehlbildungs- und Krebsregisters von großer Bedeutung, da ohne solche Register die Vergleichsgrößen für wissenschaftliche Studien in den betroffenen Regionen fehlen.
Im vorliegenden Report wird auch das Völkerrecht daraufhin untersucht, ob die bestehenden zwischenstaatlichen Verträge beziehungsweise das Gewohnheitsrecht ein Verbot von DU-Munition ermöglichen. Obwohl sich viele Uno-Mitglieder für ein Verbot einsetzen, sind uranhaltige Waffen derzeit ja leider noch nicht explizit verboten.
Das ist bekanntlich bei den Atomwaffen inzwischen anders: 2017 haben 122 Staaten der Uno den Atomwaffenverbotsvertrag verabschiedet, für den ICAN, ein internationales Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, das sich viele Jahre für die Abschaffung aller Atomwaffen durch einen bindenden völkerrechtlichen Vertrag eingesetzt hat, 2017 den Friedensnobelpreis erhielt. Auch die IPPNW ist Teil dieses Bündnisses.
Inzwischen haben über 50 Staaten diesen Vertrag ratifiziert, sodass er 2021 in Kraft getreten ist. Kürzlich fand in Wien die erste weltweite Staaten-Konferenz zum UN-Atomwaffenverbot statt, an der Deutschland mit einem Beobachterstatus vertreten war. An dieser Konferenz hat auch eine Vertreterin unserer IPPNW-Gruppe in Kiel teilgenommen.14
Nach Meinung der Autoren des hier zur Rede stehenden IPPNW- Reports aus 2012 über die gesundheitlichen Folgen von Uranwaffen könnte jedoch schon heute auf Grund der Bestimmungen des Humanitären Völkerrechts und speziell des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen für ein Verbot von Uranwaffen argumentiert werden, denn das Zusatzprotokoll verbietet Angriffe "..bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht entsprechend den Vorschriften dieses Protokolls begrenzt werden können".
Grundsätzlich verboten ist eine Kriegsführung, die nicht zwischen Kombattanten und Zivilpersonen unterscheidet beziehungsweise die Umwelt schädigt. Mit dieser Argumentation setzt sich seit Jahren der Berliner Völkerrechtler Prof. Mohr, einer der Autoren des Reports, für ein Verbot von Uranwaffen ein.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch noch, dass auf nationaler Ebene Gerichte sowohl in Italien als auch in Großbritannien in der jüngeren Vergangenheit Soldaten beziehungsweise deren Angehörigen Entschädigungen dafür zugesprochen haben, dass die Soldaten im Einsatz abgereichertem Uran ausgesetzt gewesen waren.
In den USA dagegen verharrt die Rechtsprechung auf dem Stand, dass grundsätzlich keine Entschädigung für im Militärdienst erlittene Gesundheitsschäden gewährt wird.
Zum Abschluss dieses Kapitels soll noch auf eine epidemiologische Studie hingewiesen werden, die im Jahre 2010 in der in Basel herausgegebenen renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift "International Journal of Environmental Research and Public Health" erschienen ist. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Region von Falludscha im Irak, die 2004 sehr umkämpft gewesen ist, eine höhere Rate an Krebs, Leukämie und Kindersterblichkeit aufweist als Hiroshima und Nagasaki im ersten Jahr nach dem Atombombenabwurf.15